Zornedinger Helferkreis:"Abschiebungen lösen keine Probleme"

Angelika Burwick Helferkreis Zorneding

Angelika Burwick tritt als Koordinatorin des Zornedinger Helferkreises zurück. Die Aufgabe ist in ihren Augen überflüssig geworden.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Vor drei Jahren hat Angelika Burwick den Zornedinger Helferkreis mit aufgebaut und ein vorbildliches Netzwerk geknüpft, das Geflüchteten in ihrer neuen Heimat berufliche und private Perspektiven bietet. An Ostern nun tritt sie als Koordinatorin zurück

Interview von Anselm Schindler

Wir hätten das geschafft": In diesen vier Worten hat sich der Ärger der vergangenen Jahre aufgestaut, er entlädt sich recht nüchtern. Angelika Burwick hat das, was in der Bundesrepublik oft als "Flüchtlingskrise" bezeichnet wird, vor allem als eine Krise der Ämter und Verwaltungen erlebt. Von Behörden, die zu wenig flexibel und zu schlecht vorbereitet waren, "obwohl man hätte wissen können, was da auf Europa zukommt".

Von Oktober 2014 wurden in Zorneding erstmals Geflüchtete untergebracht, bereits Wochen zuvor hatten sich Angelika Burwick und die anderen Ehrenamtlichen des Zornedinger Helferkreises in die Arbeit gestürzt, um vorbereitet zu sein. Zweieinhalb Jahre lang war Burwick für die Koordination des anfangs 150 Mitglieder starken Helferkreises zuständig, sie war fast ständig abrufbereit, Mails an den Helferkreis wurden direkt in Burwicks Postfach umgeleitet. Seit diesem Wochenende ist das nicht mehr der Fall, die Koordinatorin gibt ab - und blickt zurück, auf die Hindernisse und Erfolge in der Flüchtlingsarbeit.

SZ: Frau Burwick, Sie geben die Gesamtkoordination ab, warum?

Angelika Burwick: Die Situation ist jetzt eine andere als bei Ankunft der Flüchtlinge: Die meisten Asylbewerber sind hier mittlerweile akklimatisiert, viele haben neben der Schule noch einen Job oder arbeiten bereits. Niemand muss sie mehr zum Einkaufen in den Supermarkt begleiten. Jetzt geht es vielmehr um den Umgang mit Behörden oder das Verstehen und Beantworten von behördlichen Briefen, zum Beispiel um die Vorbereitung auf Interviews beim BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge; Anm. d. Red.). Für die unterschiedlichen Themen, wie beispielsweise Arbeitssuche, Anmeldung beim Jobcenter oder zu Integrationskursen, Schulen oder Sprachkursen, haben sich im Helferkreis regelrechte Spezialisten herausgebildet. Kurz gesagt: Die Arbeit ist sehr gut eingespielt und die Helfer wissen, was getan werden muss, da fällt viel an Koordinationsarbeit weg. Trotzdem gibt es Sorgen. Im Helferkreis haben wir derzeit nur noch rund 50 Aktive, wir bräuchten aber eigentlich mehr, vor allem seit in Pöring in dem Containerdorf weitere 32 Flüchtlinge eingezogen sind.

Als das Münchner Jugendamt im Oktober 2014 60 jugendliche Asylbewerber im Hotel Eschenhof unterbrachte, da eskalierte bereits nach kurzer Zeit die Situation, einige minderjährige Flüchtlinge gingen aufeinander los. Was haben die, die in der Flüchtlingsarbeit tätig sind, aus dem Vorfall gelernt?

Bei der Belegung des Eschenhofs durch das Jugendamt München wurde keine Rücksicht auf die jeweilige Herkunft der Jugendlichen genommen und nicht auf ethnische Konflikte geachtet. Es waren auch viel zu wenig Betreuer vor Ort. Letztlich ist die Situation zwischen den afrikanisch-stämmigen und den arabischen Jugendlichen eskaliert. Gerade viele Menschen aus afrikanischen Ländern haben bei ihrer Flucht durch arabisch geprägte Länder viel durchgemacht, waren rassistischer Unterdrückung ausgesetzt, haben Schlimmes von der dortigen Polizei erlebt - bis hin zu Folter. Dafür können die arabischen Jugendlichen nichts, aber das Spannungsfeld lässt sich so erklären. Wenn diese Menschen dann auf engstem Raum miteinander leben müssen, dann eskaliert die Situation eben schneller.

Aber in der neuen Containeranlage im Ortsteil Pöring wollte das Landratsamt doch wieder arabische und afrikanische Geflüchtete zusammen unterbringen?

Da hat unser Bürgermeister sofort beim Landrat interveniert und konnte erreichen, dass vorerst nur Menschen aus afrikanischen Staaten einziehen. Eigentlich hatte uns das Landratsamt zuvor zugesagt, ethnische Spannungsfelder bei der Belegung der Container zu vermeiden.

Nach dem Vorfall im Eschenhof waren aus Teilen der Bevölkerung Stimmen zu vernehmen, die sich generell gegen die Aufnahme von Asylbewerbern aussprachen. Das Landratsamt wollte die Jugendlichen aus dem Eschenhof auch umverlegen...

Ich erinnere mich noch sehr gut an die Bürgerversammlung im November 2014. Da haben wir als Helferkreis den Antrag eingebracht, dass die Asylbewerber noch so lange im Eschenhof bleiben können, bis angemessene Unterbringungsmöglichkeiten in der Region gefunden sind. Der Großteil der Bürger, die da waren, stimmte dann auch für unseren Antrag. Das war ein tolles Zeichen: Viele in der Politik und in den Ämtern dachten damals, dass der Großteil der Bevölkerung gegen die Asylbewerber ist, weil die Gegner am lautesten wahrgenommen wurden. Dieser große Zuspruch bei der Bürgerversammlung hat gezeigt, dass es viele Menschen gibt, die für fremde Kulturen offen sind. Aber sie sind leiser, und dadurch weniger wahrnehmbar.

Das Münchner Jugendamt hat die Jugendlichen dann aber trotzdem sehr kurzfristig und ohne große Ankündigung verteilt. Einige blieben in Einrichtungen im Landkreis, andere kamen in Münchner Sammelunterkünfte. Manche mussten sogar nach Ingolstadt. Das war nicht der einzige Fall, bei dem sich Helferkreis und Landratsamt uneins waren. Haben Sie sich damals missachtet gefühlt?

Wir waren schon enttäuscht, über die unnötige Hektik und die Verlegungen in weit entfernte Orte. Und ja, es war schon ein zäher Prozess, bis wir von den Behörden als Partner auf Augenhöhe wahrgenommen wurden. Wir hatten und haben manchmal heute noch das Gefühl, dass man uns eher als Störenfriede wahrnimmt. Oft wurde die Empfehlungen der Helferkreise nicht beachtet. Beispielsweise bei der Belegung von Zimmern. Da haben wir Hinweise gegeben, wer in welchen Ortschaften arbeitet oder zur Schule geht. Es gab Fälle, wo Geflüchtete ihre Arbeit aufgeben mussten, weil sie in der neuen Unterkunft eine so schlechte Verbindung mit dem MVV hatten, dass ein Erscheinen am Arbeitsplatz h um 6.30 Uhrunmöglich war. Solche Situationen haben auf Seiten der Helfer immer wieder zu Frust geführt.

Wie erklären Sie sich das Verhalten der Behörden?

Das hat nichts mit Missgunst gegenüber den Helferkreisen oder den Flüchtlingen zu tun, als viel mehr damit, dass in den Ämtern viel zu viel Arbeit auf viel zu wenige Mitarbeiter verteilt werden musste. Manchmal habe ich Sonntagnachts noch Mails von Landratsamtsmitarbeitern bekommen. Diese Menschen haben sich wirklich unglaublich stark eingesetzt. Die Behörden waren einfach nicht darauf vorbereitet, dass so viele Asylbewerber auf einmal kommen. Die Schuld dafür tragen dafür meines Erachtens nicht die Ämter, sondern die Politik. Zum Glück bessert sich die Situation langsam. Es gibt Hoffnung auf einen Kurswechsel. Nicht zuletzt auch im Landratsamt gibt es frischen Wind, mehr und neue Mitarbeiter, die sich derzeit in die Flüchtlingsproblematik einarbeiten. Neuerdings wurden wir sogar schon vom Landratsamt gefragt, bei der Belegung der Zimmer Empfehlungen auszusprechen.

Überarbeitung und Überforderung gab und gibt es ja aber nicht nur auf Seiten der Behörden sondern auch in den Helferkreisen oder?

Klar, manchmal liegen auch bei einigen Helfern die Nerven blank. Ich habe selbst lange Zeit bis zu 30 Stunden in der Woche für den Helferkreis gearbeitet, so wie viele andere auch. Da bleibt wenig Zeit für das eigene Leben. Die Arbeit, die Familie und andere Verpflichtungen fordern auch ihren Tribut. Da haben Helfer auch mal das Recht, erschöpft zu sein.

Was hat denn die Familie zu ihrem Engagement gesagt, haben die sich nicht manchmal gewünscht, dass sie mehr Zeit haben?

Ich habe einen Mann, zwei eigene Kinder, drei Stiefkinder und zwei Enkel. Alle haben mich immer unterstützt. Trotzdem gab es Situationen, in denen ich Abstriche gemacht habe, weil ich keine Zeit hatte, auf meine Enkel aufzupassen. In Zukunft werde ich ohne die Belastung der Gesamtkoordination meine Tätigkeiten in Sachen Flüchtlinge mit meiner Familie gut unter einen Hut bringen. Mein Mann und ich haben eine Patenschaft für einen Geflüchteten aus Eritrea. Das ist eine tolle Aufgabe, da geht es vielmehr um Persönliches.

Sie waren ja lange in der CSU aktiv und sind dann wegen des Kurses der Partei in der Flüchtlingspolitik ausgetreten. Können Sie sich vorstellen, irgendwann wieder einzutreten?

Nein. Die CSU ist nicht nur hier in Bayern in der Regierungsverantwortung und hätte ganz anders auf die Flüchtlingskrise reagieren müssen. Wir hätten das schaffen können, aber die nötige Infrastruktur wurde nicht rechtzeitig aufgebaut. Beispielsweise hat man beim BAMF viel zu lange gezögert, bis das Personal aufgestockt wurde. Mit der Lockerung von Arbeitsverboten ist viel zu lange gewartet worden. Die Handhabung der Bayerischen Regierung von Arbeitsverboten ist unerträglich und steht im Widerspruch zu den bundesweiten Gesetzen. Und die derzeitigen Abschiebungen nach Afghanistan sind absolut unmenschlich. Die Abschiebungen und Arbeitsverbote lösen keine Probleme und führen nicht nur bei uns in Zorneding zu großer Verunsicherung bei Helfern, bei Arbeitgebern, bei den Asylbewerbern und ihren Paten.

Viele der Geflüchteten, die ihre Familie zurückgelassen haben, würden gerne ihre Partner und Kinder nach Deutschland holen. Aber es scheint so, als würde sich in Sachen Familiennachzug nicht wirklich viel tun?

Der Familiennachzug ist nach unserer Wahrnehmung noch nicht in den Verordnungen der Behörden angekommen. Da werden nachgezogene, möglicherweise traumatisierte Familienmitglieder wie normale Reisende aus dem Ausland behandelt, was bedeutet, sie sollen einen Reisepass vorlegen. Es gibt aber oft keinen Reisepass. Das Verfahren des Familiennachzuges ist sehr kompliziert und erfordert intensive Kontakte zu Behörden im Aufenthaltsland der Familie, zu dortigen Ärzten und den Botschaften bis hin zu hiesigen Behörden. Ich denke da beispielsweise an eine Familie aus Eritrea, bei der es fast zwei Jahre gedauert hat, bis die Familie hier in Deutschland ankam. In einem anderen Fall hat sich die Familie auf der Flucht verloren, irgendwann haben wir herausgefunden, dass ein Teil der Familie bei Ingolstadt untergebracht ist. Selbst diese innerdeutsche Familienzusammenführung war schwierig und auch hier hat es am Ende zwei Jahre gedauert, bis die Familie gemeinsam eine Wohnung beziehen konnte.

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