Süddeutsche Zeitung

Ehec:Gefahr im Streichelzoo

Ein 15 Monate altes Mädchen erkrankt schwer an Ehec. Es hat sich vermutlich bei Ziegen und Schafen infiziert. Die Gefahr durch den Kontakt mit Tieren ist den Behörden bekannt - Kontrollen gibt es aber nicht.

Von Iris Hilberth

Erst hatte Anna nur Durchfall. Die Eltern dachten an einen Magen-Darm-Virus, zumal auch die ältere Schwester über Übelkeit geklagt hatte und sich übergeben musste. Während die Vierjährige recht schnell wieder fit war, wurde es bei der erst 15 Monate alten Anna (Name von der Redaktion geändert) immer schlimmer. "Durchfall und Erbrechen waren sehr stark, sie wurde immer schwächer und blasser", schildert die Mutter.

Schließlich konnte Anna auch kein Wasser mehr lassen. Der Kinderarzt schickte die Münchner Familie sofort in das Schwabinger Klinikum. Die Diagnose: Hämolytisch-urämisches Syndrom, kurz: HUS. Eine Erkrankung der Blutgefäße, bei der Blutzellen zerstört und die Nierenfunktion geschädigt wird. Ausgelöst von Ehec-Erregern, vermutlich beim Besuch eines Streichelzoos.

Es stand schlimm um die kleine Anna: Komplettes Nierenversagen, Blutarmut, zwei Katheteroperationen. Fünf Tage lag sie auf der Intensivstation, anfangs waren stündlich eine Dialyse und eine Blutkonserve nötig. "Wir hatten extreme Angst um sie, es war der Horror", sagt die Mutter. Und über allem schwebte die vorwurfsvolle Frage: Wie und wo hatte sich die Tochter mit den lebensbedrohlichen Bakterien infiziert, die von Tieren übertragen werden und unter anderem in frischer, nicht pasteurisierter Milch vorkommen? Denn Rohmilchprodukte kämen in der Familie nicht auf den Tisch, wie die Mutter versichert.

Rätseln über die Ursache der Erkrankung

Dass Nahrungsmittel - wie bei dem Ehec-Ausbruch durch verunreinigte Sprossen in Norddeutschland im Jahre 2011 - nur eine Ursache für die Infizierung sein können, wusste die Familie zunächst nicht. Auch die Ärzte rätselten. "In der Klinik hat man uns gefragt, aus welchem Kuhdorf wir denn kommen", erinnert sich die Mutter, "aber wir wohnen doch mitten in der Stadt".

Allerdings hatte die Familie zwei Wochen zuvor einen Ausflug ins Münchner Umland unternommen, in einen Wildpark. Auch um Ziegen und Schafen zu streicheln. Dass dort hin und wieder Jungtiere aus dem Gehege ausbüxen und über den Kinderspielplatz hüpfen, darüber hatten sich die Eltern keine Gedanken gemacht. Heute sind sie überzeugt, dass sich ihre Kinder dort infizierten.

Dass seine Ziegen und Schafe den Ehec-Erreger in sich tragen könnten, bestreitet auch der Betreiber des Tierparks nicht. Das sei bei Wiederkäuern ganz normal. Auf Schildern würden alle Besucher daher zum Händewaschen angehalten. Auch gebe es eigens Spender mit Desinfektionsmitteln auf dem Gelände.

Tiere als Hauptinfektionsquelle für Ehec

Laut Robert-Koch-Institut (RKI) gelten vor allem Rinder, Schafe und Ziegen, aber auch Rehe und Hirsche als Ehec-Reservoir und Hauptinfektionsquelle. Die Infektion erfolgte meist unbeabsichtigt über die orale Aufnahme von Fäkalspuren, etwa beim Kontakt mit Tieren oder beim Verzehr von kontaminierten Lebensmitteln. Das höchste Erkrankungsrisiko hätten Kinder unter drei Jahren.

Meldepflichtig ist eine Ehec-Erkrankung seit 2001. Deutschlandweit werden dem Robert-Koch-Institut jährlich zwischen 925 und 1183 Fälle bekannt. An HUS, der schweren, lebensbedrohlichen Verlaufsform, erkranken etwa fünf bis zehn Prozent der Betroffenen. In München vermerkte das Gesundheitsamt im Jahr 2012 insgesamt 72 Ehec-Fälle, davon vier HUS-Erkrankungen. 2013 wurde bei 97 Patienten Ehec nachgewiesen, nur einer erkrankte an HUS. In diesem Jahr sind bereits drei HUS-Fälle bekannt. Wie die Sprecherin des Gesundheitsamts München, Katrin Zettler, sagt, handelt sich es sich bei allen um Kleinkinder. Zwei seien vorher in Streichelzoos gewesen.

Dass die Erkrankung tatsächlich auf den Kontakt zu den Tieren zurückzuführen ist, sei jedoch nicht nachgewiesen. Und kontrolliert werden die Streichelzoos und ihre Tiere von den Behörden auch nicht. Das Landratsamt München sieht für eine regelmäßige Überprüfungen von Streichelzoos ebenfalls keine Veranlassung, zumal es im Landkreis in den vergangenen zwei Jahren keinen einzigen HUS-Fall gegeben habe.

Grundsätzlich ist der Behörde aber die Gefahr bekannt. "Es besteht immer ein Restrisiko, wenn man auf dem Bauernhof eine Kuh streichelt oder bestimmte Lebensmittel isst", sagt Landratsamtssprecherin Christine Spiegel. Tierparks seien daher aufgefordert, auf die Bedeutung des Händewaschens hinzuweisen. "Das A und O nach dem Streicheln der Tiere ist die Handhygiene", bestätigt auch die Münchner Behördensprecherin Zettler.

Händewaschen als bester Schutz

Insbesondere bei kleinen Kindern, die Finger in den Mund stecken oder am Daumen lutschen, sei die Gefahr groß, sich zu infizieren. "Es ist dringend darauf zu achten, dass sie nach dem Tierkontakt mit warmem Wasser und Seife die Hände waschen", sagt Peter Strotmann, Oberarzt am Klinikum Schwabing und als Kinder-Nephrologe zuständig bei Nierenerkrankungen.

Jährlich kommen von fünf bis zehn Patienten mit Verdacht auf HUS zu ihm. "Die Symptome sind meist blutige Durchfälle." Nach vier bis zehn Tagen können Nierenfunktionsstörungen auftreten, in zwei Dritteln der Fälle handele es sich um eine vorübergehende Insuffizienz. Allerdings könnten auch Schäden bleiben. Deshalb muss auch Anna bis auf weiteres regelmäßig zur ärztlichen Kontrolle. Die Einjährige ist zwar wieder gesund, aber ob Schäden bleiben, lässt sich noch nicht ausschließen.

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SZ vom 28.11.2014/tau
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