Einkauf am Stand:Händler gesucht

Einkauf am Stand: Seit mehr als zehn Jahren verkauft Rosemarie Kreilinger Obst und Gemüse aus ihrer eigenen Landwirtschaft auf Münchner Wochenmärkten.

Seit mehr als zehn Jahren verkauft Rosemarie Kreilinger Obst und Gemüse aus ihrer eigenen Landwirtschaft auf Münchner Wochenmärkten.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Geschäfte auf den mehr als 40 Wochen- und Bauernmärkten in München laufen nicht schlecht, die Nachfrage nach regionalen Lebensmitteln ist groß. Doch es fehlt an Standbetreibern

Von Franziska Stadlmayer

Der Platz vor den Riem Arcaden wirkt eher trostlos, viel Beton und wenig zu sehen. Doch einmal die Woche, am Freitagnachmittag, ist Leben auf dem Platz. Dann ist Wochenmarkt. Es riecht nach gebratenem Hendl und in der Schlange am Brotstand unterhalten sich die Kunden. Mittendrin: der Obst- und Gemüsestand von Rosemarie Kreilinger. "Ich mag meinen Job", sagt sie. Das ist keine Selbstverständlichkeit mehr, denn den Märkten gehen die Händler aus.

Seit mehr als elf Jahren steht Kreilinger viermal die Woche auf Bauern- und Wochenmärkten in München. Das bedeutet: Viermal um drei Uhr morgens aufstehen, das Auto mit frischer Ware beladen und zwischen 25 und 50 Kilometer weit fahren. "Da sind wir im Vergleich zu Kollegen privilegiert", sagt die 55-Jährige. Der familieneigene Gärtnereibetrieb ist in Hallbergmoos, manche Kollegen, mit denen sie auf dem Wochenmarkt in Riem steht, haben eine weitere Anreise. Kreilinger kommt aus einer kleinen Landwirtschaft, ursprünglich ein Nebenerwerb für ihre Familie. Gemeinsam mit ihrem Mann übernahm sie später die Gärtnerei des Schwiegervaters. Sie verkauft auf den Märkten, während Mann und Sohn den Betrieb am Laufen halten. Lange Tage und ein körperlich anstrengender Job - für viele Schulabgänger kein Traumberuf.

"Nachwuchsmangel ist unser größtes Problem", sagt Thomas Murr, der Vorsitzende der Münchner Bauernmärkte. Der Unterschied zwischen Bauern- und Wochenmarkt: Auf Bauernmärkten dürfen nur Eigenerzeuger stehen, während auf Wochenmärkten auch Händler erlaubt sind. Die Märkte laufen gut, bestätigt Murr, der Metzgereiprodukte verkauft. Aber: "Ich gehe davon aus, dass wir in zehn Jahren die Nachfrage nicht mehr bedienen können." Die Händler werden weniger, und der Nachwuchs orientiert sich in andere Berufe. Einen Hof betreiben, sieben Tage die Woche arbeiten und bei Wind und Wetter den ganzen Tag auf Märkten stehen? Nein danke. "Ich sehe gerade auch keine Möglichkeit, diese Entwicklung zu stoppen", sagt Murr.

"Die Nachfrage ist da, aber uns fehlen die Standbetreiber", bestätigt auch Veronika Westhus, die bei der Stadt München für Wochenmärkte zuständig ist. Auf jedem dieser Märkte sollte ein Grundsortiment angeboten werden. Gemüse, Obst, Geflügel, Eier, Brot und Fleisch sind immer dabei. "Auch Fisch ist wünschenswert", sagt Westhus, "Antipasti und Blumen ein hübscher Bonus." Wer seine Waren auf einem Markt anbieten will, bewirbt sich online mit Formular, Führungszeugnis und Schufa-Auskunft.

Für mögliche Standorte kommen das Planungsreferat oder einer der Bezirksausschüsse auf Westhus zu: "Wir prüfen dann die Voraussetzungen." Der Markt brauche eine Fläche ohne Barrieren, also möglichst keine Bänke oder Bäume. "Auch der Boden ist wichtig, er muss mindestens zehn Tonnen aushalten", sagt Westhus, "und die Stände brauchen eine Stromversorgung." In Neubaugebieten, wie dem neuen Stadtteil Freimann, sei die Stadt eng in die Planung eingebunden und könne von Anfang an für geeignete Standorte sorgen. Doch auch wenn alles passt, stehe dem Bedarf oft die Verfügbarkeit der Händler entgegen. "Besonders Märkte, die bis zum Abend geöffnet haben, sind gefragt. Aber die Händler sind da meistens schon ausgebucht," sagt Veronika Westhus.

Wochenmärkte haben in München Tradition. Anfang der Sechzigerjahre baute die Stadt große Siedlungen und organisierte zur besseren Versorgung der Bevölkerung Wochenmärkte. Heute gibt es in der Stadt mehr als 40 Standorte. Wochenmärkte, Bauernmärkte - einige ständig, viele einmal die Woche. Inzwischen sind die Stadtbewohner nicht mehr auf Wochenmärkte angewiesen, um frische Lebensmittel zu kaufen. Und trotzdem, die Nachfrage steigt. Immer mehr Menschen wollen bewusst regionale Lebensmittel kaufen - und sind auch bereit, dafür zu zahlen. "Wir merken hier aber auch sehr stark die veränderten Lebensgewohnheiten unserer Kunden", sagt Murr. Immer mehr Singlehaushalte, immer weniger Leute, die kochen. Die Konsequenz: Gewaschener Salat und fertige Produkte, wie Spätzle oder Knödel, sind gefragt: "Damit steigt für uns der Verpackungsaufwand." Zusätzliche Kosten für die Standbetreiber, denn: "Ein ordentliches Vakuumiergerät kostet an die 20 000 Euro."

Auch Rosemarie Kreilinger beobachtet an ihrem Obst- und Gemüsestand Veränderungen: "Das Sortiment wandelt sich ständig." Wassermelonen und Artischocken, so etwas bauen sie in der Gärtnerei erst seit kurzer Zeit an. An der Nachfrage der Kunden sehe sie auch, wenn ein Fernsehkoch gerade bestimmte Zutaten favorisiert: "Vor einiger Zeit haben wir drei Wochen lang ungewöhnlich viel Chicorée und Feldsalat verkauft. Das lag daran, dass ein Fernsehkoch das als besonders gesund empfohlen hat." Diese Nähe zu den Kunden schätzt Kreilinger an ihrem Beruf: "Wir haben hier zu 95 Prozent Stammkunden. Die melden sich teilweise ab, wenn sie in den Urlaub fahren." Bei vielen wisse sie über Haustiere und Krankheitsgeschichten Bescheid und meistens bleibt beim Einkaufen Zeit für einen Plausch.

Eine weniger schöne Seite der Arbeit: "Die Bürokratie wird immer schlimmer." Personal, Steuern und die Dokumentation der angebauten Pflanzen: "Inzwischen sollte ich fast schon ein Studium in BWL- und Landwirtschaft haben." Finanziell sei der Verkauf auf dem Bauernmarkt schon rentabel: "Aber nur, wenn ich nicht anfange, alle Arbeitsstunden aufzurechnen." Manchmal arbeite sie 16 Stunden am Tag.

"Aber die Leute brauchen uns", sagt Kreilinger, wo sonst bekämen sie so frische Lebensmittel. "Die Bohnen habe ich heute früh geerntet, die kann man problemlos mehrere Tage lagern." Dieses Angebot schätzen die Kunden, das merkt auch Thomas Murr: "Je weiter sich die Stadtmenschen von der Natur entfernen, desto interessierter sind sie an landwirtschaftlichen Vorgängen." Wenn ein Bauer erkläre, wieso es noch keinen frischen Blattspinat gebe, oder gegen welche Schädlinge er die Kirschen spritzen müsse, fragten die Kunden interessiert nach. "Einige Betriebe haben inzwischen auch Facebook-Seiten, wo sie Bilder ihrer täglichen Arbeit posten", sagt Murr. Fotos eines neu geborenen Kalbs oder der frisch geernteten Kirschen bringen viele Reaktionen - und mehr Verständnis für die Arbeit der Landwirte: "Dass es zu bestimmten Zeiten bestimmte Produkte nicht gibt, ist halt so." Allerdings, so schränkt Murr ein, rede er da nur über den kleinen Teil der Bevölkerung, der auf den Wochenmärkten einkauft.

Auch Rosemarie Kreilinger freut sich über das Interesse der Kunden an ihrer Arbeit: "Die Treue der Kunden ist rührend. Wenn ich meinen Urlaub ankündige, sind sie ganz entsetzt." Elf Monate arbeitet sie durch, der Januar ist Kreilingers Urlaubsmonat. Aber schon Anfang Februar ist sie dann wieder für ihre Kunden da. Mit viel frischem Gemüse und Zeit für einen Plausch.

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