Einzelhandel:"Einen Laden in München aufzumachen, ist völliger Wahnsinn"

Diese sechs Frauen wagen es trotzdem - und kombinieren den Onlinehandel mit Geschäften, die man auch betreten kann.

Von Franziska Gerlach, Pia Ratzesberger und Jessica Schober

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Räumungsverkauf wegen Geschäftsaufgabe

Quelle: dpa

Die Angst war groß, vor dem Internet und seiner Ware. Die Schaufenster werden verschwinden, die kleinen Geschäfte zuerst, dann auch die großen, kündigten Ökonomen an. Die Paketboten werden mehr und mehr an die Türen bringen, das hat sich bewahrheitet - vor allem Mode und Technik und Bücher bestellen die Menschen heute im Internet, mehr als 57 Milliarden Euro Umsatz macht der Versandhandel, Tendenz steigend. Doch der Einkauf am Computer hat den im Geschäft nicht ersetzt. Manche Händler bieten nun beides an, das eine ergänzt das andere, einer von vielen Versuchen Schritt zu halten.

Die SZ hat bei sechs Läden in der Stadt nachgefragt, die erst vor kurzem eröffnet haben, warum sie sich für Läden entschieden haben, die man betreten kann - und welche Strategie sie verfolgen in einer Zeit, in der noch nicht klar ist, wie es weitergeht.

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"The Lovely Concept":Keine Angst vor dem Internet

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Quelle: Alessandra Schellnegger

Der Traum vom eigenen Laden, der hat sich manchmal auch schnell wieder ausgeträumt, noch dazu nahe dem Wiener Platz, wo für 20 Quadratmeter Ladenfläche schon mal eine Monatsmiete von 3000 Euro anfallen kann. Und trotzdem steht Marie-Charin Thomas, 28 Jahre alt, nun in ihrem neuen Geschäft an der Steinstraße und sagt diesen Satz mit dem Traum und dem Laden. Der soll keine dieser Boutiquen sein, wie es sie in Haidhausen en masse gibt: "Man soll sich bei mir nicht ein Kissen leisten können, sondern gleich zwei."

Ende Juli hat Thomas "The Lovely Concept" eröffnet, den Mietpreis von 19 Euro kalt pro Quadratmeter findet sie fair. Wie es sich gehört für einen sogenannten Concept Store, sind hier ganz unterschiedliche Dinge zu haben, die in der Summe aber erstaunlich gut zusammen passen: Babyklamotten und Rasselketten, handgewebte Teppiche aus Marrakesch, Naturkosmetik aus Australien, Schmuck aus Berlin, Schreibwaren aus München und eben Kissen aus dem Iran, für 30, 40 Euro das Stück.

Auf 30 Marken kommt Thomas, wenn sie durchzählt, und gerade in dieser Vielfalt besteht für sie ein Vorteil. Wer nämlich ganz Unterschiedliches anbietet, der zieht auch ganz unterschiedliche Kunden an, und besonders samstags kämen zur Laufkundschaft noch viele Haidhauser dazu, die beim benachbarten Bäcker ihr Frühstück einkauften und dann spontan bei ihr vorbeischauten: Ach, ein neuer Laden, ist ja interessant.

Und so kann Thomas, die zuvor in einer PR-Agentur gearbeitet hat, nach den ersten Wochen sagen: "Es läuft gut." Das ganze Geld und die ganze Arbeit, sie haben sich gelohnt. 30 000 Euro hat sie in ihr Geschäft investiert, vor allem Ware hat sie dafür eingekauft. Auch ein Lieferantennetz musste sie aufbauen: Auf Instagram und auf Reisen hat sie nach Marken gesucht. Die Konkurrenz durch das Internet fürchtet sie nicht, zumal sie alle Produkte auch in einem Online-Shop anbietet, etwa ein Drittel ihrer Umsätze macht sie dort. Anders als Zalando und Co. legt sie den Paketen aber keinen kostenlosen Retourenschein bei. Damit der Kunde gar nicht erst auf die Idee kommt, die Bestellung zurückzuschicken.

Franziska Gerlach

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"Keksliebe":Süßes im Schaufenster

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Quelle: Alessandra Schellnegger

Sie war eben noch in der Bäckerei, die neuen Kekse abholen, 2000 Stück sind es diesmal. Stefanie Jabs, 42, verkauft Kekse in Form von Popcorntüten und Fußballfeldern, von Krankenwagen und Büstenhaltern - zuerst nur im Internet, jetzt hat sie auch ein Geschäft in der Corneliusstraße 20 eröffnet, Anfang September. Denn unter Millionen von Online-Shops aufzufallen, sei viel schwieriger als in einem Stadtviertel, wo Passanten am Schaufenster stehen bleiben, wo Bewohner jede Veränderung bemerken.

"Im Internet kann man ja nicht einfach ein Schild an die Tür hängen, auf dem steht: Neueröffnung", sagt Jabs. Sie hat vorher im Partyservice von Käfer gearbeitet, ihre Kollegin Julie Bamber war Konditormeisterin in Zürich, kennengelernt haben sie sich vor zwanzig Jahren in einem Hotel in Australien, vor vier Jahren dann die "Keksliebe" gegründet. Firmen orderten bei ihnen durchaus große Mengen, die aber taten das per Telefon, im Onlineshop tat sich nicht viel. "Wenn jemand 30 Kekse bestellte, war das schon einiges." Innerhalb einer Woche holte Jabs damals also manchmal nur 30 Kekse bei der Bäckerei ab, die für sie im Münchner Umland produziert.

Die Formen entwirft Jabs selbst - auf Bestellung auch mal den Hintern von Model Kim Kardashian oder ein Trikot von Sprinter Usain Bolt, das ihm als Tischkarte auf der Wiesn diente. Einen Monat hat ihr neuer Laden in der Isarvorstadt erst geöffnet, der Verkauf an der Theke mache aber bereits ein Drittel ihres Geschäfts aus, den einzelnen Keks gibt es ab 1,50 Euro, er kann aber auch mehr als sechs Euro kosten. Es sei schwer gewesen, genügend Besucher in den Onlineshop zu locken, sagt Stefanie Jabs, wahrscheinlich auch, weil man für Kekse eher zum Konditor ums Eck geht, als im Internet zu suchen. In ihrem Laden könne sie viel schneller selbst etwas verändern, einen Tisch umstellen, neues Gebäck ins Sortiment aufnehmen. "Sonst musste ich immer bei der IT anrufen." Zweimal die Woche fährt Jabs nun zur Bäckerei, die Kollegin verziert die Kekse direkt im Geschäft, mit farbigen Spritzbeuteln. Nur so könnten sie sich die Miete leisten - weil der Laden für sie auch Werkstatt ist.

Pia Ratzesberger

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"Zeitlos":Mutig oder blauäugig?

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Quelle: Alessandra Schellnegger

Mode gab es hier im Laden an der Müllerstraße 50 auch vorher schon. 38 Jahre lang verkaufte Friedlinde Ecker hier Pullover und Röcke und Taschen. Dann aber gab sie den Laden auf, des Ruhestands wegen. Doch in den Schaufenstern sind heute noch immer Pullover und Röcke und Taschen zu sehen, wenn auch ganz andere als früher - von den ehemaligen Stammkunden könne sie wahrscheinlich nicht so viele mitnehmen, sagt die neue Inhaberin, Andrea Holzer.

Ihre Vorgängerin war 66 Jahre alt, sie ist 32, in ihrem Laden "Zeitlos" im Glockenbachviertel verkauft sie seit August vor allem skandinavische Mode, genau wie bereits seit längerem am Tegernsee. In Rottach-Egern hat sie vor zweieinhalb Jahren ihr erstes Geschäft eröffnet, nebenbei einen kleinen Online-Shop aufgebaut, viele der Kunden kennen sie aus dem Laden, bestellen von zu Hause noch mehr. Manche ihrer Labels aus Schweden oder Dänemark hätten auch noch keinen eigenen Shop im Internet, deshalb fänden Kunden auf der Suche gleich den ihren, ohne viel Werbung.

Holzer glaubt, dass gerade im Glockenbachviertel die Leute nach kleinen Geschäften suchen, nach Einzelstücken - mit der Miete habe sie Glück gehabt, die liege am Tegernsee sehr viel höher und nicht nur, weil sie dort auf einer mehr als dreimal so großen Fläche verkauft wie in der Müllerstraße. Rentabel seien ihre beiden Läden bisher zwar noch nicht, aber es brauche eben mehrere Jahre, um sich eine ausreichend große Kundschaft aufzubauen. "Man kann das mutig nennen oder blauäugig", sagt Holzer, mit einem zweiten Laden könne sie immerhin Synergien nutzen. Größere Mengen abnehmen, Teile von einem Geschäft ins andere geben. Außerdem würden viele der Passanten in der Müllerstraße sicher auch einmal zum Tegernsee fahren.

Pia Ratzesberger

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"Lemoni":Schwelgen in Urlaubserinnerungen

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Quelle: Alessandra Schellnegger

"Einen Laden in München aufzumachen, ist völliger Wahnsinn", sagt Kathrin Tewes. "Das können sich eigentlich nur noch die großen Ketten leisten." Die gebürtige Münchnerin und Tochter eines Griechen hat dennoch ihre Nische gefunden. Der Laden "Lemoni" ist eine Art Gegenpol zu Designgeschäften im skandinavischen Stil. Hier gibt es griechische Mode, mediterranes Lebensgefühl und Accessoires, die die Kunden in Urlaubserinnerungen schwelgen lassen sollen. Angelockt über soziale Medien wie Instagram kämen manche eigens aus Ingolstadt und sogar Hamburg, erzählt Tewes.

Erst im April hat die 41-Jährige ihren Laden in der Barer Straße 82 eröffnet. "In Griechenland haben nach der großen Krise viele junge Kreative und Designer den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt", erzählt sie. Ein bisschen ging es ihr persönlich auch so. Die ehemalige Art-Direktorin verlor nach der Elternzeit ihren Job und stürzte sich in den Münchner Einzelhandel. Von Buchhaltung und Warenwirtschaftssystemen hatte sie da keine Ahnung. Nach einem halben Jahr am Markt ist ihr klar: "Es gibt wohl einfachere Möglichkeiten, sein Geld zu verdienen."

Um diese "Wahnsinnsmieten" bezahlen zu können, brauche man viel Laufkundschaft und hohe Margen. "Ich kenne fast alle meine Hersteller persönlich und verkaufe nur Handgearbeitetes aus kleinen griechischen Manufakturen, da habe ich natürlich niedrigere Margen, als wenn ich Produkte aus Fernost importieren würde." Ob sie am Ende draufzahlt, wisse sie noch nicht. Ein gegenläufiger Trend zum Onlinehandel sei ihr jedoch aufgefallen: Viele Großanbieter gingen dazu über, für ihre virtuellen Verkaufswelten einen Showroom anzumieten. "Wahrscheinlich merken auch die Onlinehändler, dass manche Menschen noch dieses altmodische Bedürfnis haben, in einem richtigen Geschäft einzukaufen."

Jessica Schober

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"Hygge":"Es ist ein Experiment"

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Quelle: Alessandra Schellnegger

Es war zermürbend: Anderthalb Jahre lang suchte Bernadette Landsgesell nach einem Laden in München. Am liebsten wollte die 36-jährige Allgäuerin ein Geschäft im Glockenbach- oder Gärtnerplatzviertel aufmachen, weil sie sich dort auskennt. "Aber die Ladenmieten in der Nachbarschaft waren mit bis zu 2000 Euro so unglaublich hoch, dass ich das niemals hätte reinspielen können." Anderswo verlangten Vormieter horrende Ablösen für Einrichtungen, die "aus fünf Lampen bestanden", erzählt Landsgesell. Eher aus Verzweiflung entschloss sich die Einzelhändlerin in spe also, zunächst den Onlineshop "Hygge" zu eröffnen. Erst kurz vor Weihnachten fand sie dann einen Raum in der Theresienstraße 51.

"Wichtig ist, dass ich hier viel Laufkundschaft auf dem Weg zur Technischen Universität und zu den Pinakotheken erreiche", erzählt die ehemalige Angestellte eines Zeitschriftenverlages. "Ich mag den direkten Kundenkontakt, ein Onlineshop alleine wäre mir viel zu unpersönlich." Einige ihrer Produkte kauften Kunden auch viel lieber vor Ort als im Netz: Die Leute wollten eben wissen, wie eine Duftkerze riecht oder ob ihre Yogamatte überhaupt in die Sporttasche hinein passt.

Andere Kunden wiederum schlenderten durch ihren Laden und markierten sich ihre Lieblingsprodukte dann auf virtuellen Wunschlisten in den Onlineshops der Hersteller. "Das ist natürlich schade, dass die Leute nicht vor Ort kaufen", sagt Landsgesell. Bevor sie ihr Geschäft eröffnet hat, ließ sie sich beraten bei Guide, dem Münchner Frauennetzwerk für Existenzgründerinnen. Über die IHK Bayern erhielt sie einen Zuschuss für ein Gründungscoaching. "Die Beraterin hat mir sehr geholfen mit meinem Businessplan, aber mir gleichzeitig geraten, bei den Umsatzerwartungen realistisch zu bleiben", sagt Landsgesell. Inzwischen beschäftigt die Mutter eines dreijährigen Kindes eine Minijobberin als Aushilfe. Und sie hofft auf den Weihnachtsumsatz. Sie sagt: "Es ist ein Experiment".

Jessica Schober

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"Vindue":Glück beim Vermieter, Pech bei der Bank

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Quelle: Alessandra Schellnegger

Im Juli haben vier Freunde an der Kazmairstraße einen Laden eröffnet, er heißt: "Vindue". Das ist Dänisch und bedeutet Fenster, und dass es dieses Fenster im Westend nun tatsächlich gibt, ist gar nicht so selbstverständlich. Denn eigentlich wollten Anastasia von Spreti, Phaedra Richter (im Bild), Leo Weber und Sabrina Haugg einen Online-Shop aufziehen. Dann aber merkten sie: "Nur online? Das sind wir nicht", erzählen Richter und Spreti. Was sie genau sind, ihr Konzept also, das müssten sie den Kunden manchmal schon noch erklären. Ein Einrichtungsladen, in dem es Wohnaccessoires skandinavischer Marken gibt, aber auch Münchner Handwerk: Die Sideboards und Bänke, die Leo Weber aus heimischen Hölzern fertigt. Oder die Stoffe mit den hübschen Drucken, die Richter als Illustratorin selbst entwirft, und mit denen Raumausstatterin Spreti obendrein Möbel überzieht. Und gerade, wenn man nicht nur verkaufe, sondern auch eine Dienstleistung anbiete, sollte der Kunde echte Menschen mit dem Laden verbinden. "Die Leute brauchen ein Gesicht."

Weil es ohne das Internet heutzutage aber eben auch nicht geht, betreiben die Vier einen Online-Shop, als zusätzlichen Absatzkanal. Dort bieten sie zwar nicht alle Produkte an, gerade bei den handgefertigten Sachen handle es sich ja oft um Unikate und Maßanfertigungen, von denen es nicht automatisch Fotos gibt. Das soll aber alles noch kommen. Dass im Westend überhaupt eine Ladenfläche leer steht, hatte Richter, die dort wohnt, zufällig entdeckt. Bei der Besichtigung setzten sie sich gegen 38 Bewerber durch, lauter Bürogemeinschaften. "Der Vermieter wollte aber einen Einzelhändler, weil ein Geschäft das Viertel belebt", sagt Spreti. Bei dem Versuch, einen Gründungskredit von einer Bank zu bekommen, hatten sie weniger Glück. Da sei nichts zu machen gewesen. Also haben sie zusammengelegt und die Ärmel hochgekrempelt - die Einrichtung des Ladens ist komplett selbst gebaut.

Franziska Gerlach

© SZ vom 17.10.2017/vewo
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