"Musik machen, heißt Geschichten erzählen. Und wir erzählen gern Geschichten." Oliver Triendl, dem musikalischen Leiter des "Kulturvereins-Sommers" stand die Freude ins Gesicht geschrieben, als er zu Beginn des Auftaktkonzerts vor das Publikum trat. Insgesamt fünf Konzerte umfasst die Reihe, die am Sonntagnachmittag im Zornedinger Martinstadl begann - zu einer Jahreszeit, in der normalerweise der Konzertbetrieb ruht. Mit dem durchaus erhellenden Nebeneffekt, dass der Schein der Nachmittagssonne eine solche Veranstaltung in ein anderes, sehr fröhliches Licht rückt.
Für eine solche Stimmung war das erste Stück, Mozarts Klavierkonzert A-Dur KV 414, wie geschaffen. Sommerlaune klang aus der Interpretation, für die sich Triendl am Flügel und das Mandelring-Quartett an den Streichinstrumenten entschieden hatten. Durchwoben von einer fröhlichen Grundstimmung in der Sonnen-Tonart A-Dur begaben sich Sebastian Schmidt und Nanette Schmidt, Violine, Andreas Willwohl, Viola, und Bernhard Schmidt, Cello, auf eine gekonnte Gratwanderung zwischen technischer Perfektion und glaubwürdiger Emotion. Wenn sich ein Streichquartett so anhört, als lasse sich ein Schmetterling auf seinen Klangwellen tragen, dann kann man es nicht mehr viel besser machen, höchstens anders. Gerade der dritte, sehr sinfonisch geprägte Satz, den man so auch bei Beethoven finden könnte, erhielt dadurch eine spielerische Dimension, befreit vom Druck eines Allegro, angereichert um die Frische eines Vivace. Wenn die Rückkehr aus dem Online- in den Live-Modus von Aufführungen eine solche Qualität hat, dann ist die Welt wieder in Ordnung.
Als vermeintlicher Kontrast dazu war Dmitri Schostakowitschs Streichquartett fis-Moll op. 108 zu erwarten. Überraschenderweise spielte es jedoch nicht gegen die Emotionen, die der Mozart geweckt hatte, sondern verstärkte sie noch. Wie das eben so ist im Sommer: Die eine Stunde noch leuchtender Sonnenschein, die nächste schon mächtiges Gewitter. Wie sich am Himmel feine Schlieren zunächst zu Wolken ballen und dann in mächtigen Cumulonimben sammeln, in denen es drunter und drüber geht, so entfacht der Komponist ein Wechselspiel der Stimmen und Dynamiken, dass es den Interpreten eine wahre Freude ist und dem Publikum zum Staunen und Mitfiebern wird. Dialogisch angelegt, die Passagen zwischen erster Geige und Cello waren zeitweise wahre Gefechte, entwickelt sich das Stück - und mit ihm das Quartett - in großer Bewegung: Nahaufnahme, Totale, Schwenk; im Kino würde einem schwindelig, in der Musik entsteht eine Gefangennahme der Sinne, die keine andere Wahrnehmung oder Ablenkung zulässt. Gewitter, mittendrin. Bis die Schlussakkorde, einem stillen Sonnenuntergang gleich, alle Aufgewühltheit beenden und wieder Frieden herstellen.
Mit Dvoraks Klavierquintett A-Dur op. 81 kehrte das Konzert dann in die sonnige Wohlfühlatmosphäre zurück, ohne seinem Publikum jedoch die Entspannung einer Wellness-Zone zu gewähren. So hellwach, wie die Streicher die Aufgabe angingen, und so intensiv, wie der Pianist treibende Kräfte freisetzte, so bewegend gerieten die vier Sätze. Die eigenwilligen Deutungen der Satzbezeichnungen, wie sie die Mandelring-Quartett vornahm, würde bei anderen Ensembles wohl Diskussionen auslösen. Die innere Schlüssigkeit, wie ein "ma non tanto" zu deuten ist und wie sich "Molto vivace - paco tranquillo" in der Wirklichkeit darstellt, war verblüffend, die Wirkung hinreißend. Der Grund dafür? Ein blindes Verständnis und Vertrauen gegenüber den Mitspielern, traumwandlerische Sicherheit auf dem Instrument und eine Geschlossenheit im subatomaren Bereich. Wohl nur wenige, die beim zweiten Satz, einer volksliedhaften Dumka, nicht das Zucken in den Tanzbeinen verspürt haben. Das war erfrischend, mitreißend, leidenschaftlich: Die von Dvorak mehrfach gesetzten dramatischen Schlussakkorde, sonst Signale fürs finale Aufatmen, hier jedoch fanfarengleiche Impulse für "Weil's so schön war, gleich nochmal" haben den pandemiebedingten Mangel daran für die Zuhörenden um mehrere Monate verkürzt.
Für ein Konzert ohne Pause mögen die fast eineinhalb Stunden Aufführungsdauer dem einen oder anderen unter der Maske etwas lang vorgekommen sein. Allein, es war die Mühe wert, und im Kontext des Dreiklangs der Geschichten, die an diesem Nachmittag musikalisch erzählt wurden, eine kaum wahrnehmbare Nebensächlichkeit. Drei Stücke, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten - und die dennoch mehr verbindet, als das gedruckte Programm ahnen lässt. Dazu in einer dramaturgisch überzeugenden, gewinnenden Reihenfolge. Hätte man aus Zeitgründen auch nur eines der Werke aus dem Programm genommen: Welch ein Verlust für den Erinnerungsschatz des Publikums! Der jubelnde, von "Bravos" durchsetzte Applaus nach jedem Stück und zum Ende des Konzerts in Zorneding bestätigte dies nachdrücklich.