Am Anfang klingt die Stimme aus dem Lautsprecher noch freundlich. Ob die Fahrgäste im Zug vielleicht ein wenig enger zusammenrücken könnten, damit die Wartenden am Bahnsteig an der Untersbergstraße auch mitfahren könnten? Doch in der U-Bahn tut sich nichts. "Wenn Sie mitten im Weg stehen, kann halt keiner aussteigen und Sie kommen auch nicht rein." Enge, Quetschen und schlechte Luft: Das ist Alltag auf den Münchner U-Bahn-Linien.
Im Berufsverkehr oder nicht, unter der Woche oder am Wochenende - es ist immer irgendwie voll. Gleiches gilt für die Bahnhöfe der Stammstrecke, die Busse und Trambahnen, die Geschäfte, Kinos und Restaurants. Besonders voll ist München in den Tagen vor Weihnachten, wenn alle noch mal in die Altstadt zum Shoppen strömen.
Wohnen in München:"Da bleibt nichts außer Wut und Frust"
Der Immobilienkonzern GBW will der Stadt 75 sanierungsbedürftige Wohnungen verkaufen. Über den Preis können sich beide Seiten nicht einigen, darum bietet die Gruppe an, die Wohnungen zuvor zu räumen.
Gerade jetzt, wenn die Stadt so überbevölkert erscheint, überraschen die städtischen Statistiker mit einer durchaus ungewöhnlichen Nachricht. Die Einwohnerzahl Münchens sei seit Jahresbeginn um etwa 11 000 Personen geschrumpft, vermeldet die Stadt. Gab es zum 31. Dezember 2016 noch 1 542 860 Münchner, so zählten die Behörden elf Monate später nur noch 1 531 608 Stadtbewohner.
München schrumpft also, obwohl alle Prognosen der vergangenen Jahre genau die gegenteilige Entwicklung vorhergesagt haben? Geht es nun bergab mit der Boom-Region um die bayerische Landeshauptstadt? Sinken etwa die Mieten? Und müssen all die neu gebauten Wohnhäuser vielleicht bald abgerissen und die Schulen zurückgebaut werden, weil sie doch nicht benötigt werden?
Keinesfalls, wie ein Blick in die trügerische Statistik zeigt. Denn eigentlich wächst die Stadt weiter, um etwa 13 000 Einwohner dieses Jahr, also ungefähr um die Größe Oberschleißheims oder Oberhachings. Dieser Anstieg ist allerdings deutlich geringer als in den Vorjahren. Das Planungsreferat ging stets davon aus, dass München mit 20 000 bis 25 000 Neubürgern rechnen müsse - pro Jahr, versteht sich. Bisher bewegten sich die Zahlen auch immer in diesem Korridor oder übertrafen die Erwartungen sogar. 2016 stieg die Bevölkerungszahl um gut 21 000 an, 2015 um mehr als 30 000 und 2014 um gut 26 000.
Woher kommt also der Trend nach unten? Das liegt zum einen daran, dass 2017 weniger Menschen nach München kamen als 2016, erklärt das Rathaus. Vor allem der Zuzug aus dem nichteuropäischen Ausland habe abgenommen. Dennoch ziehen noch immer mehr Leute in die Stadt als weggehen: Für die ersten elf Monate 2017 berechneten die Statistiker der Stadt ein Wanderungsplus von 7000 Menschen.
Erstmals kamen wieder weniger Kinder in München zur Welt
Die zweite Tendenz dürfte vor allem das städtische Bildungsreferat freuen, das wegen der hohen Zuzugs- und Geburtenraten beim Bau von Kitas und Schulen kaum mehr hinterherkommt. Von Januar bis November registrierten die Meldebehörden erstmals seit Jahren wieder weniger Geburten. 2016 kamen in diesem Zeitraum in München 16 809 Babys auf die Welt, 2017 nur 16 176.
Weniger Kinder könnten die Kita- und Schulsituation in Zukunft entspannen. Den Eltern, die ihre Söhne und Töchter im kommenden Jahr unterbringen müssen, bringt die Trendwende allerdings nichts. Schon jetzt zerbrechen sich manche Grundschulleiter den Kopf darüber, wo sie all die Kinder, die im September eingeschult werden, unterbringen sollen.
Doch warum weist die offizielle Stadtstatistik insgesamt ein dickes Bevölkerungsminus aus, wenn die Stadt eigentlich wächst? Schuld am vermeintlichen Rückgang ist die Wahl zum Migrationsbeirat gewesen, wie ein Sprecher des Kreisverwaltungsreferats bestätigt. Bei dieser Wahl nämlich konnte die Behörde ungewöhnlich viele Wahlbenachrichtigungen nicht zustellen lassen. Die Menschen, die unter den Adressen gemeldet waren, sind längst ins Ausland umgezogen, haben dies der Stadtverwaltung aber nicht mitgeteilt. (Bei Umzügen innerhalb Deutschlands geschieht dies automatisch beim Ummelden am neuen Wohnort.)
Das Kreisverwaltungsreferat strich nun eben diese Menschen aus dem Bevölkerungsregister, "Abmeldung von Amts wegen" heißt der Vorgang im Behördendeutsch. Und plötzlich hatte München auf dem Papier gut 25 000 Einwohner weniger. Solche Abmeldungen sind an sich nichts Ungewöhnliches, normalerweise aber gibt es wesentlich weniger von diesen Zwangsabmeldungen.
"Wird der Effekt der Registerbereinigung herausgerechnet, so zeigt sich deutlich, dass die Bevölkerung auch 2017 gewachsen ist", erläutern die städtischen Rechenkünstler. Mehr Platz in öffentlichen Verkehrsmitteln, in Bars oder Kaufhäusern wird es so schnell also nicht geben, denn weniger Münchner gibt es nur in der offiziellen Statistik.