Ehrenamtliche in Stadelheim:Freiwillig im Knast

Ehrenamtliche in Stadelheim: "Wir kommen als Menschen zu Menschen, nicht als Gutmenschen zu Straftätern": Ehrenamtliche sprechen mit Sexualstraftätern in der JVA Stadelheim.

"Wir kommen als Menschen zu Menschen, nicht als Gutmenschen zu Straftätern": Ehrenamtliche sprechen mit Sexualstraftätern in der JVA Stadelheim.

(Foto: Stephan Rumpf)

In der JVA Stadelheim engagieren sich etwa 100 Ehrenamtliche. Sie helfen Sexualstraftätern und anderen Gefangenen bei der Resozialisierung. Eine Frage, die sie oft hören: "Habt ihr nichts Besseres zu tun als zu den Lumpen zu gehen?"

Von Bernd Kastner

Bernhard Moninger ist ein Lebenslänglicher der besonderen Art. Seit 1975 ist er hinter hohen Mauern, und auch jetzt, da seine Zeit längst abgelaufen ist, kommt er weiter regelmäßig ins Gefängnis. Er hat ja auch noch die Schlüssel und kommt überall hin in Stadelheim. Nach H1 zum Beispiel, auf die Station für Sexualstraftäter.

Zehn Minuten dauert der Weg von der Pforte dorthin, Tür auf, Tür zu, Treppe rauf, Treppe runter, auf, zu, raus in den Hof, wieder rein, aufschließen, zuschließen, hoch in den ersten Stock. Auf H1 sitzt der 69-Jährige auch jetzt wieder und hat seine Leute um sich versammelt. Bernhard Moninger hat hier Jahrzehnte als Sozialpädagoge gearbeitet, und als er vor fünf Jahren in den Ruhestand ging, gab er keine Ruhe. Er berät weiter jene, die sich um die Gefangenen kümmern. Seit 30 Jahren existiert dieser Arbeitskreis der Ehrenamtlichen in der Straffälligenhilfe. Still und bescheiden leisten dessen Mitglieder, was der Staat nie könnte.

Ein Stuhlkreis der besonderen Art

Wenn es draußen heiß und stickig ist, dann ist es drinnen, im Altbau aus dem Jahr 1894, noch heißer und noch stickiger, als würden die Gitter vor dem offenen Fester jedes Lüftchen abhalten. Drinnen hat sich ein Stuhlkreis der besonderen Art gebildet, in einem Raum, der wie eine Mischung wirkt aus Bibliothek und Turnhalle. An den Wänden Regale voller Bücher, daneben eine Sprossenwand. Dazwischen sitzen vier Häftlinge, neben ihnen einige Betreuer, auch der JVA-Chef ist gekommen.

"Habt ihr nichts Besseres zu tun als zu den Lumpen zu gehen?" Christiane Ketterer erzählt von den Fragen, die sie oft hört: Warum helft ihr ausgerechnet denen? Seit gut 20 Jahren betreuen sie und ihr Mann Walter, 69 und 70 Jahre alt, jene, die einem anderen Menschen Schlimmes angetan haben. "Wir wollen für ausgestoßene Menschen etwas tun und für sie da sein", sagt Walter Ketterer, der bis vor ein paar Jahren eine kleine Hand-Buchbinderei betrieben hat. Ihr Antrieb sei ein christlicher.

12103 Haftplätze

gibt es in Bayern. Laut Internetauftritt des Justizvollzugs im Freistaat sind davon 11 241 Plätze für Männer vorgesehen und nur 862 für Frauen. Insgesamt verfügt Bayern über 36 Justizvollzugsanstalten sowie 6 Jugendarrestanstalten. Die JVA Stadelheim kann etwa 1300 Gefangene aufnehmen. Damit ist Stadelheim eines der größten Gefängnisse in Deutschland.

Eigentlich wollte er sich vor vielen Jahren in der Sterbebegleitung engagieren, aber das hat nicht geklappt, und als sie von dem Knast-Kreis erfuhren, haben sie ihn sich angeschaut. Seither machen sie das Gegenteil. Sie begleiten Menschen nicht hinaus aus dem Leben, sondern zurück ins Leben.

"Vielleicht hatte ich nur ein bisschen mehr Glück"

"Sie sind menschlich", sagt Frank Seitz. Er meint die Betreuer. "Sie geben uns das Gefühl, dass wir noch zur Gesellschaft gehören, dass wir noch was wert sind." Seitz hat acht Jahre gekriegt, bald hat er sie hinter sich. Je näher die Freiheit rückt, desto wichtiger werden die Ehrenamtlichen. Sie begleiten Häftlinge bei Ausgängen und im Urlaub, helfen ihnen, eine Wohnung zu finden, sich auf ein Vorstellungsgespräch vorzubereiten und oft die Enttäuschung hinterher zu verarbeiten. Vor allem aber sind sie Botschafter. Sie berichten drinnen von draußen und draußen von drinnen. Sie sind eine Brücke, deren Wert nicht in Euro zu beziffern ist.

Etwa 100 Ehrenamtliche mehrerer Institutionen engagieren sich in Stadelheim, das mit seinen rund 1300 Gefangenen eines der größten Gefängnisse Deutschlands ist. Der Arbeitskreis zählt gut 30 Mitglieder, 20 von ihnen betreuen Sexualstraftäter. Viel wird über "Resozialisierung" gesprochen, sie sind es, die dafür ihre Freizeit geben, fast unbemerkt von der Öffentlichkeit.

"Warum tun das die Menschen?" Viele stellen diese Frage, auch Häftling Martin Linner - sieben Jahre, drei Monate. Wollen die sich vielleicht einen Platz da oben reservieren? Er lacht und blickt dorthin, wo draußen der Himmel wäre. Die Ehrenamtlichen haben keine spektakulären Antworten zu bieten. Thomas Glas, 31 Jahre alt, Rechtsanwalt mit Fachgebiet Verkehrsrecht, denkt lange nach über die Frage nach dem Warum: "Vielleicht hatte ich nur ein bisschen mehr Glück." Er ist überzeugt, dass einen "Normal-Bürger" und einen Straftäter gar nicht so viel voneinander trennt, manchmal eben nur das Gegenteil von Glück. Warum also? Vielleicht, sagt er, weil er eine gewisse Empathie für diese Menschen spüre. "Im Täter ist immer auch ein Opfer zu sehen."

Einen Gegenpol zum Beruf

Laureen Koch sagt, sie haben einen Gegenpol zu ihrem Beruf gesucht, als Weinhändlerin hat sie viel mit Erfolgreichen und Wohlhabenden zu tun. Irgendwann hat sie sich in gewaltfreier Kommunikation fortgebildet, und dieses Wissen wolle sie auch auf H1 vermitteln. Reden und Handeln ohne Eskalation. Einen Beitrag zu einer Welt wolle sie leisten, in der sie leben möchte. Deshalb betreut sie Sven Teich. Einen Mann, der früher kaum Kontakt zu Frauen hatte, der sich selbst als sehr schüchtern bezeichnet, der viereinhalb Jahre gekriegt hat, und jetzt ist da eine Frau, die sich um ihn kümmert. Um ihn, der zum "Abschaum" gehöre. So spricht Sven Teich über sich selbst.

Ein professioneller Therapeut kann sich noch so sehr für einen Gefangenen engagieren, ihm haftet der Makel an, dass er das gegen Geld tut. Ist ja sein Beruf. Die Ehrenamtlichen dagegen tun es einfach so, und dieses "Einfach so" ist vielleicht der größte Wert. Überhaupt, vom Wert ist im Stuhlkreis auf H1 viel die Rede. Vom Selbstwert-Gefühl, das bei den Gefangenen oft auf Null geschrumpft ist; und von der Wert-Schätzung, die ihnen ihre Betreuer vermitteln. Es bemüht sich jemand um sie, ohne Geld dafür zu bekommen. "Diese Arbeit könnte von uns nicht geleistet werden", betont Michael Stumpf, der Chef der JVA München.

"Wir kommen als Menschen zu Menschen", sagt Christa Tegeler, "nicht als Gutmenschen zu Straftätern." Die Taten als solche sind kaum Thema bei ihren Gesprächen, sei es im monatlichen Gruppentreffen, sei es beim Einzelbesuch. Die Laien protokollieren nichts, müssen kein Therapieprogramm absolvieren, sie dürfen mit den Gefangenen reden, was sie wollen, oder ihnen einfach nur zuhören. Das alles ist unspektakulär, und gerade deshalb so wichtig. Bei jedem Besuch bringen sie eine Portion Normalität von draußen mit, und sei es, wenn sie, ohne Worte, Schach spielen. Oder Schafkopf. Das geht auch zu zweit, irgendwie.

Und warum tut ihr nichts für die Opfer?

Die wichtigste Aufgabe der Botschafter ist vielleicht das Zuhören. Wer zuzuhören vermag, dem öffnen sich Gefangene, das weiß Christa Tegeler. "Weinen kann ich überhaupt nicht, das brauche ich auch nicht", habe ihr mal eine junge Gefangene gesagt, die in der Frauenabteilung von Stadelheim saß. Dann sei die Frau, die nicht weinen konnte, kurz vor die Tür gegangen, und dort seien ihr doch die Tränen gekommen, sie wurden zu Sturzbächen. Frau Tegeler hat die Weinende in den Arm genommen, um ihr zu signalisieren: "Du bist genauso wertvoll wie jeder andere Mensch auch." Tat hin, Strafe her.

Und warum tut ihr nichts für die Opfer? Auch das ist so eine Standardfrage an die Ehrenamtlichen. "Tun wir doch!", entgegnet dann Christa Tegeler. Ihre Arbeit mit den Tätern sei automatisch Opferhilfe: "Wir versuchen zu verhindern, dass es neue Opfer gibt."

"Ich hab' doch nur euch"

Mitunter hält der Kontakt zwischen Ehrenamtlichen und ihren Schützlingen weit über den Tag der Freilassung hinaus. Nicht immer aber schaffen es die Gefangenen draußen. Die Ketterers erinnern sich noch gut, wie sie einen nach zehn Jahren am Tor abgeholt haben, noch nie haben sie einen so blassen Menschen gesehen. Sie haben dann Ausflüge gemacht mit ihm, dies und das, aber er hat es nicht geschafft. Heute sitzt er in Straubing, Sicherungsverwahrung. Klar, das sei enttäuschend gewesen, aber kein Grund, diesen Menschen aufzugeben. "Ich hab' doch nur euch", hat er einmal gesagt.

Auch der "Lebenslängliche" Bernhard Moninger, der für sein Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, trifft immer wieder mal einen von früher, beim Einkaufen, oder im Bus. Da sei die Freude dann groß, und einmal habe ein Ex-Stadelheimer durch den Bus seinem ehemaligen Betreuer zugerufen: "Sind Sie immer noch in Stadelheim?" Klar, er hat ja noch die Schlüssel.

Namen der Gefangenen von der Redaktion geändert.

Helfen im Gefängnis

Wer selbst Strafgefangene betreuen und bei dem Helferkreis mitmachen will, kann Kontakt zum Arbeitskreis Ehrenamtliche in der Strafgefangenenhilfe der Justizvollzugsanstalt München aufnehmen: Im Internet unter www.ak-eis.de oder www.ehrenamt-im-strafvollzug.de, per e-mail an poststelle@jva-m.bayern.de oder per Telefon: 089/699 22-545 oder -202. SZ

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