Süddeutsche Zeitung

Ausstellung in Zorneding:Mit dem Pinsel gegen Unrecht

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Anna Schilling zeigt, was ihr "Herz in Haft nimmt": das Schicksal Südafrikas und ihre vielen Enkel. Ein bewegtes Leben in Bildern.

Von Alexander Karam, Zorneding

Für Anna Schilling ist fast alles Erinnerung. An diesem Vormittag deutet die 70-Jährige auf ihren Kaffeebecher und erzählt von einem südafrikanischen Café, in dem sie einst mit zwei Widerstandskämpferinnen ins Gespräch gekommen sei. "Bei genau so einer Tasse habe ich mich mit den beiden Frauen unterhalten." Aquarelle, Acrylgemälde, Batiken, Collagen und Zeichnungen "zwischen A-frika und Z-orneding" zeigt Anna Schilling nun im Zornedinger Rathaus. An diesem Mittwoch, 25. Mai, um 18 Uhr ist Vernissage, der Titel der Ausstellung lautet "Herzhaft".

Im ersten Stock lehnen noch zahlreiche Bilder an der Wand. Im Erdgeschoss des Zornedinger Rathauses sitzt Schilling barfuß neben einer vier Meter hohen Monstera, einer Pflanze, auf die nicht nur so manche Studenten-WG neidisch wäre. Um sie herum liegen Batiken mit afrikanischen Motiven auf dem Boden verteilt: "Mit den für das Wachs erforderlichen Trocknungszeiten ist das eine sehr langwierige Arbeit, doch diese Tierwelten wollte ich unbedingt stilisieren", erklärt die Künstlerin.

Mit dem Malen hatte Anna Schilling erst eigentlich nicht viel zu tun, doch durch ihren aquarellierenden Vater und ein Kunststudium habe sich dann schnell ein Zugang zur künstlerischen Verarbeitung von Erlebnissen ergeben: "In allen meinen Bilder steckt ein Anliegen", sagt sie. "An der ästhetischen Oberfläche zu verweilen, reicht mir nicht." Ein Gefühl der Verbundenheit sei ihr wichtig, beschreibt Schilling ihr künstlerisches Schaffen.

Zusätzlich zu Schillings Werken haben zehn Enkelinnen und Enkel der Künstlerin diverse Bilder beigesteuert. Der siebenjährige Vincent war von der Idee der Oma schnell überzeugt: "Er hat sofort zur größten Leinwand gegriffen und einfach losgelegt", erzählt sie. Die Porträts der Enkelkinder, jeweils mit einem Zitat ihres eigenen Bildes als Accessoire in der Komposition oder als Bildraum-Konstellation, haben ein Vorbild im Werk der expressionistischen Künstlerin Gabriele Münter.

Warum ist Schilling dem fernen Land nach wie vor so verbunden, dass sie dies in einer Ausstellung zeigt?

"Die Ausstellung beschreibt zwei meiner wichtigsten Lebenstriebe: Südafrika und meine Kinder", sagt Schilling. Denn zwischen 1983 und 1988 lebte sie mit ihrer Familie in dem damaligen Apartheidsstaat. Diese Erfahrungen prägen sie bis heute. Doch wie kam es dazu ? Warum ist Schilling dem Land nach wie vor so verbunden, dass sie dies in einer Ausstellung zeigt?

"Als ich 1982 mit meinen drei Kindern in der Innenstadt von München saß, kam mir die Idee, dass ein länger Auslandsaufenthalt neuen Schwung in unser Leben bringen könnte", erzählt die 70-Jährige. Ihr Mann habe damals als Mitarbeiter einer internationalen Firma die Möglichkeit gehabt, ins Ausland zu gehen, und bekam zwei Länder angeboten: Schweden oder eben Südafrika.

Das dortige System der Apartheid aber habe sie schockiert: Durch ihr Studium der Germanistik und der Kunst in Rheinland-Pfalz und in München in den späten 68ern sei sie für Ungerechtigkeiten besonders sensibilisiert gewesen, sagt Schilling. Doch aktiv zu werden - alles andere als einfach: Zwar habe es einige Widerstandsbewegungen gegeben, aber wo sollte sie als weiße Europäerin anknüpfen? "Ich wollte mich nicht einfach nur andienen, ich brauchte auch etwas eigenes."

Schließlich habe sich eine "Nischensituation" ergeben, wie so oft in autoritären Regimes: Bei einem Event hätten mehrere Chöre mit Sängern und Sängerinnen unterschiedlicher Hautfarbe gemeinsam gesungen. Anschließend sei es zu anfangs besagtem Café-Gespräch mit Vertreterinnen der "Black-Sash"-Gruppe gekommen: "Da der Kontakt zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe untersagt war, blieb mir nichts anderes übrig, als mich in dieser weißen Widerstandsbewegung zu engagieren." Der Name der Gruppe leitet sich von einer schwarzen Schärpe hab, die die ausschließlich weiblichen Mitglieder damals aus Solidarität mit der unterdrückten Mehrheitsbevölkerung trugen.

Ein persönlicher Grund für den Widerstand: Die eigenen Söhne sollten zum Militär

Einen persönlichen Grund für ihren Widerstand habe sie dann aber auch schnell gefunden, erzählt Schilling: Aufgrund der Wehrpflicht hätten ihre eigenen Söhne mit 16 Jahren eingezogen werden sollen. Dass diese sich so an dem Unrechtsstaat beteiligen sollten, sei für sie aber nicht in Frage gekommen.

Die Frauen der Gruppe hätten ihr jedenfalls endlich die Chance zur Identifikation mit dem Land gegeben - einem Land in einer rassistischen, sozial- und umweltpolitischen Zerreißprobe - jenseits aller touristischen Verlockungen: "Im Widerstand engagiert zu sein, forderte damals, wie heute, gelegentlich herzhaftes Standhalten. Die leidenschaftliche Verbundenheit mit Südafrika besteht - hält mein Herz in Haft." So schreibt Schilling in der Ankündigung zu der Ausstellung. Daher auch ihr Titel: "Herzhaft".

Als sich die Situation in Südafrika 1988 immer weiter zuspitzt, beschließt das Unternehmen ihres Mannes, alle Mitarbeiter aus dem Land abzuziehen, auch Familie Schilling: "Ich wäre gerne noch länger geblieben", sagt die Künstlerin. Doch die Rückkehr nach Deutschland war unausweichlich. "Furchtbar war das. Ich habe einige Zeit gebraucht, um mich zu akklimatisieren." Nach der Ankunft brauchte sie zudem ein Ventil, um die Erlebnisse zu verarbeiten - als Kunstlehrerin bot sich ihr der Unterricht dafür besonders gut an: "Meine Schülerinnen und Schüler sind Experten für südafrikanische Kunst geworden." Einige von ihnen hätten sich auch zur Ausstellung angekündigt, um die Werke ihrer ehemaligen Lehrerin zu sehen.

In diesen verarbeitet Schilling viele Erinnerungen, auch die schlechten. Ein Bild zeigt eine große, mit Stacheldraht gesicherte Mauer: "So sieht das dort heute aus", sagt die 70-Jährige, vom Wohnhaus dahinter ist nichts mehr zu sehen. Früher seien die Mauern nur "so groß" gewesen, sagt Schilling, während sie mit ihren geschätzten 1,75 Metern Körpergröße ihren Arm gen Rathausdecke streckt.

Heute seien viele Dinge anders, aber auch nicht immer besser - die gesellschaftlichen Raster etwa gebe es immer noch: "Heute sind es nur weniger die plakativen Kategorien Schwarz und Weiß, sondern Reich und Arm, die sich voneinander abgrenzen." Besonders für verarmte schwarze Südafrikaner eine schwierige Situation: "Wenn die ihre reichen schwarzen Brüder und Schwestern sehen, kommt das Gefühl auf, man sein ein Verlierer und wäre selbst schuld, dass man den Aufstieg nicht geschafft hat."

Auch die Landschaft sei nicht mehr die gleiche wie früher. Einige Malereien zeigen Wüstendünen, vor denen Schilling früher mehrere Stunden saß, um sie abzeichnen: "Diese Idylle gibt es dort heute nicht mehr, jetzt kommen die großen Reisebusse und bringen Massen an Touristen mit." 2019 reiste sie das erste Mal seit ihrem Aufenthalt wieder in das Land: "Dort spüre ich ein Heimatgefühl, ich fühle mich den Menschen sehr verbunden."

Ob sie denn ein Lieblingsbild habe? Bei der Frage kämpft Schilling mit den Tränen: "Hommage Aline" heißt es und ist eine Widmung an die ausgebeuteten südafrikanischen Haushaltshilfen. "Das war ein tiefer innerer Prozess. Ich habe so eine starke Verbundenheit zu den Frauen gefühlt, ich wusste selbst vorher nicht, was da rauskommt."

Als Künstlerin blickt Schilling heute auf ihre Erfahrungen zurück: "Man sollte sich nicht von falschen Wertevorstellungen leiten lassen, sondern immer hinterfragen, was man selbst für wichtig hält", sagt die 70-Jährige. Und das könne man dann eben durch Malerei, Worte oder andere kreativen Formen zum Ausdruck bringen.

Plötzlich wird Schilling aus dem Erzählen herausgerissen, als ihre Tochter Sarah aus dem ersten Stock ruft: "Mama, das schaffen wir nie vor Mittwoch, uns fehlen die ganzen Aufhänger." Schilling, die schon auf dem Weg nach oben ist, fügt im Gehen noch hinzu, was sie mit ihren Bildern erreichen will: "Wenn ich es schaffe, dass meine Werke die Besucher berühren, wäre das ein großer Erfolg für mich."

Ausstellung von Anna Schilling im Rathaus Zorneding, Vernissage an diesem Mittwoch, 25. Mai, um 18 Uhr.

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