Eine Stilkunde zum Oktoberfest:Dirndl oder kein Dirndl?

Marga Beckstein hat sich geweigert, eines zu tragen. Viele Frauen wollen unbedingt eines anziehen: Ein Dirndl. Wir waren der Wiesn-Kleiderordnung auf der Spur.

Christian Mayer

Es gibt im modernen Bayern zwar keinen Tapferkeitsorden mehr, weil militärische Auszeichnungen in unserer Gesellschaft wenig Akzeptanz haben, aber wenn es einen gäbe, hätte ihn Marga Beckstein verdient. Was hat diese Frau aushalten müssen! Schon seit Tagen war die Gattin des Ministerpräsidenten unter Frontalbeschuss, weil sie sich standhaft, ja eisern weigerte, ihre Pflicht als Landesmutter beim Oktoberfest-Anstich zu erfüllen.

Eine Stilkunde zum Oktoberfest: Die Bedienungen tragen selbstverständlich Dirndl auf der Wiesn, mit großem Dekolleté - des Trinkgeldes wegen, versteht sich.

Die Bedienungen tragen selbstverständlich Dirndl auf der Wiesn, mit großem Dekolleté - des Trinkgeldes wegen, versteht sich.

(Foto: Foto: dpa)

Ein ungeschriebenes, aber von Brauchtumsrichtern peinlich genau überprüftes Gesetz sieht vor, dass sich erste Ehefrau im Freistaat aus diesem Anlass gewissermaßen in ein Festtagsdirndl verwandeln muss. In ein gut geschnürtes Dirndl, wie es Vorgängerin Karin Stoiber trug, die eine ganze Kollektion im Wolfratshauser Wandschrank hängen hat.

In ein Dirndl, wie es am Tag der Wiesneröffnung wieder alle anhaben, die zur Boxen-Gesellschaft zählen wollen, also auch Verona Pooth, Veronica Ferres, Frau Lauterbach und Frau Lehmann sowie die Spielerfrauen der Lederhosen-Truppe des FC Bayern und nicht zuletzt die grüne Bierzelt-Madonna Claudia Roth.

Überhaupt kann man sich als Frau ohne Schürze gar nicht mehr auf die Wiesn trauen. Figurbetont muss es sein, die ganze Weiblichkeit betonend, Beinfreiheit und Dekolleté -Betonung sind absolut erwünscht, das Ganze hübsch drapiert mit Schnüren und mit Spitzen überzogen. Der Dirndl-Fetischismus treibt seltsame Blüten, und manchmal hat man das Gefühl, nicht im Wiesnzelt, sondern in einer volkstümlichen Jodelparade von Florian Silbereisen gelandet zu sein.

Nun, Marga Beckstein hat es abgelehnt, sich in ein Korsett schnüren zu lassen. Obwohl das Gemurre in der Frauen-Union, in der oberbayerischen CSU und bei den Wiesnwirten beträchtlich war. Ironischerweise sprang ausgerechnet Oberbürgermeister Christian Ude, dessen Ehefrau Edith das Trachten-Gebot gewissenhaft befolgt, für den Ehrengast aus Franken in die Bresche: Es gebe keine Kleidervorschrift, "man darf auch zeigen, dass man nicht dazugehört". Das ist ein klassischer Ude, vordergründig nett, aber doch sehr gemein, und unsere Bewunderung für Marga Beckstein wächst noch mehr.

Als das Blitzlichttheater im Bierdunst begann, ließ sie sich nicht aus der Fassung bringen. Sie hatte eine schwer definierbare, im weitesten Sinne trachtenähnliche, eher längliche und wild geblümte Jacke mit Stehkragen an. Sie sah darin keinesfalls lächerlicher aus als in einer Zwangstrachtenjacke. Sie hat es im Dirndl-Gate-Skandal allen gezeigt. Und dieser Auftritt erforderte durchaus Mut und große Tapferkeit.

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