Süddeutsche Zeitung

Eine Schauspielerin erinnert sich:Wo is es denn?

Spielen in der Mehrzweckhalle

Von Brigitte Hobmeier

Das muss 2001 gewesen sein. Mein erstes Vorsprechen nach zweieinhalb Jahren Wurzen spielen bei Peter Steins "Faust"-Projekt. Viele der damaligen Kollegen weigerten sich an sogenannten B-Häusern vorzusprechen. Die Nase war hoch droben, aber Gott sei Dank und Gott hab ihn selig, flüsterte mir Adam Oest, mein geliebter Mephisto, ins Ohr: "Geh' zum Stückl. Der fängt neu an, und der spinnt. Der ist gut für dich." Überhaupt ein Vorsprechen zu bekommen, zählte ich schon als Erfolg. Selbstverständlich war das nicht. Also los! Heim nach München. Aber wo bitte ist jetzt hier das Theater? Brienner Straße rauf und runter. In der Erinnerung war es schon dunkel, kalt, und es regnete glaub ich auch. Wenn ich s nicht bald finde, ist mein Vorsprechen vorbei. "Entschuldigens, wo is n hier des Theater?" "Doo nei." "Aha?" Aber was ist das? Eine Mehrzweckhalle, die über Jahrzehnte hinweg beteuert, ein Theater zu sein? "Haus des Sports?" "Jaja. Des stimmt scho, do hinten is des Theater drin." Ich bin später noch, als ich das Engagement längst schon hatte, einige Male noch dran vorbei geradelt. Irgendwann kam dann der bekannt rote Würfel: VOLKSTHEATER. Also, do nei.

Ich dachte, ich könnte Stückl mit meiner Bernauerin von Carl Orff begeistern. Tragisch. Ernst. Würde er dadurch doch merken, ich spreche auch seine Mundart. Aber ihn begeisterte mein tragikomischer "Marmelade-Konfitüre"-Monolog. Eine einsame Frau, im Caféhaus sitzend, sinniert über Kommunikationsschwierigkeiten mit ihrem Mann. Eigentlich sollte meine Spielpartnerin eine üppige Sahnetorte sein. Gegenüber in der Bäckerei gab es aber nur eine trockene Quarktasche. Die sollte also über meine weitere Zukunft entscheiden. Na super. Doch ich war kaum fertig, da stürmte Stückl hoch zu mir auf die Bühne: "Super, mit da Quarktaschn, haha, super. Ja. Mit dir möcht i arbeiten. Fangst oo bei mir?" "Äh? Ja." Und ich durfte spielen. Endlich. Endlich jemand, den meine Kraft nicht störte, den ich und der mich beflügelte. Theaterviecher wurden wir genannt. Vielleicht waren wir's ja auch.

Ich durfte spielen und spinnen, die Riederinger kennenlernen, mich von ihnen tratzen und umtanzen lassen. Danke Christian, für diese schöne Zeit in dieser greisligen Mehrzweckhalle. Ein Theater war es wirklich nicht. Aber Theater haben wir drin gemacht. Den Neubau gönnt dir die ganze Stadt. Ich wünsch dir eine glorreiche Zeit und fui Spaß beim Arbeiten!

Ach so. Nach dem Vorsprechen rief ich meine Mutter an. "Du Mama, der wui mi!" "Ja, super Kind!" "Ja schon, aber Mama, ich glaub der spinnt wirklich." Kurzes Schweigen auf der anderen Seite der Leitung und dann die sanfte Stimme meiner Mutter: "Des macht doch nix Kind, Du spinnst ja a."

Brigitte Hobmeier war von 2002 bis 2005 Ensemble-Mitglied des Münchner Volkstheaters.

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Quelle:
SZ vom 19.06.2021
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