Ein unmoralisches Angebot:Tumulte im Gerichtssaal

Ein aufgeregter Vater, eine verschwiegene Tochter, ein wütender Verteidiger. "Wir sind doch hier nicht bei Barbara Salesch!", ruft die Richterin. Genau, es ist nämlich fast spektakulärer.

Stephan Handel

Ein Strafprozess ist oftmals eine sehr langweilige Veranstaltung. Wenn jedoch die, nun ja, engagierte Familie einer Zeugin, ein kämpferischer Verteidiger und eine um Souveränität bemühte Richterin aufeinandertreffen - dann kann's gelegentlich richtig rundgehen. So wie am Mittwoch.

Zur Verhandlung stand der Fall des Nasim J., 26, früher Ladendetektiv bei C&A. Dort soll er die 16-jährige Yasmin G. beim Diebstahl aufgegriffen haben. Anstatt aber nun seine Pflicht zu tun, nämlich eine Anzeige zu schreiben, machte er dem Mädchen, so die Anklage, ein unmoralisches Angebot: Wenn sie sich mit ihm treffen würde, könnte er auf die Anzeige verzichten. Um deutlich zu machen, dass er es ernst meinte, nahm er dem Mädchen auch noch den Ausweis ab. Das brachte ihm die Anklage wegen Nötigung ein.

Im Zeugenstand erscheint das mutmaßliche Opfer. Sie schildert, wie viel Angst sie hatte, dass sie dem Mann alles glaubte, was er sagte, dass sie alles Mögliche tat, um ihn von seinem Plan abzubringen. Genutzt hat alles nichts, schließlich musste sie doch mit Nasim J. Kaffee trinken gehen. Das habe ihr so zugesetzt, dass sie bis heute unter psychischen Problemen zu leiden habe.

"Wir sind hier nicht bei Barbara Salesch!"

Diese Aussage seiner Tochter bringt im Zuschauerraum den Vater von Yasmin so sehr in Rage, dass er mehrere Male die Verhandlung stört und den Angeklagten beschimpft - so laut, dass Richterin Patricia Hamel ihm mit 300 Euro Ordnungsgeld und der Entfernung aus dem Saal droht: "Wir sind hier nicht bei Barbara Salesch!" Doch das ist erst der Anfang.

Denn nun ist Verteidiger Hartmut Wächtler an der Reihe, Fragen zu stellen. Er findet es merkwürdig, dass der Polizist, bei dem die G.s ihre Anzeige erstatteten, der Familie bekannt war - aus "familieninternen Einsätzen".

Was denn das bedeute, will Wächtler wissen. Yasmin windet sich und fragt die Richterin, ob sie darauf antworten müsse. Die versucht die Frage neutraler zu formulieren, doch das genügt Wächtler nicht. Hamel sagt, eine solche Befragung der Zeugin könne sich bei einer eventuellen Verurteilung strafverschärfend auswirken.

Da kommt sie bei Wächtler an den Richtigen. Er verlangt die Protokollierung dieses Satzes. Hamel sagt zunächst, sie erwäge, der Zeugin einen Anwalt zur Seite zu stellen, der sie berät, wenn aus den "familieninternen Einsätzen" strafrechtlich Relevantes erwachsen könne. Dafür werde nun unterbrochen.

Wächtler besteht auf der Protokollierung. Hamel sagt, er könne den Antrag ja schriftlich stellen. Und weil die Anwältin Annette von Stetten gerade im Gerichtsaal anwesend ist - sie soll im folgenden Fall verteidigen - wird sie kurzerhand zum Zeugenbeistand bestellt. Vater G. hat mittlerweile zur Vermeidung des Ordnungsgeldes den Gerichtssaal verlassen, nicht ohne im Hinausgehen Wächtler noch ein bisschen zu beschimpfen.

Dann glätten sich die Wogen. Wächtler reicht den Antrag auf Protokollierung ein, darüber entschieden wird beim nächsten Termin am 7. Februar.

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