Süddeutsche Zeitung

"Einflussreichste Milieugröße der Stadt":Der Pate von München

Das Bahnhofsviertel war Walter Staudingers Reich - er lebt in Beverly Hills.

Susi Wimmer

Es war das München der siebziger Jahre, in dem er groß wurde. In der Stadt herrschte ungebremste Lebenslust, Amüsierbetriebe schossen aus dem Boden.

In der Bahnhofsszene tummelten sich Größen wie "der Rudi mit dem weißen Rolls Royce'', der "Karlsruher Hans'' vom Leierkasten oder der "Metzger Dieter'', dessen Spitzname nicht von ungefähr kam. Über allen aber thronte "der Patron'', der "Pate von München'' - dem Insider heute noch den Titel "einflussreichste Milieugröße der Stadt'' attestieren: Walter Staudinger.

Millionenvermögen

Der Münchner, der als Bordellbesitzer und Spielhallenunternehmer und als Gründer des "Las Vegas'' ein Millionenvermögen machte, lebt heute vorwiegend in seiner Villa in Beverly Hills nahe Los Angeles.

Ob der Literat Wolf Wondratschek mehr auf Wunsch oder auf Drängen Staudingers 1991 den Roman "Einer von der Straße'' schrieb, ist nicht bekannt. Klar ist nur, dass dessen Protagonist Gustav Berger große Ähnlichkeiten mit dem König des Bahnhofsviertels aufweist.

Staudinger, 1942 in München geboren, ist schon als Heranwachsender Chef einer Halbstarkenbande, prügelt sich durchs Leben und landet bald im Knast (kurioserweise arbeitete sein Stiefvater als Direktor in Stadelheim).

Nach seiner Entlassung, mit 20 Jahren, setzt er sich an die Reeperbahn ab. Er arbeitet als Aushilfskellner im "Star Club'', als dort die Beatles auftreten, fasst langsam Fuß in der Szene der Amüsierbetriebe und des Glücksspiels. "Austoben'', so nannte Staudinger später sein Reeperbahn-Leben:

Musik, schöne Frauen, Alkohol - und Schlägereien. Im ersten Eros-Center Deutschlands in St. Pauli mietet er eine Etage, dort können Prostituierte ihrem Gewerbe nachgehen. Ein "Lude'', wie Zuhälter genannt werden, wollte er nie sein. "Ich hab mein Geld immer selbst verdient'', erklärt er in einem Stern-Interview 1992.

Der Kampf um gesellschaftliches Ansehen

Als 1972 die Olympiade in München das große Amüsiergeschäft verspricht, kehrt Walter Staudinger zurück an die Isar. Er finanziert Bordelle wie den ,,Leierkasten'' oder das "Rote Palais'', gründet mit Playboy James Graser das "Moulin Rouge'', baut die Edeldisco "Charly M.'' und setzt mit dem "Las Vegas City'' damals Europas größte Spielhalle in die Bayerstraße.

Für Staudinger, der um gesellschaftliches Ansehen kämpft, ist die Durchsetzung einer Spielhalle mitten in der City eine persönliche Genugtuung. Er ist zum Großunternehmer geworden.

"Es war ihm wichtig, immer sauber zu bleiben, und die Münchner Polizei konnte ihm tatsächlich nie etwas anhaben'', erinnert sich ein Insider. Staudinger habe Wert darauf gelegt, als graue Eminenz im Hintergrund zu bleiben. Gleichzeitig galt er als ein "Patron'', der auch frisch entlassenen Sträflingen gerne ein Darlehen gab.

Mitte der achtziger Jahre, als die in Medien zitierte "Gauweilersche Reinigungsaktion'' auch das Bahnhofsviertel erreichte, ging Staudinger in die USA. Sein Sohn, der mit Vornamen ebenfalls Walter heißt, übernahm die Geschäfte.

Seitdem hat sich Staudinger augenscheinlich aus der Szene zurückgezogen. Gelegentlich ein Zeitungsartikel, der ihn als glücklichen Familienvater zeigt - Pop-Sängerin Cher ist Patin seiner Tochter - ansonsten ist es um den heute 64-Jährigen ruhig geworden. Zumindest in der Münchner Bahnhofsszene.

Heute gilt das Viertel als Billigstrich, die Umsätze im Milieu sind drastisch gesunken. Oder, wie ein ehemaliger Beteiligter sagt: "Eine Größe wie der Staudinger wäre heute undenkbar.''

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Quelle:
SZ vom 13.1.2007
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