"Quarantänebedingt konnte das Bennewitz Quartett nicht zu seinem Konzert im Kammermusikzyklus des Kulturvereins Zorneding-Baldham anreisen. Dessen musikalischem Leiter Oliver Triendl gelang es, Ersatz für das Ensemble zu beschaffen. Das Programm konnte mit zwei kleinen Änderungen aufgeführt werden." So liest es sich, verdichtet man die Geschehnisse der vorigen Woche und des Sonntagabends auf eine nüchterne Mitteilung. Wer den Dingen auf den Grund geht, entdeckt eine mitreißende Geschichte von guten Beziehungen, tiefgreifender Kenntnis von Kunst und Können sowie einer Aufführung, die niemand so schnell vergessen wird.
Zweieinhalb Tage nur blieben den fünf Musikerinnen und Musikern, sich aufeinander einzustimmen. Zweieinhalb Tage waren es indes nur deshalb, weil Oliver Triendl nicht nur einfach in der Szene "vernetzt", sondern "bestens vernetzt" ist, und als Veranstalter einen exzellenten Ruf genießt. Sonst wäre viel weniger Zeit nach der Absage am Mittwoch geblieben - und außerdem keine Gruppe zustande gekommen, die es in der Hand, im Kopf und im Instrument hat, eine Serenade Ernst von Dohnányis, ein Intermezzo von Zoltán Kodály und ein Streichquintett von Antonin Dvorák aufführungsreif einzustudieren. Drei Stücke, die man nicht einfach so mal vom Blatt spielt, geschweige denn konzertiert.
Als einzige vom ursprünglichen Programm geblieben war die junge Bratschistin Sindy Mohamed, ein noch aufsteigender, aber schon hell funkelnder Stern über der Klassiklandschaft, derentwegen allein schon die Ohren im Publikum vorgespitzt waren. Es ist das eine, Aufregendes und Versprechungsvolles über eine Künstlerin zu lesen, das andere, sie dann unmittelbar kennenzulernen und wahrzunehmen. Ihr war denn auch das einzige Solostück des Abends vorbehalten, "In Nomine all'ongherese" aus "Signs, Games and Messages" von György Kurtág. In tief aus dem Inneren entspringenden Bewegungen, mit blitzgescheiter Akzentuierung und in leidenschaftlicher Verbindung mit ihrem Instrument, einer Viola Matteo Goffrillers von 1700, schuf Mohamed etwas, das Astronomen eine "Singularität" nennen: einen, in diesem Fall: musikalischen, Ort, an dem die Gravitation so stark ist, dass die Krümmung der Raumzeit divergiert, umgangssprachlich also "unendlich" ist. Wenn es je eines Argumentes bedürfte, um den unschätzbaren Wert live aufgeführter Musik zu untermauern - diese fünf Minuten haben es geliefert. Wer dabei war, wird sich in den kommenden Jahrzehnten daran erinnern dürfen, wenn diese Musikerin einlöst, was sie hier versprochen hat.
Zumal die Bratschistin jene funkelnde Lebensfreude ausstrahlt, die mancher der "ernsten Musik" abstreiten will. Die instrumentalen Dialoge mit den anderen vieren, in denen sie sich im Dvorák-Quintett zusammenfand, gingen bei Esprit und Dynamik weit über das hinaus, was man in diesem, "Amerikanisches" genannten, Viersätzer an heiterer Folklore und bunten Farben sowieso schon erwarten darf. Matthias Lingenfelder und Nina Karmon an den Violinen, Roland Glassl, Viola, und Maximilian Hornung, Violoncello: Alle gemeinsam fuhren sie die Ernte ein für das intensive Proben und Erarbeiten der Vortage. Selten sah man so strahlende, befreit lächelnde und einander aufmunternde Mienen auf dem Podium wie bei diesem Konzert. Was sich, zwischendrin genauso wie am Ende, in stürmischem Applaus des Publikums spiegelte.
Einem Publikum, das sich wohl nach unmittelbarem Musikerlebnis sehnte, gleichwohl aber auch seiner Fachkunde und seines Respekts für außergewöhnliche Qualität erinnerte. Etwa, wenn es im lyrischen vierten Satz der Dohnányi-Serenade den Atem anhielt, dass auch nicht ein Windhauch die fein gesponnenen Klangfäden störe. Oder wenn, einen Satz vorher, sich die eine und der andere aufmerksam nach vorn neigte, gepackt von der gleichen Konzentration wie die Streicher. Ja, es steht bei diesem Stück "temperamentvoll" im Programmheft, gern auch mit "Sturm und Drang" zu übersetzen; aber trotzdem mangelt es nicht an Tiefe, an Seele und an Spannung in diesem Abendstück, das die Decke im Martinstadl durchbricht und seinen Weg ins Freie sucht.
Aus einem reich mit Folklore bestücktes Füllhorn an Heiterkeit und Folklore flossen dann die zwei folgenden Stücke in den Raum und die belebten Sinne. Zunächst, ouvertürenartig, das Intermezzo für Streichtrio Kodálys, dann, klanglich und inhaltlich unverkennbar verwandt mit Dvoráks 9. Sinfonie "Aus der Neuen Welt", das Streichquintett. Die Sätze eins, zwei und vier in Allegro, dazwischen ein unbekümmertes Larghetto: So viel Schwung, Lebenslust und Tanzbarkeit war darin enthalten, dass sich niemand mehr zu wundern brauchte, was dieses frei kombinierte Ensemble während seiner Probenarbeit motiviert hatte. Jeder Takt eine spannende Episode, jeder Satz eine mitreißende Geschichte: Dieses "Amerikanische" Quintett stellte sich mustergültig in die Tradition der Storyteller am Lagerfeuer und der Abenteurer-Auftritte in den Salons der Städte. Ein spannendes, mitreißendes und inspirierendes Konzert. Im Zornedinger Kammermusikzyklus wird es als hell funkelndes Kapitel in Erinnerung bleiben.