Eckpunktepapier für München:Was Rot-Schwarz im Rathaus umsetzen will

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Künftig Koalitionäre? Münchens neuer Oberbürgermeisteramt Dieter Reiter und Josef Schmid bei der Starkbierprobe auf dem Münchner Nockherberg. (Foto: Robert Haas)

Schulsanierungen, sozialer Wohnungsbau, Radwege: In manchen Punkten haben SPD und CSU sehr konkrete Vorstellungen über ihre künftige gemeinsame Politik im Rathaus. Anderes ist bisher noch sehr vage formuliert. Ein Überblick.

Das Wort Koalition wird vermieden - was CSU und SPD in den kommenden sechs Jahren im Rathaus praktizieren wollen, heißt in dem vereinbarten Eckpunktepapier schlicht Zusammenarbeit. Laut SPD-Chef Hans-Ulrich Pfaffmann entspricht das vierseitige Papier mit Ausnahme einiger redaktioneller Änderungen exakt dem, was CSU, SPD und Grüne einst zu dritt in ihren Bündnisgesprächen ausgehandelt hatten. Sozial- und Christdemokraten bekennen sich zu einer weltoffenen und toleranten Stadt, die weiterhin "wirtschaftlich erfolgreich und innovativ, sozial und solidarisch gegenüber den Schwächeren, kulturell vielfältig und ökologisch zukunftsfähig" sein soll. Auch Personalfragen werden geregelt. Die Vereinbarungen im Detail - und eine erste Bewertung durch die SZ.

Finanzen: Die Schulden sollen weiter abgebaut werden, Ziel sind "solide Stadtfinanzen", heißt es in der Vereinbarung.

  • Bewertung: Ein löbliches Unterfangen. Allerdings hat wohl noch keine Koalition der Welt das Schuldenmachen zum politischen Ziel erklärt.

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Privatisierungen: "Unternehmen der kommunalen Daseinsvorsorge werden nicht privatisiert."

  • Bewertung: Dieser Punkt war, auch wenn die SPD dies gerne so dargestellt hat, nie umstritten im Wahlkampf. Es handelt sich wohl eher um eine plakative Vorsichtsmaßnahme, die in die Vereinbarung geschrieben wurde, falls sich der Wind einmal drehen sollte.

Kinder/Schulen: Schulausbau und -sanierung haben politische Priorität und sollen beschleunigt umgesetzt werden. Dafür wird auch die Organisation der Verwaltung geprüft sowie die Zusammenarbeit mit dem Freistaat verbessert. Der Ausbau von "qualitätsvollen und bedarfsgerechten Kinderbetreuungsplätzen und Ganztagesangeboten wird mit Nachdruck fortgesetzt".

  • Bewertung: Auch bei diesem Punkt gab es nie einen Dissens. Dass speziell die Schulsanierung so deutlich herausgestellt wird, ist wohl auf die Schultoiletten-Kampagne von CSU-OB-Kandidat Josef Schmid im Wahlkampf zurückzuführen.

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Klinikum: Um eine Insolvenz zu vermeiden, sollen die von Boston Consulting ausgearbeiteten Einsparziele umgesetzt werden - das Unternehmen wird also schrumpfen. Ziel ist es, trotzdem betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Einen entsprechenden Stadtratsbeschluss soll es noch vor der Sommerpause geben. Das Sanierungskonzept gilt allerdings nicht als in Beton gegossen. Wenn weitere Änderungen sinnvoll erscheinen, werden sie mit aufgenommen.

  • Bewertung: Die CSU hat damit ihre ursprüngliche Forderung aufgegeben, auf ein Wachstumskonzept zu setzen. Dass Ergänzungen möglich sind, müsste eigentlich nicht eigens erwähnt werden. Dieser Satz dient wohl als Kosmetik, damit die CSU ihr Gesicht wahren kann.

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U-Bahn/Trambahn: Die U 5 soll nach Pasing verlängert und notfalls komplett von der Stadt finanziert werden, falls ihre Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen werden kann (in diesem Fall gibt es keine Bundeszuschüsse). Eine Verlängerung nach Freiham wird offengehalten. Die U 4 wollen CSU und SPD bis nach Englschalking und weiter ins neue Baugebiet Nord-Ost verlängern. Zudem soll die neue Innenstadtlinie U 9 die bestehenden Strecken entlasten.

Ob ein U-Bahn-Ast zwischen der U 2 und der U 6 im Münchner Norden sinnvoll ist, wird noch einmal untersucht. Die Trambahn nach Steinhausen wird gebaut, die Planungen für die Westtangente durch die Fürstenrieder Straße so optimiert, dass es keine Staus gibt. Erst wenn die neue Planung vorliegt, wird "im Konsens über das weitere Vorgehen entschieden".

  • Bewertung: Der Bau der U 5 kann für die Stadt nicht nur teuer werden. In der Diskussion wird stets verschwiegen, dass nach einer Realisierung dieser Strecke der zweite S-Bahn-Tunnel gestorben ist - weil er unmittelbar parallel verläuft und damit unwirtschaftlich wird. Eine optimale Planung für die Westtangente sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Eine der wichtigsten neuen Tramstrecken fehlt in dem Papier ganz: die Nordtangente durch den Englischen Garten.

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Wohnungsbau: In den Behörden soll künftig alles schneller vorangehen. Erhaltungssatzung und Umwandlungsverbot werden weiterhin eingesetzt. Der Wohnungsbau soll ausgeweitet werden, vor allem der soziale. Genossenschaften werden unterstützt. Für "gefährdete Mieter" werden für 20 Millionen Euro pro Jahr zusätzliche Wohnungen gebaut.

  • Bewertung: Es fehlen Konzepte, wie auch private Bauherren angesichts der immensen Bodenpreise zum Bauen animiert werden können. Ohne Private wird das ebenso wenig zu lösen sein wie ohne Einbeziehung des Umlands. Auch die Nachbargemeinden benötigen jedoch Anreize.

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Stadtplanung: Einen Eingriff in vorhandenes Baurecht wird es nicht geben. Bei den anstehenden Nachverdichtungen darf aber kein Quartier tabu sein. Dennoch soll die Verwaltung dort, wo sie Ermessensspielraum hat, auf den Erhalt der gewachsenen Strukturen und des Charakters der Stadtviertel achten, insbesondere in den Gartenstädten.

  • Bewertung: Ein echtes Wischiwaschi-Kapitel, mit dem sich wohl jeder identifizieren kann. Eingriffe ins Baurecht wären ohnehin unbezahlbar, da die Eigentümer entschädigt werden müssten.

Dritter Arbeitsmarkt: Die Stadt will prüfen, ob ein dritter Arbeitsmarkt sinnvoll ist.

  • Bewertung: Ein Dritter Arbeitsmarkt wird schon seit längerem von Bündnis München sozial gefördert und ist etwa für chronisch psychisch Kranke sinnvoll. Bisher war die SPD bei diesem Thema zögerlich, die CSU fordert ihn schon seit einiger Zeit.

Soziales: Zur Unterbringung von Flüchtlingen und Wohnungslosen wird ein "vorausschauendes gesamtstädtische Konzept" aufgelegt. "Einzellösungen sollen vermieden werden."

  • Bewertung: Dieser allgemein gehaltene Passus offenbart Hilflosigkeit, wie dem Problem tatsächlich begegnet werden kann. Es handelt sich wohl eher um einen Appell an die Parteibasen, Stadtviertelaktionen gegen Unterkünfte zu unterlassen.

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Frauen: Die Führungspositionen in den städtischen Unternehmen werden bei gleicher Eignung der Bewerber bevorzugt mit Frauen besetzt.

  • Bewertung: Wenn es ausreichend geeignete Kandidatinnen gibt, ist das ein positives Vorhaben. Allerdings sind Top-Frauen in städtischen Positionen wohl nur bei besserer Bezahlung zu bekommen.

Verwaltung: Die Struktur der Münchner Stadtverwaltung kommt auf den Prüfstand. Als verbesserungsbedürftig gelten vor allem Bereiche, für die mehrere Referate zuständig sind. Diese "Schnittstellen" sollen optimiert werden. Geplant ist auch eine "Verschlankung der Verwaltung".

  • Bewertung: Das klingt sinnvoll und überfällig. Die Parteien verschleiern ein wenig, dass auf allen Seiten Ideen für die Abschaffung ganzer Referate bestehen. Auch bei diesem Punkt gilt: Ein wenig konkreter könnte es schon sein.

Energiepolitik: Die erneuerbaren Energien sollen weiter ausgebaut werden. Beim Kohleblock im Kraftwerk Nord werden drei Ausstiegsszenarien und deren voraussichtliche Kosten geprüft: für 2020 sowie für zwei spätere Zeitpunkte.

  • Bewertung: Bei diesem Thema waren einst die Koalitionsverhandlungen mit der ÖDP gescheitert. Ob es die Partner mit dem Ausstieg wirklich ernst meinen, zeigt sich allerdings erst, wenn Kostenschätzungen vorliegen.

Radverkehr: In der Rosenheimer Straße wird ein Radweg gebaut - allerdings nur, wenn dafür keine Fahrspuren wegfallen.

  • Bewertung: Was CSU und SPD verschweigen: Das klappt nur, wenn stattdessen die Parkplätze wegfallen. Insgesamt sind die Aussagen zum Thema Radverkehr etwas dünn ausgefallen, es gibt schließlich nicht nur den Radweg Rosenheimer Straße.

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Tunnel am Mittleren Ring: Über den Tunnel im Englischen Garten wird erst dann entschieden, wenn das bereits in Auftrag gegebene Konzept des Planungsreferats für alle drei Münchner Tunnelprojekte vorliegt. Bei der Landshuter Allee gilt eine Einhausung als Ideallösung, dies soll nun geprüft werden. Falls dies nicht möglich ist, müssen sich SPD und CSU über das weitere Vorgehen einigen. Über den Tunnel an der Tegernseer Landstraße wird per Bürgerentscheid entschieden.

  • Bewertung: Man könnte auch sagen: Alles ist offen.

Entscheidung über Isarring
:Deckel drauf

Viermal wurde die Frage vertagt, am Mittwoch will der Stadtrat endlich über die Verbreiterung des Isarrings abstimmen. Damit fällt er auch eine Vorentscheidung über den Bau eines Tunnels durch den Englischen Garten. Grüne und Naturschützer werben für eine Grünbrücke - sie wäre günstiger.

Von Marco Völklein

Sendlinger Straße: Wie schon der Nord- soll nun auch der Südteil Fußgängerzone werden. Allerdings muss die Zufahrt ins Hackenviertel gewährleistet bleiben.

  • Bewertung: Dass eine Lösung für die Anwohner des Hackenviertels gefunden werden muss, war für die Planer auch bisher schon selbstverständlich.

Steuern: Es gibt keine Erhöhungen kommunaler Steuern.

  • Bewertung: Es gab allerdings auch keine Pläne für eine Erhöhung der Steuern.

Prinzip der Zusammenarbeit: Der Haushalt wird gemeinsam verabschiedet. Ein neu zu gründender Arbeitskreis soll die politische Arbeit der beiden Partner koordinieren. Können sich CSU und SPD bei Investitionsprojekten unterhalb der 250-Millionen-Euro-Marke nicht einigen, kann jede Partei im Stadtrat einzeln abstimmen. Teurere Vorhaben werden in diesem Fall per Bürgerentscheid geklärt.

  • Bewertung: Mit diesem Passus lassen sich Differenzen bequem umschiffen. Und Josef Schmid kann behaupten, keine echte Koalition, sondern nur eine Kooperation eingegangen zu sein.

Städtische Referate: Bei den Chefposten der Referate erhalten beide Parteien Vorschlagsrechte: Die CSU fürs Personal- und Organisationsreferat, Wirtschaftsreferat, Kommunalreferat sowie das Referat für Gesundheit und Umwelt, die SPD für das Kreisverwaltungsreferat, Kämmerei, Kulturreferat, Referat für Bildung und Sport sowie das Sozialreferat. Beim Planungs- und Baureferat sollen die Verträge der beiden parteilosen Amtsinhaberinnen Elisabeth Merk und Rosemarie Hingerl verlängert werden.

  • Bewertung: Die Liste gilt als vorläufig. Gut so. Denn das Vorgehen ist nicht unbedingt geeignet, ohne Ansehen des Parteibuchs stets den Besten für jede Position auszuwählen.

Von Dominik Hutter, Alfred Dürr, Katja Riedel, Sven Loerzer und Marco Völklein

© SZ vom 16.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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