Zorneding:Jugendamt: Keine Tagesmutter für sechs Monate altes Baby

Zorneding: Die ältere Tochter Jonscha geht seit Jahren zur Tagesmutter, jetzt soll auch die kleine Kaja für zehn Stunden in der Woche dort bleiben.

Die ältere Tochter Jonscha geht seit Jahren zur Tagesmutter, jetzt soll auch die kleine Kaja für zehn Stunden in der Woche dort bleiben.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Einem Zornedinger Ehepaar wird nahe gelegt, auf eine Kinderbetreuung zu verzichten, weil das Kind zu jung sei. Die Eltern fühlen sich bevormundet.

Von Anja Blum, Zorneding

Leandra Sabaß ist zutiefst empört - über einen Anruf aus dem Ebersberger Jugendamt. Das halbstündige Telefonat hat die Zornedingerin so vor den Kopf gestoßen, dass sie es Tage später noch kaum fassen kann. "Man darf doch eine Mutter nicht so unter Druck setzen", sagt sie und schüttelt den Kopf. Mangels Verständnis, aber wohl auch aus Ärger.

Denn das Jugendamt hat ihr dringend davon abgeraten, ihre Tochter bereits mit sechs Monaten zu einer Tagesmutter zu bringen. Dieser Rat ist für Sabaß jedoch starker Tobak: Man habe ihr implizit vorgeworfen, dem eigenen Kind zu schaden - das aber sei sehr verletzend und einschüchternd. "Man sitzt als berufstätige Mutter doch sowieso immer zwischen den Stühlen - und mit so einem Anruf wird es einem dann noch schwerer gemacht."

Leandra Sabaß hat zwei Kinder und ist promovierte Tierverhaltenstherapeutin. Als solche bietet die 32-Jährige Kurse und Einzeltrainings für Hundebesitzer an. Ihr Mann Sebastian Simon arbeitet beim Film, ein Job, der ebenfalls unregelmäßige Arbeitszeiten mit sich bringt.

Deswegen muss Sabaß ihre Termine unabhängig von ihm organisieren. "Großteils bin ich da ja sehr flexibel, aber ich brauche zwei fixe Zeitfenster, in denen ich die Kurse halten kann." Das Problem dabei ist, dass diese abends und am Wochenende stattfinden müssen, um auch berufstätigen Hundebesitzern die Teilnahme zu ermöglichen.

Das Amt sieht eine Gefahr für das Eltern-Kind-Verhältnis

Doch dafür hat Sabaß längst eine Lösung gefunden: Eine Tagesmutter, zu der ihre knapp fünfjährige Tochter Jonscha bereits seit Jahren zehn Stunden pro Woche geht. Mittlerweile besucht sie zudem vormittags einen Kindergarten. Wichtiger ist aber der Platz bei der Tagesmutter, da dieser der Mutter ermöglicht, ihrem Beruf nachzugehen.

Nun aber hat Jonscha noch ein Geschwisterchen bekommen, die kleine Kaja. Da Sabaß und ihr Mann beide selbständig sind, müssen und möchten sie nach einer gemeinsamen Elternzeit nun bald wieder arbeiten. Kaja soll daher, wenn sie sechs Monate alt ist, ebenfalls zehn Stunden die Woche zur Tagesmutter gehen.

Das Jugendamt jedoch hält von diesem Plan offenbar nicht viel: "Eine Mitarbeiterin hat mich angerufen und mich gefragt, ob ich meine Tochter wirklich schon so früh zu einer Tagesmutter geben wolle", berichtet Sabaß, "denn das belaste das Verhältnis zwischen Eltern und Kind sehr."

Dass es in ihrem Fall um lediglich zehn Stunden pro Woche gehe, habe die Mitarbeiterin dabei nicht interessiert, genauso wenig wie der Umstand, dass die große Schwester schon seit vier Jahren bei der selben Tagesmutter sei. "Kaja hätte zu ihrer großen Schwester ohnehin noch keine Bindung, hat sie gesagt", erzählt Sabaß.

Die Betreuung war bereits mit dem Jugendamt abgeklärt

Laut Gesetz können speziell ausgebildete Tagesmütter Babys ab der sechsten Woche bei sich aufnehmen, doch die Linie des Ebersberger Jugendamtes ist generell eine andere: "Da das erste Lebensjahr sehr wichtig für die Bindung zwischen Eltern und Kind ist, wird empfohlen, die Fremdbetreuung erst ab etwa einem Jahr zu starten", heißt es auf Nachfrage aus der Behörde.

Verhindern kann sie eine Platzvergabe an Babys aber nicht: "Die Tagesmütter suchen ihre Kinder beziehungsweise Familien selbst aus." Allerdings könne das Jugendamt, wenn seines Erachtens eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, das Gericht einschalten. Das entscheide dann, ob die Eignung als Tagesmutter aberkannt werde. Sollte die Pflegeerlaubnis entzogen werden, stoppen auch die Förderleistungen über das Jugendamt.

Die Tagesmutter der Familie Sabaß' ist hoch qualifiziert und erfahren: Timea Siman aus Baldham betreut bereits seit 26 Jahren Kinder. Dass das Jugendamt sich Gedanken mache über das Wohl der Kinder, sagt sie, finde sie sehr gut. "Doch in diesem Fall hatte ich die Entscheidung von den Eltern und mir bereits mit dem Amt besprochen und diesem die Gründe erklärt. Insofern verstehe ich nicht, warum man zusätzlich noch bei der Mutter angerufen hat."

Das zeuge nicht gerade von Vertrauen in ihre Arbeit als Tagesmutter, obwohl sie schon lange in engem Kontakt mit dem Jugendamt stehe. Simans Erfahrung nach ist jedenfalls mit fünf, sechs Monaten "das beste Alter für die Eingewöhnung". Denn erst danach fange das "Fremdeln" so richtig an. "Die meisten meiner Kinder sind als Babys zu mir gekommen - und das hat immer gut funktioniert", erzählt sie.

Grund für die Sorge könnte auch die geringe Stundenzahl sein

Sabaß bezweifelt außerdem, dass es dem Jugendamt hier nur um das Kindeswohl geht. "Ich wurde nämlich gefragt, ob es nicht Großeltern gebe, die die Betreuung übernehmen könnten", erzählt sie.

Eine solche Möglichkeit habe ihre Familie jedoch nicht, so dass als Alternative nur ein Babysitter oder Aupair infrage käme. "Und da würde sich das Jugendamt auch nicht einmischen", obwohl die Qualität einer solchen Betreuung - im Gegensatz zu der bei einer Tagesmutter - völlig dem Zufall überlassen wäre.

Für die Zornedinger Eltern ist das Altersargument des Jugendamtes in ihrem Fall daher ziemlich fadenscheinig. "Wir glauben eher, dass es darum geht, die wenigen Tagesmutterplätze, die es gibt, besser auszulasten", sagt Leandra Sabaß. "Aber: Ein Einjähriger, der 40 Stunden pro Woche betreut wird - ist das wirklich besser?"

Das Jugendamt hingegen gibt an, bei den Buchungszeiten keine Prioritäten zu haben: "Die Tagesmütter sind selbständig und können selbst über den Umfang der Betreuung, die sie anbieten, entscheiden.

Des Mangels an Plätzen ist sich die Familie indes durchaus bewusst. "Wir wollen natürlich niemandem mit unseren wenigen Stunden einen Platz wegnehmen", sagt die Mutter. Deswegen habe sie gemeinsam mit der Tagesmutter versucht, eine Sondergenehmigung zu bekommen.

Grundsätzlich nämlich beinhaltet eine Pflegeerlaubnis, dass eine Tagesmutter fünf Kinder gleichzeitig betreuen und insgesamt, also bei zeitversetzter Betreuung, höchstens acht Kinder aufnehmen darf. Diese Vorgaben sind gesetzlich verankert, ihre Einhaltung wird vom Jugendamt überwacht.

Eine Ausnahme ist nicht möglich

Aus Sicht der Zornedinger Familie aber wäre es kein Problem, in ihrem Fall einen neunten Platz zu genehmigen. "Unsere Kinder sind ja immer nur abends und am Wochenende da, also dann, wenn die meisten anderen Kinder daheim sind, so dass die Fünf-Kinder-Regel nie verletzt würde."

Doch laut der Behörde ist eine solche Ausnahme nicht möglich: "Es gibt keine Sonderregelungen, da das Jugendamt sich nicht über gesetzliche Voraussetzungen hinwegsetzen darf." Das hat nun zur Folge, dass zwei ganze Plätze von Kindern belegt sind, die nur sehr wenige Stunden davon in Anspruch nehmen - womit auch die Tagesmutter nicht zufrieden ist. "Denn mit den übrigen Stunden könnte ich ja gut noch eine andere Familie glücklich machen."

Dazu kommt noch, dass die Situation zu finanziellen Einbußen für sie führt, schließlich wird die Betreuung nach Stunden abgerechnet. "Ich will die Familie aber auf keinen Fall hängen lassen", sagt Tagesmutter Siman und lächelt. Wenn auch etwas gequält.

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