Eine WürdigungFeingeist mit Polter-Potenzial

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Der Zornedinger Hans Walter Kämpfel war auf den Bühnen der Welt unterwegs, leitete aber auch lange das Laienorchester des heimischen Kulturvereins.
Der Zornedinger Hans Walter Kämpfel war auf den Bühnen der Welt unterwegs, leitete aber auch lange das Laienorchester des heimischen Kulturvereins. (Foto: Kulturvereins Zorneding-Baldham/oh)

Der Zornedinger Dirigent Hans Walter Kämpfel hat nicht nur in großen Konzertsälen gewirkt, sondern auch das heimische „Sauschütt-Orchester“ geleitet. Am 22. Juni 2024 wäre er 100 Jahre alt geworden.

Von Peter Maicher, Zorneding

In Pöring war er daheim, in der Welt zu Hause: Generalmusikdirektor Hans Walter Kämpfel. Am 22. Juni wäre er 100 Jahre alt geworden. Mit jugendlich-wild flatternden Haaren war er als 16-Jähriger in der Pfarrkirche aufgebrochen in die große Welt der Musik, auf seinen Weg an die Dirigentenpulte in namhaften Opernhäusern und Konzertsälen Europas und Asiens. Frühe Fotos zeigen ihn mit jugendlichem, frauenbetörendem Schmelz, spätere als Grandseigneur mit wehender Silbermähne.

Als 14-Jähriger kam Hans Walter 1938 nach Zorneding, weil sein Vater, der Hauptlehrer Hans Kämpfel, hierher versetzt wurde. Die Familie lebte zunächst im Schulhaus neben der Kirche, wo der Vater als Organist tätig war und sich dabei gelegentlich schon von seinem musikalischen Sohn vertreten lassen konnte. Täglich fuhr dieser mit dem Zug nach München, ins Wilhelmsgymnasium. Ansonsten gab es für den Buben nur die Musik: In jeder freien Minute setzte er sich ans Klavier, erlernte auch weitere Instrumente wie Horn und besonders Geige.

Frühe Lorbeeren erntet er in der Kirche und an der Staatsoper

Was in ihm steckte, zeigte er den Zornedingern zum ersten Mal am Weihnachtstag 1940: Pfarrer Andreas Kainzmaier notierte in sein Tagebuch, der Gymnasiast habe „eine herrliche Festmesse für gemischten Chor, Blas- und Streichorchester komponiert“; das „glänzende Werk“ habe großes Lob erfahren. Einen weiteren großen Auftritt hatte der junge Kämpfel zum 25-jährigen Priesterjubiläum von Pfarrer Kainzmaier im Juni 1941 mit seiner „Jubelmesse“, von der Heimatzeitung als „höchst beachtenswert“ gewürdigt. Das Bild, das der junge Kämpfel beim Dirigieren bot, hat den damals zwölfjährigen Martin Burgmayer, heute verdienter Ortschronist, schwer beeindruckt: „Seine Verrenkungen und flatternden Haare, die er mit der einen Hand ständig zu bändigen versuchte, sorgten bei den Kindern im Kirchenschiff für verdrehte Hälse.“ (Später hatte der Dirigent zeitlebens einen Kamm bei sich.)

18 Jahre alt, musste Kämpfel 1942 in den Kriegsdienst zur Flakabwehr. 1945 schlug er sich von Hof zu Fuß ins heimatliche Zorneding durch. Dann nahm er sofort das Kapellmeisterstudium auf. Schon 1948 erhielt er ein Engagement an der Staatsoper München als Korrepetitor, die notwendige Vorstufe zum Dirigenten. Als solcher hatte er mit den Sängern deren Partien einzustudieren und bei den Proben am Klavier das Orchester zu ersetzen. Dabei fiel er Georg Solti, dem damaligen Münchner Generalmusikdirektor, so positiv auf, dass dieser ihm die Einstudierung einer Oper von Paul Hindemith anvertraute; der Komponist zeichnete ihn dafür mit einer persönlichen Widmung aus.

Jugendlicher Schmerz: Hans Walter Kämpfel um 1960.
Jugendlicher Schmerz: Hans Walter Kämpfel um 1960. (Foto: Kulturverein Zorneding-Baldham/oh)

Der weitere Weg führte Kämpfel als Korrepetitor und Kapellmeister nach Augsburg und Gelsenkirchen, danach wurde er Generalmusikdirektor in Aachen, Opernchef in Zürich, schließlich Generalmusikdirektor in Bremen. Als Gastdirigent wirkte er an verschiedenen Opernhäusern wie Hamburg, Neapel, Barcelona und leitete Konzerte und Tourneen namhafter Orchester wie Bamberger und Wiener Symphoniker, Münchner Philharmoniker, Symphonieorchester des BR, weitere Orchester in Paris und Osaka. Ein Konzert in Ankara in den 60er-Jahren wurde für den Dirigenten lebensbestimmend: In der deutschen Botschaft dort war eine Dame für die Künstlerbetreuung zuständig. Für Kämpfel nahm sie diese so ernst, dass daraus eine Lebenspartnerschaft bis zu seinem Tod wurde.

Kämpfel war eine Größe in der internationalen Musikwelt. Dazu nüchterne Zahlen: Opern auf 18 Bühnen in sechs Ländern, Konzerte mit 27 Orchestern in neun Ländern, zahlreiche Funk- und Fernsehauftritte. Ein unstetes Dirigentenleben aus dem Koffer, nur wenig Verschnaufpausen daheim. In Pöring hatten die Kämpfels seit 1954 ein schmuckes Häuschen in der St.-Martin-Straße. Der Vater hatte es erbaut, mit Hilfe auch seiner Schüler: Altbürgermeister Franz Pfluger erinnert sich, wie sein Lehrer ihn und andere Buben zu kleineren Hilfsarbeiten anhielt.

Kämpfels Häuschen war damals schmuck.
Kämpfels Häuschen war damals schmuck. (Foto: Kulturverein Zorneding-Baldham/oh)
Heute ist das Gebäude dem Verfall preisgegeben.
Heute ist das Gebäude dem Verfall preisgegeben. (Foto: Johannes Schott/Heimatkundekreis(oh))

Dann ein Glücksfall für die Gemeinde: Als Kämpfel auf die 50 zugeht, entschließt sich der Vielgereiste, von nun an längere Aufenthalte daheim einzulegen. Zu verdanken ist das dem „Kulturdoktor“ Bernhard Marc. Dieser hatte 1963 den Kulturverein gegründet und wollte nun unter dessen Dach seine Vision einer eigenen Orchester- und Chorgemeinschaft verwirklichen.

Mit Geige und zitternden Knien zum Vorspiel beim „Maestro“

Auf seine Bitte hin ist Kämpfel mutig bereit, die Leitung eines noch gar nicht existierenden Laienorchesters zu übernehmen. Eifrig wirbt man um Mitwirkende. Aber guter Wille allein reicht nicht, es braucht schon ein gewisses Maß an Können. Also müssen alle zum Vorspiel vor den „Maestro“. Sigrid Gottstein, von Anfang an durchgehend bis heute dabei, erinnert sich, wie sie da mit ihrer Geige und zitternden Knien antrat.

Am 2. Mai 1973 gab’s die erste Probe, aber nur 35 Mitwirkende. Daraufhin ein eindringlicher Rundbrief von Marc und Kämpfel: Bitte melden, wir brauchen 60 Musizierende, suchen Streicher, Holz- und Blechbläser! Mit Erfolg – im Mai 1974 wurde das erste Konzert gegeben mit über 60 Instrumentalisten und großem Chor. Auf dem Programm: Beethoven und Haydn. „Glanzvolle Aufführung“ schrieb die Heimatzeitung, „ein glänzender Klangkörper, der in der Umgebung seinesgleichen sucht“.

1979 dirigiert Hans Walter Kämpfel im Martinstadl.
1979 dirigiert Hans Walter Kämpfel im Martinstadl. (Foto: Marlene Schmitt-Jemüller(oh))

Nichts davon zu spüren, wie schwer es sich Dirigent und Orchester bei den Proben machten. Auch wenn Kämpfel sich – so Gottstein – gut hineinfand in „die für ihn gänzlich neue Situation mit gutwilligen, aber größtenteils ahnungslosen Laien“. Er war ja ausgefuchste Orchester-Profis gewohnt. Besonders schwierig wurde es, als Kämpfel mitten in den Vorbereitungen aufs erste Konzert nach Japan musste, um dort Beethovens neunte Symphonie mit einem Riesenorchester und 500-köpfigem Chor aufzuführen. „Verwöhnt durch das exakte Spiel der Japaner und ihre vorbildliche Probenmoral hatte unser Dirigent alles vergessen, was er bisher über Laienmusizieren gelernt hatte. Er war schlichtweg entsetzt“.

Aber man spielte – oder raufte? – sich zusammen, „dank der Ausstrahlung des Dirigenten“ entstand „aus dem Puzzlespiel der Übephasen“ ein musikalisches Ganzes, das für die vorausgegangenen Mühen reich entschädigte. Darüber hinaus hat Kämpfel mit seiner Begeisterung so manchen Jugendlichen angeregt, sich auch beruflich ganz der Musik zu widmen, wie etwa den Daxenberger Lukas Beikircher, der 13-jährig die Pauke im Orchester übernahm und später selbst Dirigent wurde.

Grandseigneur mit wehender Silbermähne: Diese Bild stammt von 2008.
Grandseigneur mit wehender Silbermähne: Diese Bild stammt von 2008. (Foto: Kulturverein/oh)

So feinsinnig Kämpfel dirigierte, so bajuwarisch-rustikal konnte er Fehlleistungen rüffeln. Seine Truppe nannte er schon mal „Sauschütt-Orchester“, nicht als Schmeichelei gedacht. Als Revanche erhielt er zum 70. Geburtstag ein „Sauschütt-ABC“, in dem die unerschöpflichen Schimpf-Variationen des verehrten Chefs humorig karikiert wurden, etwa: Verlor’n ist alle Liebesmüh’, koa Ahnung habt’s von Harmonie! Aber: „Welch Glück, dass er meist heiter bleibt, und mit Humor den Frust vertreibt.“

Mit Humor und Können führt er sogar die „Sauschüttler“ zum Erfolg

Auch der Humor baute eine Brücke zum gemeinsamen Erfolg. Wenn die „Sauschüttler“ selbstkritisch resümierten: „So kämpfeln wir uns durch die Kunst und ham von Können keinen Dunst“, klingt das sympathisch bescheiden, ist aber grundfalsch. Mehr als 160 Konzerte führte Kämpfel mit ihnen auf. Als er 2003 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, galt dies auch seinem Orchester. Dessen Leitung legte er 2004 in Andreas Pascal Heinzmanns jüngere Hände. „Er hat uns mit sicherer Hand durch so manche Klippen der Partituren geführt und durch seine eigene Begeisterung die Schönheiten der Werke erst so richtig nahegebracht“, erklärten die Musiker zum Abschied von ihrem 2016 verstorbenen Maestro.

Bis zuletzt war Kämpfel daheim von seiner Partnerin liebevoll gepflegt worden. Heute ruht er auf dem Pöringer Friedhof. Sein geliebter Garten ist überwuchert, sein Häuschen (Erbpacht der Kirche) am Verfallen. Seit Ende 2016 steht es leer, schmerzlich angesichts des Wohnraummangels. Nun scheint es einem größeren Neubau weichen zu müssen.

Peter Maicher lebt in Zorneding, war Direktor des Bayerischen Landtags und widmet sich leidenschaftlich verschiedenen Themen der Ortsgeschichte. Er ist Mitglied des Heimatkundekreises. Für diesen Artikel hat er mit Zeitzeugen gesprochen und Schriften des Kulturvereins ausgewertet.

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