Lisa Beckert hat sich für Gummistiefel entschieden an diesem Sonntagmorgen. Auf dem feuchten Asphalt der Straße vor dem Sportgelände in Zorneding mutet das schwere Schuhwerk fast etwas übertrieben an, auch wenn der Himmel noch schwer hernieder hängt nach einer verregneten Nacht. Doch gleich soll es in den Wald gehen mit einer zehnköpfigen Gruppe von Waldbesitzern, die sich um die Forstingenieurin und Försterin der Waldbesitzervereinigung Ebersberg/München Ost versammelt haben, Turnschuhe wären also die falsche Wahl.
Eine kurze Fahrt im Konvoi bringt die Teilnehmer über die B304 hinweg zum Waldrand im Süden des Gemeindegebiets, das, wie die Försterin erklärt, eine Herausforderung für jenen zielgerichteten Umbau des Waldes in gemischte Kulturen darstelle, den die Staatsregierung fördern wolle. Einzelne Streifen von vier Kilometern Länge und 18 Metern Breite verteilten sich hier auf mehrere Dutzend Eigentümer, das Gebiet sei alles in allem schlecht erschlossen, der Bestand zum großen Teil von Fichten geprägt.
Im Rahmen eines gemeinsamen Projekts von Waldbesitzervereinigung und dem Amt für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten Ebersberg-Erding (AELF) werde das Gebiet nun dokumentiert, sagt Beckert, dann solle es im Zuge von Einzelmaßnahmen, für die sich die Waldbesitzer Hilfe holen können, für die Klimaerwärmung fit gemacht werden.
Es sind ausschließlich wettergerecht angezogene Füße, die bei der ersten Station im Wald durch matschigen Boden und tropfendes Staudendickicht stapfen. Am Beispiel einer typischen Fichtenpflanzung erklärt die Försterin, warum es so notwendig ist, mit dem Umbau des Waldes nicht erst zu beginnen, wenn der Schaden schon da ist. 60 bis 80 Jahre alte Fichten, eng gepflanzt, „dünn für ihr Alter“, stehen hier. Unter ihnen wachsen Farne und Moos in dichten Kissen, auf denen es sich zwar federnd laufen lässt, das aber Rückschlüsse darauf zulässt, warum hier sonst nichts wachsen kann: Es herrscht zu wenig Licht unter den hohen Stämmen. „Jetzt stellt euch vor, der Käfer kommt oder ein Sturm, dann ist hier nichts mehr da“, sagt Beckert und erntet nachdenkliches Nicken von den Umstehenden.
Tatsächlich sei auch in früheren Jahrhunderten rund um Zorneding nicht viel gewachsen, erzählt die Försterin. Laut ihren Recherchen hat man im Mittelalter hier alles abgeholzt. Viele der Fichten, die heute den Baumbestand prägen, seien erst nach dem Zweiten Weltkrieg gepflanzt worden, als kein anderes Saatgut verfügbar war. Und natürlich versprach die Fichte als schnell wachsender Baum auch rasche Einnahmen. „Als wir Forstwirtschaft gelernt haben, da galt die Buche noch als Nutzbaumschädling“, berichtet ein älterer Waldbesitzer aus Zorneding, „da hätten ja ein paar Fichten stattdessen stehen können.“
Heute sieht das anders aus. Zwar wächst die Buche langsamer, aber der Holzmarkt wandle sich, erklärt Förster Dirk Schmidt, der sich für die Forstverwaltung der Familie von Finck um fast 2000 Hektar Wald auch rund um Zorneding kümmert. Während eine Fichte erst ab 25 bis 40 Zentimeter Stammdurchmesser einen Ertrag von 100 Euro pro Festmeter bringe, erreiche die Buche diesen Preis schon bei 15 Zentimeter Durchmesser – nicht zuletzt wegen ihres Brennwerts. Sie könne etwa doppelt so viel Heizöl ersetzen wie eine Fichte.
Aber ganz abgesehen von den ökonomischen Erwägungen gehört die Buche – wie auch die Tanne – zu jenen Hölzern, die mithelfen sollen, den Wald nun vielfältiger und widerstandsfähiger zu machen, wie Beckert und Schmidt erläutern. Etwa 20 Prozent der Fichten an solch einer dichtbewachsenen Stelle würden sie aus dem Bestand nehmen, erklären die beiden, und dann gruppenweise Tannen und Buchen pflanzen, 600 Stück auf etwa 2000 Quadratmeter. Das Luftschnappen bei einzelnen Teilnehmern ist beinahe hörbar, deshalb schiebt Beckert noch eine Rechnung nach.
Der Kauf der Pflanzen für den sogenannten „Vorbau“, also den kleinflächigen Umbau, werde im Rahmen eines Waldförderprogramms komplett von der Staatsregierung finanziert. Lediglich die Kosten für einen Zaun oder andere Schutzmaßnahmen gegen Wildverbiss kämen auf den Waldbesitzer zu, vielleicht 450 Euro bei etwa 1000 Quadratmetern, so Beckert. „Wenn aber der Käfer reinkommt, dann kriegen Sie für 100 Bäume vielleicht noch 30 Euro für den Ster.“ Zum Vergleich: Im Januar 2024 lag der aktuelle Preis für einen Ster oder Raummeter Fichtenholzscheite bundesweit bei durchschnittlich 118 Euro.
Der Vorbau oder Unterbau werde ja auch immer in kleinen Flächen betrieben, erklären die Förster, und man könne damit rechnen, dass sich weitere Bäume wie Birken, Weiden oder Vogelbeeren selbst ansiedelten. Ein solcher Unterbau sei widerstandsfähig, bleibe auch stehen, wenn die hohen Fichten einem Sturm zum Opfer fielen. Eine Investition in die Zukunft also.
Dass eine gute Planung, das Vorhandensein einer Rückegasse etwa oder das gezielte Auslichten des Altbestands aber unabdingbar seien, machen Beckert und Schmidt an einer anderen Stelle klar, wo zwischen hohen Fichten Buchen dicht an dicht wachsen. Die Buchen habe einer seiner Vorgänger vor einem Vierteljahrhundert gepflanzt, erzählt Schmidt. Dass die jämmerlichen Stangerl, kaum fünf Zentimeter dick und maximal acht Meter hoch, so alt sein sollen, mag kaum einer glauben.
Gut gemeint, aber schlecht gemacht, so Schmidts Fazit. Die Buchen seien viel zu eng gesetzt worden, ohne ihnen im Altbestand Platz und Licht zu schaffen. „Wenn wir hier die alten Fichten rausholen wollen, gibt es Tränen bei den Buchen.“ Ein sommerlicher Borkenkäferbefall in den Fichten erfordere eine sofortige Fällung der Nadelbäume, die auf der eng bestandenen Fläche auch die belaubten Kronen der Buchen mit sich reißen würden.
Buchen eigneten sich dagegen gut, um etwa in sogenannten Schneelöchern gepflanzt zu werden, wo der Altbestand sie von außen vor Frost oder Sturm schütze. Die als Jungbäume schattenverträglicheren Tannen dagegen fühlten sich als Neuanlage zwischen gelichtetem Altbestand wohl.
Beiden Baumarten aber, erläutert Försterin Beckert, seien besser geeignet, der Trockenheit zu trotzen als die flach wurzelnde Fichte. „Wir sind hier in der Schotterebene, der Boden speichert kaum Wasser, das Grundwasser ist 40 Meter tief.“ Schwere Stürme wie Niklas 2015 täten ein übriges, jenen Wald zu vernichten, den wir in Kindertagen als das Idealbild des Waldes kennengelernt hätten.
Dass eine sich selbst überlassene Natur, wie von Umweltschützern häufig gefordert, den freigewordenen Raum mit vielfältigem Baumbewuchs füllen würde, hält die Försterin für einen Trugschluss. „Es ist nicht so, dass Flächenstilllegungen zu mehr Vielfalt führen.“ Niedriges Gesträuch, Gräser und Brombeeren würden das Wachstum der kleinen Bäume behindern, wie Beckert an einer Stelle im Wald demonstriert.
Tannen, Buchen und Eichen hätten es auf völlig offenen Flächen viel schwerer, groß und stark zu werden. „Ich bin auch in Frankreich unterwegs und kenne solche Flächen. Da ist alles voller Dornen, Spazierengehen willst du da auch nicht mehr.“ Der Wald brauche also viel länger, um große Stämme zu bilden und auch seiner Funktion als CO₂-Speicher wieder gerecht zu werden, wenn man ihm nicht helfe, sich zu erneuern und sich der zunehmenden Hitze und Trockenheit anzupassen. Die man sich in diesem Sommer ja manchmal fast wünscht. Aber, sagt die Försterin: „Ich bin froh über jeden Tag, an dem es regnet.“