"Eine Wucht", "Sensation":Echt und ungeschönt

Schauspielerin Anna Drexler im Blauen Haus der Kammerspiele

Bemerkenswert natürlich: die 25-jährige Anna Drexler.

(Foto: Florian Peljak)

Anna Drexler, als Theaterentdeckung des Jahres gefeiert, spielt nun im Tatort

Von Josef Grübl

Zehn Millionen? Von so einer Zahl lässt Anna Drexler sich nicht beeindrucken. "Ach, darüber reden die Leute vielleicht einen Tag", sagt sie über den Film, der sie nächste Woche bundesweit bekannt machen wird. "Danach ist das doch sofort wieder verflogen."

Die 25-jährige Schauspielerin hat eine Hauptrolle im neuen Münchner "Tatort" übernommen, der Film mit dem Titel "Einmal wirklich sterben" läuft am 6. Dezember in der ARD. Ob die Kommissare aus München wieder einmal die Quoten-Schallmauer von zehn Millionen Zuschauern durchbrechen, wird sich noch zeigen, für Drexler ist es so oder so das größte Publikum, das sie je hatte.

Drexler spielt in der Folge eine traumatisierte junge Frau, die als Kind mitansehen musste, wie ihre Familie ermordet wurde, als Erwachsene wird sie dann selbst zur Täterin. Wobei man daraus keine voreiligen Schlüsse über die Spannung der Handlung ziehen sollte: Drexlers unberechenbares Spiel hält den Fall lange Zeit in der Schwebe, bei dieser Frau muss man auf alles gefasst sein. "Tatort"-Regisseur Markus Imboden sagt über sie: "Anna ist eine Wucht. Sie ist echt und ungeschönt." Sie spielt eine außergewöhnliche Rolle, die garantiert für Aufsehen sorgen wird - allzu falsch liegt sie mit ihrer anfangs geäußerten Meinung aber trotzdem nicht. Es gehört mittlerweile zum guten Ton der "Tatort"-Vermarktung, regelmäßig die dort auftretenden Nachwuchstalente hochzujubeln. "Wer war die schöne Tote/Zeugin/Mörderin im gestrigen Tatort?", lauten dann die Schlagzeilen. Das ist ziemlich abgedroschen.

Vielleicht ist Anna Drexler auch deshalb so zurückhaltend bei diesem Thema; der "Tatort" ist zwar wichtig für sie, ihre wichtigste Rolle ist es aber nicht. Um das Talent der 25-Jährigen wirklich einschätzen zu können, muss man ins Theater gehen, an die Kammerspiele. Dort, wo Drexler probt und auftritt, seit zwei Jahren ist sie dort Ensemblemitglied.

Sowohl Zuschauer als auch Kritiker überschlagen sich vor Begeisterung über ihre Darbietungen. Eine "stille Sensation" sei sie, titelte die Zeit, als "Entdeckung des Jahres" bejubelte man sie im Spiegel. Und in dieser Zeitung wurde ihre "bemerkenswert natürliche, trotzige, bei aller Mauerblümchenhaftigkeit doch wunderbar selbstbewusste und pausbäckig komische Art" gelobt. All das zeigte sie bereits in ihrer ersten Rolle an den Kammerspielen. Wenn es also im Theater so etwas wie Shooting Stars gibt, dann ist Anna Drexler mit Sicherheit einer.

Im Frühjahr 2013 war sie noch Schauspielschülerin, als sie gefragt wurde, für eine erkrankte Kollegin in Johan Simons' Inszenierung von "Onkel Wanja" einzuspringen. Das war zwei Wochen vor der Premiere, Drexler ließ sich diese Chance aber nicht entgehen. Noch am Premierenabend bekam sie ein Jobangebot des Hausherrn, die Theatersensation war perfekt.

Seitdem wird sie immer wieder für ihre natürliche Spielweise gelobt, selbst sieht sie das allerdings etwas anders: "Ich würde von mir aus nicht sagen, dass mein Spiel natürlich ist. In mir sieht es ja meistens ganz anders aus." Das mit der Natürlichkeit hat sie aber schon so oft gehört, deshalb fügt sie noch hinzu: "Aber wenn das für manche so wirkt, ist es ja gut." Die zarte junge Frau trägt schmale Hose, weite Bluse und rotgeschminkte Lippen, als sie an einem Novembertag im Theater von den rasanten vergangenen zwei Jahren erzählt.

Anna Drexler mag eine Blitzkarriere hingelegt haben, völlig überraschend kam diese allerdings nicht: Ihr Vater ist der Burgschauspieler Roland Koch, nebenbei ermittelt er auch im "Tatort" Konstanz. Ihre Mutter arbeitete ebenfalls als Schauspielerin, stellte ihre Karriere aber schon vor vielen Jahren in den Hintergrund und kümmerte sich in Berlin um Anna und ihre zwei Schwestern.

Als Teenager wollte Drexler auf jeden Fall noch etwas anderes als ihre Eltern werden, nach dem Abitur entschied sie sich aber um. Sie sprach an Schauspielschulen vor, an der Münchner Otto-Falckenberg-Schule wurde sie genommen. Das war vor fünf Jahren, das Studium hat sie nach dem Kammerspiele-Engagement vorzeitig beendet. Sie stand in "Liliom" auf der Bühne, in "Dantons Tod" oder den "Geschichten aus dem Wiener Wald". Aktuell bereitet sie ein neues Stück vor, gleich nach dem Gespräch in der Theaterkantine muss sie zur Probe: "Der Spieler" nach dem Roman von Fjodor Dostojewski hat Mitte Dezember Premiere. "Ich weiß noch nicht, in welche Richtung sich das Stück entwickeln wird", sagt sie. "Wir sind gerade in der Kennenlernphase."

Seit dieser Spielzeit leitet Matthias Lilienthal das Theater, der neue Intendant brachte neue Ideen und Konzepte mit an das Haus an der Maximilianstraße, nur wenige Schauspieler wurden übernommen. Auch Drexler wollte eigentlich die Kammerspiele verlassen. Sie hatte ein Angebot vom Deutschen Theater in Berlin, dort stand sie bereits 2014 in "Das weite Land" neben Theaterstars wie Maren Eggert und Ulrich Matthes auf der Bühne. Am Ende entschied sie sich dann aber doch gegen Berlin und für München. "Mir wurde klar, dass es hier für mich noch nicht zu Ende ist", sagt sie lächelnd.

Über die genauen Hintergründe schweigt sie sich aus, viel lieber spricht sie über ihre Arbeit. Aber auch hier ringt sie mit sich, sie überlegt und wägt jeden einzelnen Satz ab. Von der Abgebrühtheit älterer Kollegen, die bei Interviews nur noch wohlformulierte Worthülsen produzieren, ist hier noch nichts zu spüren. Von einer Schauspielerin, die sich nach schnellem Ruhm und roten Teppichen sehnt, ebenfalls nichts. Das Theater stehe bei ihr an erster Stelle, betont sie, Filme könne sie nur selten machen. "Momentan habe ich aber auch keine konkreten Filmangebote", gibt sie zu. Auch so ein Satz würde den abgebrühten Kollegen nie über die Lippen kommen.

Der Glamour der Branche scheint Anna Drexler nicht besonders zu interessieren; das sieht man auch in ihren Rollen, auf der Bühne oder im "Tatort". Oft spielt sie unvorteilhaft aussehende junge Frauen, mit strähnigen Haaren oder hässlichen Kleidern. Das mache ihr überhaupt nichts aus, sagt sie und lacht, außerdem habe das Verunstalten doch einen unschlagbaren Vorteil: "Das dauert nicht lange, da ist man nach einer Minute fertig. Schönwerden dauert dagegen eine halbe Stunde." Und richtig Bekanntwerden dauert 90 Minuten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: