Ein Langzeit-Süchtiger im Gespräch:"Heroin - das war mein Leben"

Dieter Hornung war 30 Jahre schwer heroinabhängig, in die Entgiftung musste er krabbeln. Seit 2004 ist er clean - doch er weiß: "Ich bin gegen nichts gefeit."

Christina Warta

Dieter Hornung ist 55 Jahre alt und stammt aus Frankfurt. Er war 30 Jahre lang heroinabhängig. 2004 schaffte er den Absprung. Seither ist er clean.

Ein Langzeit-Süchtiger im Gespräch: Dieter Hornung ist heute 55 Jahre alt - seine Drogenkarriere begann bereits im Teenageralter.

Dieter Hornung ist heute 55 Jahre alt - seine Drogenkarriere begann bereits im Teenageralter.

(Foto: Foto: Catherina Hess)

SZ: Wie sind Sie abhängig geworden?

Hornung: Ich bin 1954 geboren. Meinen Vater kenne ich nicht, meine Mutter hat wieder geheiratet. Ich bin bei den Großeltern aufgewachsen, in Hanau, in einem Kasernenviertel mit amerikanischen Soldaten. 1968, als ich 14 war, kamen viele aus dem Vietnamkrieg zurück. Viele waren abhängig. Da kam ich früh mit Drogen in Kontakt. Mit 15 hab' ich das erste Mal Haschisch geraucht, hab' es ein paar Jahre konsumiert, hab' schon vom Heroin gehört, aber hab' mich nicht rangetraut. Dann hab' ich mein erstes Delikt gehabt wegen ein paar Kilo Haschisch, die ich verkauft hab', war das erste Mal im Gefängnis. Ich war immer schon so agil, hyperaktiv vermutlich. Da hab' ich einen Kumpel gefragt, ob er nicht was hätte, was mich ruhiger macht. Da hab' ich dann das erste Mal Heroin genommen.

SZ: Im Gefängnis?

Hornung: Nee, draußen. Das hat mir gefallen, das hat mich ruhiger gemacht, das war gut. Ich hab's dann regelmäßig gemacht - bis ich mal keines hatte und gemerkt habe, was da los war. Da war ich schon abhängig, mit 21. Und dann ging das immer so weiter. Da gab's ein Mädchen, das auch abhängig war, dann musste man sehen, dass man für zwei Zeug ranschafft. So bin ich in die Illegalität abgesunken: Hab' Kurierfahrten mit Leihwagen nach Marseille oder Amsterdam gemacht und eine Ladung geholt, oder ich hab' selbst etwas eingekauft, um das überhaupt zu finanzieren.

SZ: Wie sahen Ihre Tage aus?

Hornung: Einen Wecker hab' ich nicht gebraucht. Mein Körper hat sich schon gemeldet, wenn er was gebraucht hat. Dann bin ich aufgewacht, hab' mir die Heroinzubereitung aufgekocht und das gespritzt oder später dann geschnupft, als ich überall Abszesse gekriegt hab'. Dann gewaschen, gefrühstückt - und dann musste ich halt sehen, wo ich meine nächste Portion sichern konnte. Ich hab's mit Kurierfahrten und so finanziert, aber viele Mädels sind in die Prostitution abgerutscht, andere haben geklaut, aber das war nicht mein Ding.

SZ: Das ging 30 Jahre lang?

Hornung: Wenn ich jetzt so drüber nachdenke, die 30 Jahre - irgendwie war ich da gar nicht existent. Unnütze Jahre.

SZ: Haben Sie eine Therapie gemacht?

Hornung: Nein, all die Jahre nicht. Ich wollte auch nicht substituiert werden, mit Codein oder Methadon. Ich fand das noch viel schlimmer, weil die Leute in eine noch größere Abhängigkeit kamen als mit dem Heroin, nur damit eine Firma dran verdient. Bis 2004 hab' ich nie versucht, aus dem Trott rauszukommen. Da dachte ich: Das ist jetzt mein Leben.

SZ: Was war 2004?

Hornung: Man hat mich wieder mal in der Bewährungszeit verhaftet mit zwölfmal Eigenbedarf. Der Staatsanwalt hat gesagt: Wenn Sie jetzt keine Therapie machen, geht's erst mal länger ab ins Gefängnis. Dann hieß es: jetzt oder nie.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Dieter Hornungs Weg aus der Sucht begann.

"Irgendwann musste wach werden"

SZ: Wie schafften Sie den Absprung?

Hornung: Ich hab' einen Termin ausgemacht: Am 5. Oktober sollte ich in Therapie gehen. Dann hab' ich am 18. September meine letzten 60 Euro in Heroin umgesetzt und bin am 19. morgens in die Entgiftung gekrabbelt. Ich wusste von meiner Krankheit und dachte: Dieter, jetzt biste 50, irgendwann musste mal wach werden. Ich wollte nicht mehr abhängig sein.

SZ: Nun also eine Wohngruppe.

Hornung: Ja, weil ich das so wollte, es war mein Ziel, und ich hab's geschafft. Ich war 30 Jahre abhängig, hab' neun Monate Psychotherapie in Frankfurt gemacht, dann eine Soziotherapie in der Nähe von Erlangen. Dort ist meine Krankheit eskaliert, weil die Gegend sehr feucht ist. Ich hab' ein Lungenemphysem in der kritischen Endstufe, meine Lungenfunktion ist eingeschränkt. Bevor ich hier einziehen konnte, im Betreuten Wohnen 40 plus von Condrobs, war ich noch mal lange im Krankenhaus und auf Reha. Wir sind zu dritt in der Wohngruppe: Es ist auch ein Jüngerer dabei, der noch nicht ganz so stabil ist wie ich.

SZ: Ein Männerhaushalt...

Hornung: ...dafür ist es ganz ordentlich, das haben sogar die Mädels gesagt.

SZ: Was sind für Sie die größten Probleme, wenn man älter wird?

Hornung: Wenn man aus der Abhängigkeit rausgeht: Was macht man dann? Ich kann nichts mehr arbeiten gehen, ich darf nicht mal einen Minijob machen. Man muss die Zeit in wachem, nüchternem Zustand rumbringen. Ich bin vier Jahre sauber, aber ich bin gegen nichts gefeit. Mit meiner Gesundheit habe ich genug zu tun, geographisch bin ich weit weg von zu Hause. Ich muss mir jetzt hier ein neues soziales Umfeld aufbauen.

SZ: Wie erleben Sie das Alter in Ihrem Bekanntenkreis?

Hornung: In meinem Alter werden es immer weniger. Die meisten sind nicht so alt geworden wie ich. Dann gibt's noch zwei, drei, die etwas älter sind.

SZ: Was erhoffen Sie von der Zukunft?

Hornung: Ich wünsche, dass ich noch ein paar Jahre gesund und drogenfrei bleibe. Und ich wünsche mir, dass sich mehr Menschen Gedanken machen über die Problematik Sucht. Es hat ja ewig gedauert, bis man einen Heroinabhängigen als Kranken anerkannt hat.

SZ: Und wie sieht Ihr Leben jetzt aus? Geht es Ihnen gut?

Hornung: Gut, na ja: Gut ist übertrieben. Das Problem ist: Was mach' ich mit der vielen Zeit? Man muss was zu tun haben, sonst geht's ganz schnell wieder in die falsche Richtung. Vielleicht mache ich demnächst was Ehrenamtliches.

SZ: Wie ist es mit Freunden?

Hornung: Ich musste mit vielen brechen, aber es war auch umgekehrt: Andere haben sich von mir abgewandt, weil ich in der Drogenszene war und sie sich mit mir nicht sehen lassen konnten.

SZ: Und wenn Sie mal Hilfe brauchen?

Hornung: Es war schon hart für mich, dass mein Körper nicht mehr so belastbar ist: Ich kann nicht mehr schwimmen gehen, nicht mehr in die Sauna. Auch am Wochenende war ich gesundheitlich angeschlagen, deshalb war ich froh, dass jemand da war. Das hat mir Kraft gegeben. Die Einsamkeit ist schon ein Problem.

SZ: Haben Sie irgendwann mal einen Moment in Ihrem Leben verflucht?

Hornung: Ich hab 30 Jahre Heroin genommen, das kann ich nicht ändern, und ich hab den Willen aufgebracht, damit aufzuhören. Ich mache auch niemand für mich verantwortlich. Ich kann sogar verstehen, dass die Gesellschaft sagt: Wieso sollen wir dafür zahlen, wenn sich Menschen mit Gewalt kaputtmachen? Da ist schon was dran.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche neuen Hilfsangebote es für langjährige Drogenabhängige gibt.

Hospize für Junkies

Neue Konzepte für eine neue Zielgruppe

Eine Fachtagung in München beschäftigt sich an diesem Donnerstag mit dem Thema "Ältere Drogenabhängige - Versorgungskonzepte an der Schnittstelle zwischen Sucht- und Altenhilfe". Mit dem Ausbau der Drogenhilfe haben sich die Überlebenschancen für Drogenabhängige deutlich verbessert, die Zahl der über 45-Jährigen ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. "Das ist eine ganz neue Zielgruppe, für die wir neue Konzepte brauchen", sagt Klaus Fuhrmann vom Suchthilfeverein "Condrobs".

Auch in München hat sich die Szene verändert: Im Kontaktladen des Vereins an der Rosenheimer Straße etwa waren noch vor 20 Jahren 70 Prozent der Klienten zwischen 25 und 35 Jahre alt. Heute sind 60 Prozent älter als 40 Jahre. Fuhrmann ist überzeugt, dass künftig nicht nur betreutes und therapeutisches Wohnen für Drogenabhängige, sondern auch Arbeitsprojekte, ambulante Pflegeangebote und Hospize benötigt werden. "Viele Drogenabhängige haben gar keinen oder einen hochproblematischen Kontakt zu ihren Familien", so Fuhrmann, "wo sonst Angehörige helfen, bleiben Drogenabhängige allein."

Außerdem brauchen Menschen, die lange Drogen konsumiert haben, meist schon rund 20 Jahre früher Hilfe als Senioren ohne Suchtvergangenheit. Auch deshalb können sich ehemalige Abhängige kaum in ein herkömmliches Altersheim integrieren: "Die Insassen dort sind deutlich älter, und sie haben ein völlig anderes Leben hinter sich", sagt Klaus Fuhrmann. "Condrobs" hofft dennoch auf Kooperationspartner aus der klassischen Altenhilfe. "Es ist immer besser, sich zu integrieren als zu isolieren." In speziellen Wohngruppen ist außerdem geplant, dass sich "die Gesünderen um die weniger Gesunden kümmern".

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