Ed Simons::"Vielleicht gab es zu viele Nächte"

Ed Simons und Tom Rowlands sind seit 13 Jahren im Geschäft und schafften es, mit Hits wie "Hey Boy, Hey Girl" oder "Galvanize" den britischen Clubsound zu revolutionieren. Hier erzählt Ed Simons, wie es ist, den Soundtrack zu vielen durchtanzten Nächten zu liefern.

Birgit Ackermann

SZ: Die Chemical Brothers geben sich experimentierfreudig und landen trotzdem immer massentaugliche Hits.

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(Foto: Foto: oh)

Simons: Weil unsere Songs auf zwei verschiedenen Ebenen existieren. Wie "Hey Boy, Hey Girl": Es funktioniert im Radio, aber wenn man es in einem Club spielt, werden ganz andere Komponenten hörbar.

Es ist dieselbe Platte, aber sie klingt total anders. Genauso ist es mit der neuen Single "Do It Again". Im Club wirkt das Stück wirklich ziemlich finster. Die Leute tanzen trotzdem. Aber wenn es am helllichten Tag im Radio läuft, ist es völlig anders. Fast harmlos.

SZ: Das ist schon eine Untertreibung. Die Single klingt stellenweise klaustrophobisch. Und die Textzeile "Oh My God What Have I Done?" ist ungewöhnlich düsteres Material für Club - und Radio.

Simons: Es geht aber ums Ausgehen: Wenn man einen Club besucht, flüstern einem doch immer ein kleiner Teufel und ein kleiner Engel etwas über die Schulter: Der eine, es wieder zu tun, der andere, es nicht zu tun.

SZ: Was nicht zu tun?

Simons: Das kommt ganz darauf an: je nachdem, was dir schadet und dein Gift ist. Darum geht es: "Whatever is your poison."

SZ: Wie entstand der Titel "We Are The Night"?

Simons: Das Sample ist von Bill Bissett, einem kanadischen Beat-Poeten aus den Sechzigern, den wir schätzen. Das wurde das Motto für unsere Arbeit, und wir haben volle zwei Jahre am Album gearbeitet. Ich mag auch den an Kraftwerk erinnernden Groove.

SZ: Immer nach vorne in die Nacht also. Ihre Konzerte sind berühmt dafür, sehr schweißtreibend und intensiv zu sein. Ein klassischer Rave, eine Massentanzveranstaltung der alten Schule.

Simons: Wir haben immer tonnenweise Equipment dabei, dicke Boxen, Lichtanlagen, Laser. Alles soll laut sein, gut aussehen. Unsere Konzerte sollen ein komplett überwältigendes Erlebnis sein. Unsere Mission ist es, Leute zusammenzubringen und den Effekt der Musik auf eine große Gruppe zu feiern.

Das Publikum fehlt mir immer sehr im Studio, ich brauche das Gefühl, Musik zu teilen. Unsere Musik reicht einem die Hand. Aber ich will hier nichts vorschreiben, sondern verschleiere lieber, was unsere Musik auslösen soll.

"Vielleicht gab es zu viele Nächte"

SZ: Euphorie?

Simons: Ja, aber auch Melancholie. Gefühle. Es geht uns immer um große Gefühle. Wir mögen dieses Konzept, dass Musik sonderbare Gefühle auslösen kann, die einen aus dem Alltag herausbringen.

SZ: Als Sie anfingen, Musik zu machen, gab es den "Manchester Rave" als neue Stilrichtung. Gerade sprechen alle in Großbritannien von dem neuen Phänomen "New Rave". Wie sehen Sie die Zusammenhänge?

Simons: So ein neuer Begriff ist wie eine Kultur-Frischzellenkur: Aus der Bewegung entsteht gerade viel. Er verbindet tolle DJs und Bands wie The Klaxons, New Young Pony Club und Glimmer Twins, die eigentlich alle nicht viel gemeinsam haben. New Rave klingt ja noch nicht mal wirklich neu. Aber für die jetzt 19-Jährigen ist das anders, die kennen keinen House, zu dem ich vor 20 Jahren in der "Hacienda" getanzt habe.

SZ: Wie hat sich die Club-Musik in der Zwischenzeit entwickelt?

Simons: Der Idealismus und der Hippie-Gedanke, früher einmal zentral, sind total weg. Es ist härter geworden auf dem Dancefloor. Aber der Impuls ist der gleiche: zusammenzukommen, die Musik zu feiern. Und deshalb werden immer Leute gebraucht, die Platten machen und auflegen.

Als den Soundtrack für diesen Treffpunkt. Vielleicht klingt das etwas klinisch. Aber Tom und ich lieben es, diesen Soundtrack zu basteln, Leute zum Tanzen zu bringen. Denn im Leben braucht man unbedingt diese kurzen Momente, wo man sich in der Musik verlieren kann.

SZ: Sie haben - wie immer - mit Gastmusikern gearbeitet.

Simons: Es sind Leute, die uns musikalisch ansprechen, unseren Nerv treffen. Wie die Klaxons, die - wie wir - für die Tate Modern eine Installation vertont haben und ganz tolle Texte schreiben. Wir sind beide Fans der Band The Pharcyde, der Rapper Fatlip hat eine tolle Stimme, also setzten wir uns mit ihm in Verbindung.

Der Folksänger Willy Mason kam von Upstate New York, fuhr vom Flughafen mit einem alten Käfer und ohne Karte durch England ins ländliche Studio von Ed. Aber mehr als fünf Stücke mit Vocals wollten wir nicht, denn Stimme soll in der elektronischen Musik kein Füllelement sein, wenn einem sonst nichts einfällt.

"Vielleicht gab es zu viele Nächte"

SZ: Mit Verlaub, das neue Album ist stellenweise aber recht repetitiv.

Simons: Hey, das ist unser Trick! Wiederholung und Loopschleifen sind unser Herzstück! Denn sie wirken wie Hypnose.

SZ: Eine Textzeile auf dem neuen Album lautet: "It Never Stops". Jemals ans Aufhören gedacht?

Simons: Im Moment fragen wir uns das nicht. Aber wenn wir nicht mehr stolz sind auf unsere Musik oder uns zerstreiten, ist Schluss.

SZ: Wie motivieren Sie sich denn weiterzumachen?

Simons: Wenn ich aufwache, will ich Musik machen. Warum stehen Leute auf und lösen ein Sudoku? Man braucht die Herausforderung, und Musik ist für mich meine Herausforderung.

SZ: Apropos aufwachen: Es ist zehn Uhr morgens, und Sie geben ein Interview. Ungewöhnlich für jemand, der im Nachtleben aktiv ist.

Simons: Ich bin seit halb acht auf! Ich mache auf Fitness (lacht). Es hat keinen Sinn, im Bett zu liegen, ich schlafe nur noch aus, wenn wir ein Konzert gespielt haben.

SZ: Ihre beste Nacht?

Simons: All meine Nächte sind in meiner Erinnerung zu einer großen Nacht zusammenverschmolzen. Vielleicht gab es zu viele Nächte und zu wenig Tag...

SZ: Deshalb stehen Sie jetzt früh auf?

Simons: Ja ich will nun endlich auch den Tag nutzen.

Das Elektro-Duo aus Manchester stellt am Dienstag sein neues Werk "We Are The Night" im Zenith vor (20 Uhr, Lilienthalallee 28).

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