Süddeutsche Zeitung

Ehefrau niedergestochen:Mordversuch vor der Therapiestunde

"Ich hab nicht gewusst, was ich da gemacht habe": Der Patient einer Nervenklinik sticht seine Ehefrau nieder. Im Schwurgericht kann er sich angeblich an nichts erinnern.

Alexander Krug

Er knetet seine Hände, rutscht auf der Anklagebank vor und zurück, seine Gesichtsmuskeln zucken unkontrolliert. Amir M., 47, strahlt eine ungeheure Unruhe aus, und vieles deutet schon äußerlich darauf hin, dass er kein gesunder Mensch ist. Wie krank er wirklich ist und welche Auswirkung das auf seine Schuldfähigkeit hat, wird sich aber erst noch zeigen müssen. In jedem Fall wird diese Frage von entscheidender Bedeutung sein für die Strafe, die Amir M. erwartet. Und die droht hoch auszufallen, denn die Anklage lautet auf versuchten Mord.

Am 5. November vorigen Jahres wartete Amir M. vor der psychiatrischen Klinik in der Nussbaumstraße auf seine Frau Ilda. Vereinbart war ein Gespräch der Eheleute im Beisein einer Ärztin. Doch dazu kam es nicht mehr. Laut Anklage stach der Angeklagte ohne jede Vorwarnung mit einem Klappmesser auf seine völlig überraschte Ehefrau ein. Von insgesamt zehn Stichen trafen sechs den Rücken und die Bauchregion. Dass Ilda M., 34, überlebte, verdankt sie einem Zeugen, der Amir M. wegriss, und der Kunst der Ärzte, die ihr Leben in einer Notoperation retteten.

Amir M. stammt, wie seine Frau, aus Bosnien-Herzegowina, wo sie sich 1991 kennen lernten. Fünf Jahre später heirateten sie, zwei Kinder wurden geboren. Doch das Glück meinte es nicht gut mit dem Ehepaar, eine Tochter erkrankte an Leukämie, der Sohn ist geistig behindert. 2006 erkrankte auch Amir M. Nach eigener Aussage leidet er seitdem unter Angst- und Panikattacken, die zeitweilig zu einer stationären Aufnahme in einer Nervenklinik führten. Er habe "40 bis 50" Medikamente ausprobiert, behauptet der Angeklagte, doch keine Behandlung habe Erfolg gehabt. Auf Nachfrage räumt er dann aber ein, dass er die Medikamente nach Belieben selbst abgesetzt habe, weil sie seine Libido beeinträchtigt hätten.

Anfang September 2007 wurde Amir M. wieder in der Nußbaumklinik aufgenommen, zwei Monate später attackierte er seine Frau. "Ich liebe meine Frau und meine Kinder über alles. Sie haben das nicht verdient", sagt Amir M. "Ich werde mir das nie verzeihen." Über dieses Eingeständnis hinaus will er aber keine konkreten Angaben machen. "Ich kann mich nicht erinnern", sagt er ein ums andere Mal. "Ich hab nicht gewusst, was ich da gemacht habe."

Richter Manfred Götzl ist das zu wenig. Ob er es sich nicht ein wenig zu einfach mache, hakt er nach. Doch Amir M. will sich weder daran erinnern, warum er überhaupt ein Messer in der Jackentasche trug, noch was er damit vorhatte. "Keine Ahnung", sagt er und zuckt mit den Schultern. "Wenn ich Tabletten nehme, dann weiß ich hinterher nichts mehr." - "Das ist mir zu billig", entgegnet Richter Götzl. "Ausgerechnet für diesen Augenblick wissen sie nichts mehr, aber vorher noch alles?"

Amir M. ist nach vorläufigem Gutachten voll schuldfähig. Ob es dabei bleibt, wird entscheidend von dem Gutachten eines Psychiaters abhängen. Das Schwurgericht hat insgesamt sieben Verhandlungstage terminiert.

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Quelle:
SZ vom 29.07.2008
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