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Eignungstests an Universitäten:Hingabe statt Einser-Abitur

Wer bekommt wo einen Studienplatz? Und für welches Fach? Um die richtigen Studenten auszuwählen, setzen Münchner Universitäten auch auf Eignungstests. Doch die Zukunft dieses Instruments steht infrage.

Von Sebastian Krass

In diesem Sommer gab es diese Bewerberin mit den Kraftorten. Wenn Regine Keller von ihr erzählt, liegt in ihrem Blick immer noch eine Mischung aus Faszination und Verwunderung. Die Bewerberin mit Hang zur Esoterik also brachte zum Aufnahmetest für einen Studienplatz in Landschaftsarchitektur an der Technischen Universität (TU) München eine Karte mit. "Auf der hatte sie alle Kraftorte in München markiert", erzählt die Landschaftsarchitektin Keller, die zugleich TU-Vizepräsidentin für Studium und Lehre ist. "Sie war fest überzeugt, dass München an einer Stelle entstanden ist, wo besonders viele Kraftorte sind. Ich habe ihr gesagt: 'Das, was Sie hier machen, kann ganz schön in die Hose gehen.'" Ging es aber nicht. Die Bewerberin bekam den Studienplatz. Sie habe die Kommission nicht unbedingt mit den Kraftorten überzeugt, sondern "mit der Hingabe, mit der sie sich in ein Thema vertieft hatte", sagt Keller.

Wer bekommt wo einen Studienplatz? Und für welches Fach? Das ist im Moment das große Thema für angehende Studenten wie für die Hochschulen. Mitte Juli endeten die Bewerbungsfristen für die meisten Bachelor-Studiengänge. Danach begannen die Auswahlverfahren. Jetzt, im August, gehen die Zu- und Absagen raus. In manchen Fächern ist das eher einfach, in Elektrotechnik an der TU zum Beispiel oder in Germanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU): Jeder, der die nötigen Papiere einreicht, kommt rein.

Eignungstests als zusätzliche Hürde

Doch diese Fächer werden deutschlandweit weniger, weil die Kapazitäten nicht reichen für die 500.000 jungen Menschen, die Jahr für Jahr an die Unis strömen. An den 20 größten deutschen Unis sind inzwischen zwei Drittel der Bachelor-Studiengänge mit einem Numerus clausus (NC) versehen. Zu den 20 größten gehören auch die beiden Münchner Unis. Und natürlich gibt es auch hier NCs, an der Ludwig-Maximilians-Universität für Staatsexamensfächer wie Medizin und Jura und für 13 von 62 Bachelor-Hauptfach-Studiengängen. An der TU gibt es NCs für Ernährungswissenschaften und Lebensmittelchemie. Doch es gibt einen weiteren Weg, um in die Uni zu kommen, und der ist in München, besonders an der TU, weit verbreitet: das Eignungsfeststellungsverfahren. Oder kürzer: der Eignungstest.

Mit diesem Instrument können die Hochschulen viel gezielter als mit dem NC auswählen, wen sie für geeignet halten und wen nicht. Es sei für beide Seiten besser, wenn man schon vor dem Studium in persönlichen Kontakt kommt, sagt Keller. "Manchmal sind diese Gespräche auch eine zusätzliche Studienberatung, bei der sich herausstellt, dass die jungen Menschen in einem anderen Fach besser aufgehoben wären. Wir glauben, dass wir damit die Abbrecherquoten senken."

Martin Wirsing, LMU-Vizepräsident für Lehre und Studium, sieht das genauso. Er habe sich einmal eine Übersicht geben lassen, erzählt er: "Bei Fächern, die keine Eignungsfeststellung hatten, lag die Schwundquote nach zwei oder drei Jahren bei mehr als 40 Prozent. Bei den Fächern mit Eignungstest waren es 30 Prozent oder weniger."

Aber das Eignungsfeststellungsverfahren birgt auch Probleme: Es macht viel Arbeit, die Maschinenbauer an der TU hatten dieses Jahr 1850 Bewerbungen, 300 Interessenten luden sie zum Auswahlgespräch. Mit dem NC könnte man sich das sparen. Gravierender ist aber, dass das Wissenschaftsministerium Bedenken hat gegen die Eignungstests. Der Freistaat hat mehrmals vor Verwaltungsgerichten verloren, wenn Menschen, die im Eignungstest durchgefallen sind, einen Studienplatz einklagten.

Die Richter erklären, die Tests höhlten den Wert des Abiturs und vergleichbarer Abschlüsse, die die "allgemeine Hochschulreife" bescheinigen, aus. Ein Eignungstest sei dann zulässig, wenn der Studiengang so besonders ist, dass die Hochschulreife allein nur begrenzte Aussagekraft besitzt. Unbestritten ist das etwa für die Studiengänge an Kunst- und Musikhochschulen oder für das Sportstudium. Die Senkung von Abbrecherquoten hat vor dem Gesetz keinen Bestand.

Zu diesem Semester wollte die LMU neue Eignungstests einführen, in Medieninformatik und Philosophie, sie kam damit beim Ministerium nicht mehr durch. Die LMU hätte nachweisen müssen, dass die Hochschulreife allein nicht reicht, um die Qualifikation von Bewerbern nachzuweisen. Dafür habe sie "keine hinreichenden Gründe" genannt, erklärt das Ministerium. Doch was ist dann mit Politikwissenschaft an der LMU oder Maschinenbau an der TU: Müsste dafür dann nicht auch das Abitur reichen? Jemand, der nicht genommen wird und einen Studienplatz einklagt, hätte vor Gericht gute Chancen.

Wird das Ministerium nun auch bestehende Eignungstests abschaffen? "Die Gefahr existiert", sagt LMU-Vize Wirsing. Die Unis sind in Alarmstimmung. Das Ministerium versucht zu beschwichtigen: Man plane "von sich aus nicht, bereits laufende Eignungsfeststellungsverfahren abzuschaffen". Eine Formulierung, bei der mitschwingt: Vielleicht zwingen uns Gerichte. Man könnte versuchen, das Problem zu lösen, indem man flächendeckend auf den NC setzt. Der hätte wohl mehr Bestand vor Gericht. Aber das wollen die Unis nicht - und die Studentenlobby auch nicht.

"Die meisten Fachschaften sind für Eignungstests", sagt Theodor Fall, der die Studenten im Senat der LMU vertritt. Fall studiert Philosophie, ein Fach mit etwa 250 Erstsemestern pro Jahr. "Viele haben bei einem Philosophiestudium völlig falsche Erwartungen, sie denken nicht, dass es bei uns um harte Textarbeit, oft auf Englisch, geht. Gerade die Logik im ersten Semester ist ziemlich schwierig."

Nachdem der Eignungstest nicht durchkam, behilft sich die Fakultät nun damit, dass sie zur Anmeldung einen Selbsttest stellen, den Bewerber machen und den Unterlagen beilegen sollen. Rechtsverbindlich sei das Ergebnis nicht, sagt LMU-Vize Wirsing. "Aber so können die Studierenden ihre Erwartungen mit den Erwartungen der Uni abgleichen." Auch Sebastian Biermann, Vorsitzender des TU-Fachschaftenrats, sieht "keine wirkliche Alternative zu Eignungstests". Der NC sei "viel zu undifferenziert".

Und nun? Anfang Juli gab es im Ministerium ein Krisengespräch mit den Hochschulen, bei dem ein Landesanwalt die Probleme erläuterte. Nun sollen Arbeitsgruppen klären, wie die Eignungstests zu retten sind. "Die zündende Idee haben wir noch nicht", sagt TU-Vize Keller. Und letztlich, auch das sagt sie, "gibt es kein System, das Ungerechtigkeiten völlig ausschließt".

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SZ vom 08.08.2013/mmo
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