Schule in München:82 Deutschklassen mit einem gemeinsamen Ziel

Schule in München: Zwölf von 24 Schulstunden unterrichtet Lehrerin Verena Frei (Mitte) in ihrer Deutschklasse alleine - die übrige Zeit unterstützen sie Studenten.

Zwölf von 24 Schulstunden unterrichtet Lehrerin Verena Frei (Mitte) in ihrer Deutschklasse alleine - die übrige Zeit unterstützen sie Studenten.

(Foto: Robert Haas)
  • Die Deutschklassen ersetzten die bisherigen Übergangsklassen für Geflüchtete.
  • Die Kinder sollten nun nicht mehr in zwei Jahren, sondern in nur einem Jahr sprachlich Anschluss finden.
  • Doch ein Lehrer ist für eine solche Klasse meist zu wenig, die Mittel für mehr Stellen fehlen.

Von Jakob Wetzel

An diesem Dienstagvormittag ist Verena Frei nicht alleine. Die Lehrerin unterrichtet die 8 d, eine Deutschklasse an der Mittelschule an der Simmernstraße in Schwabing, und jetzt ist Nadine Eichhorn bei ihr. Die Lehramtsstudentin leistet, was Frei alleine nicht schaffen würde: Sie kümmert sich um ein Mädchen aus Moldawien, deren Eltern nicht wollen, dass ihr Name in der Zeitung steht. Die 15-Jährige spricht kaum Deutsch, viel weniger noch als die anderen Kinder in der Klasse. Sie ist erst seit wenigen Wochen im Land. Und sie ist noch dazu Analphabetin.

In Deutschklassen gehen Kinder, die für normalen Unterricht zu wenig Deutsch sprechen. Viele der Schüler in Freis Klasse sind bereits seit etwa einem halben Jahr in München und haben in dieser Zeit viel gelernt, sie üben nun Personenbeschreibungen und wie man unbestimmte Artikel verwendet. Für die 15-Jährige aus Moldawien ist das aber noch zu hoch. Statt Grammatik übt Eichhorn mit ihr Vokabeln.

Deutschklassen gibt es in Bayern seit Herbst: Die Staatsregierung hatte mit dieser Idee im April 2018 die Schulen überrascht. Die Deutschklassen ersetzten die bisherigen Übergangsklassen für Geflüchtete. Die Kinder sollten nun nicht mehr in zwei Jahren, sondern in nur einem Jahr sprachlich Anschluss finden. Wer das nicht schaffte, sollte in eine Deutsch-Plus-Klasse gehen, in der es zusätzliche Deutschstunden gibt. Außerdem sollte es neue Fächer wie kulturelle Bildung und Werte-Erziehung geben. Und sie sollten ganztags unterrichtet werden. Im September wurden alleine in München 82 Deutschklassen eingerichtet, 60 davon an Mittelschulen, die übrigen an Grundschulen. 1339 Schülerinnen und Schüler besuchen derzeit insgesamt eine Deutschklasse in München, an den Mittelschulen sind es 954.

An diesem Dienstag haben Politiker fast aller Landtagsfraktionen besichtigt, was das bedeutet: Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband hat unter dem Motto "Pädagogik trifft Politik" in die Mittelschule an der Simmernstraße eingeladen. Hier gibt es drei Deutschklassen mit zusammen 59 Kindern; der Migranten-Anteil unter den insgesamt 290 Schülern liegt bei 86 Prozent. Das liegt aber auch daran, dass es Deutschklassen nur an 24 von 44 öffentlichen Mittelschulen in München gibt und dass das Schulamt daher Schüler aus der ganzen Stadt hierher schickt.

Für einen Schulbesuch ist der Tag günstig: Die Abgeordneten besuchen die Deutschklasse von Frei und die 7 a, die Deutsch-Plus-Klasse von Klassleiterin Marion Hiller. Beide Lehrerinnen haben gerade Hilfe: Bei Frei ist Eichhorn, bei Hiller eine zweite Lehrerin, Caterina Steigenberger. Immer ist das aber nicht so. Eichhorn ist nur zwei Schulstunden pro Woche in der Klasse. Zehn Stunden übernimmt ein anderer Student, die Hälfte der Zeit aber ist Frei allein. Bei Hiller ist es nicht anders.

Zu wenige Stunden für die Betreuung

Wenn man allein sei, "muss man ständig Entscheidungen treffen", sagt Frei. Man müsse Prioritäten setzen und flexibel bleiben, anders gehe es nicht. Und immer wieder spricht sie von Differenzierung, also davon, auf jeden Schüler und jede Schülerin individuell einzugehen. Die Voraussetzungen der Kinder seien zu unterschiedlich. Derzeit stammen sie unter anderem aus dem Irak, aus Mazedonien, Vietnam, Sierra Leone, Russland, Griechenland und eben Moldawien. Manche könnten keinen Stift halten, andere seien in ihrer Heimat in Privatschulen gewesen, erzählt Frei. "Wir haben Schüler, die das Einmaleins nicht können. Andere fragen mich: Wann rechnen wir mit dem Satz des Pythagoras?" Die einzige Gemeinsamkeit sei, dass alle kein Deutsch sprechen.

Die Schule versucht, das aufzufangen. Es gibt Patenschaften zwischen den Klassen und Projekttage, um die Kinder in Kontakt zueinander zu bringen, sie sollen dabei wie nebenher die Sprache lernen. Und die Schüler seien motiviert, berichtet Konrektorin Birgit Dittmer-Glaubig. Schuleschwänzen etwa sei kein Thema. Alles sei aber nur zu schaffen, wenn mehr als eine Lehrkraft in der Klasse sei, sagt Schulleiterin Angelika Thuri-Weiß - aber dafür gebe es schlicht zu wenige Grund- und Mittelschullehrer, besonders im teuren München. Heuer habe das Schulamt ihre Schule zwar gut mit Lehrern versorgt. Dennoch muss sie sich mit sogenannten Drittkräften behelfen wie zum Beispiel Studenten - aber dafür gebe es künftig weniger Mittel.

Eine Herausforderung sei vor allem die Umstellung auf den Ganztag gewesen, erzählt Thuri-Weiß. Konkret etwa das Mittagessen: Bisher gab es an der Mittelschule einen offenen Ganztag; die Kinder gingen ins Jugendhaus Schwabing, das von der katholischen Kirche getragen wird. Mit der Einführung der Deutschklassen wurde nun für viele Kinder der Ganztag Pflicht. Viele Eltern seien aber überfordert damit, das nötige Geld dafür beim Job-Center zu beantragen. "Bei uns bekommt jeder ein Essen!", erläutert Jugendhaus-Leiterin Nina Litz-Kunisch. Im Ergebnis bleibe das Jugendhaus auf den Kosten sitzen.

Hinzu kommt ein Platzproblem. Bisher gingen bis zu 40 Kinder ins Jugendhaus, nun sollten es plötzlich etwa 85 sein, wie Litz-Kunisch berichtet - dabei gab es im Jugendhaus nur 60 Stühle. Damit der Ganztag funktioniert, kochen die Lehrer das Essen für eine Klasse selbst. Und die Lehrer leisten noch mehr unbezahlte Mehrarbeit: Sie koordinieren zum Beispiel auch den Nachmittag mit dem Jugendhaus, damit die Betreuer dort wissen, welchen Stoff die Kinder lernen. Einen Ausgleich dafür gibt es nicht.

Die Abgeordneten haben die Klagen aus der Schule vernommen. "Wir ruhen uns auf dem Engagement der Stadt und der Studenten aus", sagt Anna Toman von den Grünen. Man könne den Schulen mehr Eigenverantwortung geben, sagt Matthias Fischbach (FDP). Bei den Deutschklassen könne man andere Maßstäbe bei der Bürokratie anlegen, schlägt Otto Lederer (CSU) vor. Eva Gottstein von den Freien Wählern denkt an bessere Lehrwerke und an Fortbildungen. Sie alle wollen die Klagen jetzt in ihre Fraktionen tragen.

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