Süddeutsche Zeitung

Einkaufsmärkte im Umland:Groß ist geil

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Rund um München werden riesige Einkaufsmärkte aus dem Boden gestampft: Die Gewerbegebiete verheißen Millionen an Steuern - da wird jeder Gemeinderat schwach. Doch die Folgen für die Natur und die örtlichen Einzelhändler sind meist fatal.

Stefan Mühleisen

Noah strahlt seinen Vater an und zeigt hinüber zu den Weihnachtsmann-Legionen. Es muss atemberaubend sein für einen Vierjährigen. Eine Schokoladenwelt türmt sich da auf, Schoko- und Pralinenberge im Schatten haushoher Regale. Papas Blick schweift von den Kühltruhenreihen, die sich scheinbar bis zum Horizont erstrecken, hinüber zum Gang mit den hohen Stapeln von Abertausenden Dosen Tierfutter.

"Wir kommen hierher, weil es alles gibt", sagt der Vater, ein 24-jähriger Spengler. Sagt's und lächelt hinein in die Weite des Metro-Marktes im Gewerbegebiet Brunnthal-Nord. 50.000 Artikel auf 13.000 Quadratmetern. Ein Einkaufsmarkt mit den Ausmaßen einer Kathedrale, der keine Wünsche offen lässt.

Der junge Vater aus dem Nachbarort Ottobrunn spricht den simplen Grund aus, weshalb hier auf 160 000 Quadratmetern Fläche ein überdimensionaler Gewerbe-, Einkaufs- und Freizeitpark nach US-amerikanischem Vorbild gewachsen ist: Der Kunde will alles, dann kriegt er halt alles. Der "Gewerbepark Obermeier" an der A 8 südlich von München - benannt nach der Unternehmensgruppe von Erich Obermeier - ist das prägnanteste Beispiel für eine Entwicklung, die in der ganzen Region zu beobachten ist: Äcker und Waldgebiete werden planiert und Gewerbebauten aus dem Boden gestampft. König Kunde kann hier an der Bundesstraße 471 auf riesigen Parkplätzen sein Auto abstellen, entweder vor dem Ikea-Riegel, dem gigantischen Obi-Baumarkt oder dem Metro-Klotz. Es gibt Billig-Food bei Lidl, Discount-Schuhe bei "Happy Schuh & Du", dazu Windeln zum Abwinken im "Baby-Fachmarkt". Und wer neben Shoppen Sport treiben will, kann das auf 5000 Quadratmetern im exklusiven Fitnessstudio "Body & Soul" oder im Bowlingcenter ein paar Autosekunden nebenan.

Sukzessive ist hier in den vergangenen acht Jahren eine kleine Konsumstadt entstanden mit riesigen Firmenschildern an den Fassaden. Der Ottobrunner Spengler im Metro-Markt winkt ab und lenkt seinen vollbeladenen Einkaufswagen in Richtung Getränkeabteilung. "Das stört doch keinen, hier wohnt doch eh' niemand", sagt er.

Doch, es gibt Menschen, die der mächtige Gewerbepark in der Nachbarschaft gewaltig stört. Anton Wallisch zum Beispiel, Inhaber der Weinhandlung "Wein Musketier" in Ottobrunn und Vorstandsmitglied des dortigen Gewerbeverbands. "Den Einzelhandel in Ottobrunn hat der Gewerbepark sehr getroffen", sagt er. Viele seiner Kunden seien zur Metro abgewandert - für Feiern und die Firma tun's auch die Flaschen aus dem Großregal. Mit der offiziellen Beschränkung auf Gewerbetreibende als Kunden ist es bei Metro ohnehin nicht weit her. Per Antrag gibt es "Einkaufsvollmachten".

Für Wallisch ist Metro längst zum Vollsortimenter für nahezu jedermann geworden. Derweil stehen viele Gewerbeflächen in Ottobrunns Mitte leer, die Investoren zieren sich. Kapital- und zeitintensiv sei es mittlerweile, am Ort ein Geschäft zu etablieren, sagt Wallisch. Er kennt das aus den USA, wo er lange als Projektmanager unterwegs war. Öde Vorstädte hat er da gesehen mit riesigen Shopping-Malls.

Wallisch gehört zu jenen, die laut gewarnt haben vor einem Monster-Gewerbepark, der dem örtlichen Einzelhandel langsam die Lebenskraft aussaugt. Auch Christian Breu zählt dazu, Geschäftsführer des Regionalen Planungsverbands (RPV). Im Jahr 2001 wandte sich der RPV-Planungsausschuss mit 15 zu acht Stimmen gegen eine Ansiedlung von Ikea. "Es hat sich bewahrheitet, dass Ikea der Nukleus für eine weitere Entwicklung des Gebiets bedeuten wird", sagt Breu heute.

Damals war es den Gemeinden Taufkirchen und Brunnthal egal, dass für den Möbelmarkt mit allein 18.000 Quadratmetern Verkaufsfläche einige Hektar Bannwald abgeholzt werden mussten. Der Ortsverband des Bundes Naturschutz, angeführt von Gemeinderat Jörg Pötke, zettelte ein Bürgerbegehren an - doch die Taufkirchner Bürger stimmten mehrheitlich für Ikea. Wenn der blau-gelbe Klotz mal steht, fällt der erste Dominostein, und andere Konsum-Klötze werden folgen - so warnten Breu und Kollegen die Genehmigungsbehörde, die Regierung von Oberbayern, in ihrer Stellungnahme.

Der RPV hörte in der Folgezeit nicht auf zu mahnen. Doch die Regierung genehmigte einen Monsterbau nach dem anderen. "Der Ober sticht den Unter", sagt Breu traurig. Dabei wollte der Verband nur die Leitziele umgesetzt wissen, die im Landesentwicklungsprogramm des Freistaates postuliert werden: Vorsichtig und mit Bedacht soll die Gewerbeansiedlung gerade in ländlich geprägten Räumen vorangetrieben werden. "Ein schnelles Wachstum wird die Gemeinden vor Schwierigkeiten stellen, die Folgen zu verkraften", sagte Breu im SZ-Interview bereits im Jahr 2000. Und er sagt heute: "Es gibt zu wenig Lebensmittelangebote in den Ortszentren."

Der dringende Appell verhallt immer noch - vor allem in den Gemeinderäten. Umsatzstarke Unternehmen wie Metro, Obi und Ikea überweisen jedes Jahr Millionenbeträge an Gewerbesteuer auf die Konten von Taufkirchen und Brunnthal. Der ehemalige Ikea-Stürmer Pötke ist inzwischen Taufkirchens Bürgermeister und hat sich zum Großbau-Fan gewandelt. Die Bürger hätten mit den Füßen abgestimmt, sagt er. Unrealistisch sei es, jetzt noch etwas zu verhindern. Auch andernorts nutzen die Gemeinden im Kampf um Gewerbesteuerzahler ihre Planungshoheit und handeln nach dem Motto: Wenn der Kunde groß geil findet, dann lassen wir halt groß bauen.

So geschehen im Münchner Westen, wo sich Möbel-Höffner in Freiham niedergelassen hat; in Aschheim durfte die XXXL-Lutz-Gruppe ein 46.000 Quadratmeter großes Möbelhaus in die Prärie pflanzen. So droht es auch in Feldkirchen: Die Gemeinde verhandelt mit dem Möbelriesen Ikea derzeit über ein Grundstück. Auch hier könnten bald die Schleusen offen sein für die "Zupflasterung der Umlandgemeinden mit hässlichen Märkten", wie Landrätin Johanna Rumschöttel (SPD) die Großbausucht am Ortsrand jüngst anprangerte. Sie werde ihre Stimme erheben, kündigte sie an. "Doch ob sie gehört wird, wissen wir nicht."

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Quelle:
SZ vom 28.12.2011
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