Ziel ist ein Dialog:Der Richter und Schlichter

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Viele Streitigkeiten hat der Wahl-Ebersberger Nikolaus Notter in seinen 35 Jahren als Mediator beigelegt. Dabei komme es vor allem auf den Dialog an. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Nikolaus Notter blickt auf 35 Jahre als Mediator zurück, in denen er viele verfeindete Ebersberger Nachbarn miteinander versöhnt hat. Von einem Juristen, der sich am liebsten überflüssig machte

Von Jessica Schober, Ebersberg

Eines Tages bekam Nikolaus Notter einen Anruf von einer Frau. Sie fühle sich gestört vom Busch des Nachbarn, der so hoch sei und so weit in ihren Garten hineinrage. Sie wolle klagen. Ein klassischer Fall für Notter, den Mediator. Er bat die Frau, die Augen zu schließen und sich vorzustellen, wie der Garten aussähe, wenn der Nachbar den Busch gerodet hätte. Da erschrak die Frau. Dann könne der ungeliebte Nachbar ja direkt in ihr Haus schauen, bloß nicht! Und schon hatte der Ebersberger Nikolaus Notter mal wieder einen Rechtsstreit verhindert.

Dabei hat der gelernte Jurist jahrelang selbst als Rechtsanwalt und Richter gearbeitet. In seiner Doppelrolle als Mediator hat er jedoch stets versucht, ein Verfahren schon im Vorfeld zu verhindern. "Ein Richter geht vor allem nach Paragrafen und Rechtsansprüchen - als Mediator habe ich es immer erst mal mit einer Güteverhandlung versucht." Letztlich gehe es in Konflikten immer auch um Ehre und die Anerkennung von Bedürfnissen.

Es waren oft die gleichen Zankäpfel, die ihn beschäftigten: herüberwachsende Zweige und Wurzeln vom Nachbargrundstück, streitende Eltern und Kinder und viele Arbeitsplatzkonflikte. Seit 2004 ist Notter im Ruhestand, als Mediator ist der 79-Jährige aber immer noch aktiv. Ob es heute nun große Themen wie die Brexit-Verhandlungen oder auch nur einfache Reibereien unter Nachbarn sind - der Mediator sieht überall Gelegenheit zum Ausgleich. Wenn er von seiner Arbeit redet, blitzen seine blauen Augen unter den buschigen Brauen auf. Er hat in Marburg, Lausanne, Würzburg und Cannes Jura studiert und in Bonn im Arbeitsministerium gearbeitet. Als der gebürtige Kurpfälzer schließlich als Arbeitsrichter nach München kam, zog er zunächst nach Ottobrunn und 1980 mit seiner Familie nach Ebersberg. "Ich bin kein Eingeborener, ich kann kein Bairisch", gibt er zu, auch wenn ihm das bei mancher Schlichtung vielleicht geholfen hätte.

Streitbeispiele aus dem Landkreis kann Notter viele erzählen. Er muss nur darauf achten, dass niemand die Beteiligten in der Nacherzählung identifizieren kann. So weigerte sich zum Beispiel ein uneinsichtiger Arbeitgeber einmal, einem Hilfsarbeiter seine Überstunden auszuzahlen. Halb im Scherz schlug Notter vor, er könne die Summe ja auch für einen guten Zweck spenden. Sofort zückte der Unternehmer seine Geldbörse und legte einen Tausend-Mark-Schein auf den Tisch - "der erste, den ich je gesehen habe", erinnert sich Notter. Bloß der Hilfsarbeiter war mit diesem Deal noch nicht ganz einverstanden, man einigte sich jedoch gütlich.

Oft löste Notter Streit auf unkonventionelle Art, indem er zum Beispiel die Sitzordnung der Beteiligten änderte. Wer sich vorher konfrontativ gegenüber saß, hockte bald nebeneinander und verstand sich besser. Als Notter einst mit einem Bauunternehmer zu tun hatte, "ein breiter Mann", wie er sagt, habe er ihm als erstes Schnupftabak angeboten. "Da breitete sich ein Lächeln in seinem Gesicht aus - die Einigung war dann Formsache." Überhaupt dürfe sich ein Mediator selbst nicht so wichtig nehmen. "Ich habe mich oft zurückgezogen und die Streitparteien in meinem Beratungszimmer die Details diskutieren lassen." Je mehr er sich zurücknehme, desto besser laufe es.

Sein Ziel ist der Dialog. Zwei Nachbarn aus dem Landkreis waren einmal nicht mehr bereit, sich miteinander an einen Tisch zu setzen, weil sie den jeweils anderen verdächtigten nachts über den Zaun zu klettern und den Baum des anderen zu beschneiden. Also betrieb Notter "Pendeldiplomatie" und erstellte schließlich ein Protokoll der Einigungspunkte. "Die meisten Streitigkeiten entstehen durch Nicht-Wissen." Bestes Beispiel sei das Hamberger Windrad. Da habe es im Vorfeld viel Streit in der Bevölkerung und Angst vor Lärm gegeben - heute sei, laut Notter, bloß ein leises Summen zu hören. Ähnliches erlebte der Mediator, als er zu einem drohenden Rechtsstreit im Landkreis zwischen einer Musikschule und dem benachbarten Wohnraumvermieter gerufen wurde. Notter plädierte für eine Ortsbegehung mit den Beteiligten, ließ Posaunen und Trommeln auffahren, und schließlich sagten die Bewohner: Die Musik ist nicht zu hören.

Ein guter Mediator müsse Verständnis für alle Bedürfnisse zeigen, den Parteien Raum geben und vorurteilsfrei an Fälle herangehen, so Notter. Das sei gar nicht so leicht. "Als Richter hatte ich mir oft schon eine Meinung über einen Angeklagten gebildet, nachdem ich die Akte gelesen hatte", erzählt Notter, "aber im Prozess muss man offen bleiben für eine Änderung der eigenen Einschätzung, denn manchmal denkt man plötzlich auch: Ach, der ist ja gar nicht so schlimm!"

Doch wie soll man miteinander umgehen, wenn die gesellschaftlichen Gräben immer tiefer werden? Neulich habe ihn ein Sektionskamerad im Alpenverein darauf angesprochen, dass "die Flüchtlinge ja immer mehr Geld kosteten". Notter wies darauf hin, dass die Rüstungskosten viel höher seien und verzichtete darüber hinaus auf eine Auseinandersetzung. "Man muss nicht in allem übereinstimmen und ich will den anderen ja nicht bekehren."

Als "Heiner Geißler des Landkreises" will der Ebersberger dennoch nicht durchgehen. Als jener sich in die Stuttgart-21-Mediation eingeklinkt habe, habe er sich zu sehr eingemischt, findet Notter. "Ich habe ihn bewundert", sagt Notter "Aber ein Mediator muss sich eben auch zurückhalten können." Diese Haltung hat dem Ebersberger und seinem Ruf nicht geschadet. "Wenn ich heute am Klostersee entlangspaziere, treffe ich viele Leute, die ich aus Mediationen kenne", sagt Notter, "und fast alle grüßen mich noch!"

© SZ vom 19.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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