Süddeutsche Zeitung

Zirkus in Vaterstetten:"Die Leute wissen wieder zu schätzen, was ein Zirkus ist"

Seit vielen Jahren kommt die Familie Schmidt-Feraro in den Landkreis Ebersberg, aktuell treten die Künstler in Vaterstetten auf - zum ersten Mal nach drei Jahren. Wegen Corona hat mehr als ein Jahr Zwangspause geherrscht. Bei einem Besuch erzählen die Artisten, wie es ihnen während dieser Zeit erging

Von Karin Pill, Vaterstetten

Der Geruch nach Popcorn, Sägespänen und Zeltplanen - für Hermann Schmidt-Feraro, Zirkusdirektor des "Circus Feraro", sind das schon einmal drei gute Gründe, um in den Zirkus zu gehen. Aber natürlich kämen die Leute überwiegend, um zu lachen. "Ach, was haben die Leute und besonders die Kinder gelacht am letzten Sonntag", sagt Schmidt-Feraro und denkt dabei an die vergangene Aufführung zurück, als er und seine insgesamt 21-köpfige Zirkus-Familie nach etwa drei Jahren endlich wieder in Vaterstetten auftreten durften.

"Das Schönste für uns war", so der Zirkusdirektor, "dass das Publikum voll mitgegangen ist. Das war ein richtiger Ansporn für uns." Am Ende der Vorstellung sei sogar eine Mutter zu ihm gekommen, deren Kinder noch nie im Zirkus waren. Sie bat den Zirkusdirektor um ein Foto mit ihrem Sohn und ihrer Tochter.

Einer der Gründe, warum der Bub und das Mädchen noch nie einen Zirkus besuchen konnten, ist freilich die Corona-Pandemie. Darunter litten nicht nur die Kleinen, die keine Clowns, Tiere oder Artisten sehen konnten. Zirkus-Familien wie die Schmidt-Feraros waren von den Einschränkungen für die Kultur besonders hart getroffen.

In Jeans und weißem T-Shirt steht der Zirkusdirektor in der leeren Manege auf dem Vaterstettener Festplatz. Er deutet auf die Ränge, auf denen unter normalen Umständen bis zu 800 Personen Platz finden. Seit Mai darf er gerade einmal 200 Personen reinlassen, trotzdem hat er 350 Plätze bestuhlt - Taschen oder Rucksäcke wollen schließlich auch abgelegt werden.

"Wir Zirkusse, wir gehören zu den Vergessenen in der Krise", sagt er. Insgesamt ein Jahr lang durften sie nicht spielen. Während dieser Zeit waren Schmidt-Feraro, seine Frau, seine sieben Söhne und drei Töchter auf das Wohlwollen vieler Menschen und Gemeinden angewiesen. "In der Nähe von Freising durften wir während des Spielverbots mehrere Monate lang mit unseren Wohnwagen und Tieren stehen. Dafür sind wir sehr dankbar", so der Direktor. Die Unkosten liefen natürlich trotzdem weiter. Denn die Tiere und auch die Menschen wollen versorgt sein.

Schmidt-Feraro zufolge dauerte es lange, bis die Zirkusleute wussten, dass es für sie wieder losgehen würde. "König Fußball durfte da schon lange wieder spielen - mit Publikum. Für uns hieß es dann von heute auf morgen, wir bräuchten ein Hygienekonzept." Seit Anfang Juli sind die Schmidt-Feraros nun wieder unterwegs, Vaterstetten ist ihre dritte Station.

Sarah, das drittälteste Kind der Familie, kommt aus einem der Wohnwagen. Ob Aufgeben während der Pandemie für die 34-Jährige jemals in Frage kam? "Auf keinen Fall", sagt sie mit einem festen Blick. "Ich mache das von klein auf, mein Leben lang. Ich kann mir nichts anderes vorstellen." Weil die Familie durch die Pandemie Schulden machen musste und nur eine geringe finanzielle Nothilfe des Staates erhielt, sind alle froh, dass es für sie nun endlich wieder losgeht.

Auf den ersten Blick sieht es auf dem Vaterstettener Festplatz zunächst menschenleer aus, an diesem Donnerstagnachmittag ist keine Aufführung mehr geplant. Doch wer länger beobachtet, sieht immer ein Familienmitglied um das Zirkuszelt herumhuschen. Aufbauen, proben, Tiere versorgen - all das gehört zu den Aufgaben der Artisten. "Genau das fasziniert die Leute", sagt der Zirkusdirektor. "Wir sind wie ein kleines Dorf. Wir haben alles dabei: Unsere Lkw, die Wohnwagen, die Tiere. Und an Auftrittstagen steht plötzlich der, der gerade noch den Eintritt gemacht hat, als Messerwerfer in der Manege." Auch beim Zeltauf- und abbau müssten alle mit anpacken. So ein Zirkuszelt sei in vier Stunden aufgebaut, "aber nur, wenn es wirklich schnell geht", so Schmidt-Feraro.

Wenn es dann endlich Zeit für die Aufführung ist, bekommen Zuschauerinnen und Zuschauer bei den Schmidt-Feraros Artistik in acht Metern Höhe, Messerwerfer, Clowns und natürlich Tiere zu sehen. "Was ist schon ein Zirkus ohne Tiere?", fragt Schmidt-Feraro. "Aber keine Großwildtiere", das ist ihm wichtig zu betonen. Die etwa vierzig Tiere des Circus Feraro, darunter Ponys, Lamas, Riesenschlangen sowie dressierte Tauben und Hunde tummeln sich hinter dem Zirkuszelt. Wenn keine Vorstellungen stattfinden, leben die Tiere in großen Gehegen an der frischen Luft, unter anderem die 34-jährige Sarah kümmert sich täglich um sie.

Wenige Meter neben dem Zirkuszelt, umgeben von einer Handvoll Wohnwagen, sitzt der 65-jährige Schmidt-Feraro nun vor seinem Küchen-Wohnwagen im Schatten. Seine Frau bereite darin immer Essen für die ganze Familie vor, erzählt er und deutet auf den Wagen hinter sich. Die beiden stammen aus Zirkusdynastien, sagt der Direktor. Geboren wurde er zwar im Krankenhaus, aber bereits am selben Tag kehrte seine Mutter mit ihm als Neugeborenen zurück zum Zirkus und stand am nächsten Tag wieder in der Manege. "So war das damals." Nun gehen die Schmidt-Feraros in die sechste Generation und haben als Schausteller und Zirkusfamilie schon viel erlebt.

So zum Beispiel auch, was Existenzminimum bedeutet. Der Umstand, dass die Familie schon mehrere Male in so einer Situation steckte, lasse sie besonders am Schicksal der vom Hochwasser Betroffenen teilhaben. "Wir haben sehr mitgelitten mit den Flut-Opfern", so der Zirkusdirektor. Er und seine Familie überlegen sogar, demnächst eine Benefiz-Veranstaltung in den betroffenen bayerischen Gebieten zu geben. "Wir wissen schließlich, wie es ist, nichts zu haben. Wir wollen die Leute aufmuntern."

Doch die Leute aufzumuntern, das sei gar nicht mehr so einfach, stellte Schmidt-Feraro im Laufe seiner Artisten-Karriere fest. "Früher war es leichter, die Leute zum Lachen zu bringen. Aber heute, mit der ganzen Comedy, die im Fernsehen läuft, da ist es wirklich schwierig, den Leuten ein Schmunzeln zu entlocken." Doch das sporne sie erst recht an, gibt er dann verschmitzt zu.

Plötzlich klingelt sein Handy, als Klingelton ertönt ein bekanntes Lied, das bei keiner Zirkusaufführung fehlen darf. Der Anrufer erkundigt sich nach den Aufführungen am kommenden Wochenende. Als Schmidt-Feraro auflegt, sagt er zufrieden: "Wir haben eine große Fangemeinde hier im Münchener Umland." Die Leute freuten sich so sehr, sie, die Schmidt-Feraros wieder zu sehen. Das sei nach den Monaten der Zwangspause das Allerschönste: "Die Leute wissen wieder zu schätzen, was ein Zirkus ist", so Schmidt-Feraro.

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Quelle:
SZ vom 22.07.2021
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