Wolfratshausen:Den Baumstamm im Stammbaum

Für Josef Seitner war immer klar,dass er den 155 Jahre alten Flößereibetriebseiner Familie übernehmen will

Von Sabine Näher, Wolfratshausen

"Mir war als Bub schon klar, dass ich den Betrieb einmal übernehme und weiterführe", erzählt Josef Seitner. Seit vier Generationen, exakt seit 1860, hat seine Familie in Wolfratshausen das Floßrecht inne. Der 68-Jährige ist braun gebrannt und sportlich. Als Kinder hätten er und sein jüngerer Bruder beim Floßbau schon mit angepackt. Mit sechzehn Jahren wurde Seitner Floßführer. Obwohl er im Familienbetrieb mitarbeitete, riet ihm der Vater, einen zweiten Beruf zu erlernen: "Zur Sicherheit, als zweites Standbein. Damals war ja nicht absehbar, dass sich das Floßgeschäft so positiv entwickeln würde." So machte Seitner eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker. Aber er räumt ein: "Ich habe eigentlich nie daran gedacht, etwas anderes zu machen. Ich wollte immer nur Floßfahren."

Positiv entwickelt hat sich das Unternehmen in der Tat: Mit fünf Flößen fährt Seitner vom 1. Mai bis Mitte September täglich von Wolfratshausen über die Loisach und die Isar hinunter nach Thalkirchen. 18 Flößer sind bei ihm angestellt, darunter auch sein Schwiegersohn Jason. Für diese Männer ist die Flößerei allerdings nur Nebenberuf. Wenn man bedenkt, dass der Flößer eine zweijährige und der Floßführer eine sechsjährige Ausbildung erfordern, muss da schon wahre Leidenschaft im Spiel sein. Den Eindruck hat auch, wer die Männer beim Floßbau beobachtet. Da man nicht den Fluss wieder hinauffahren kann, werden die Flöße in München in ihre Einzelteile zerlegt, auf Lastwagen geladen und zurück nach Wolfratshausen transportiert. Dort wird daraus wieder ein fahrtaugliches Floß gebaut. Eine Knochenarbeit.

Wirtschaftsserie 2015

Die Stämme werden ins Wasser gelassen und dort verbunden.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Die Fichtenstämme sind 18 Meter lang. Der erste wird vertäut und rauscht in den Fluss hinab. Er bremst die nachfolgenden Stämme ab, die miteinander verbunden werden. Es ist ein eindrucksvolles Bild, wenn die gewaltigen Stämme im Fluss aufschlagen und das Wasser hoch aufspritzt. Die Stämme der Flöße sind farblich gekennzeichnet, damit keine Verwechslungen entstehen. Zwei Flöße werden am Nachmittag aufgebaut; die restlichen drei am frühen Morgen. Der Arbeitstag der Flößer beginnt um sieben Uhr früh und endet gut elf Stunden später. Doch von Müdigkeit ist nichts zu merken: Erst werden die 18 langen Stämme miteinander verbunden; aus 14 kürzeren und dünneren Stämmen wird dann der Aufbau gezimmert, der der Ausflugsgesellschaft als Sitzfläche dienen wird. Sieben Männer wuseln auf den Stämmen herum. Die Handgriffe sind vertraut, alles greift geregelt ineinander. So dauert es keine Stunde, bis ein fahrtüchtiges Floß auf der Loisach schwimmt.

Gebucht werden die Flöße unter der Woche vor allem von Firmen für den ganz besonderen Betriebsausflug, am Wochenende von Privatleuten für Geburtstags- oder Hochzeitsfeiern oder auch von Vereinen. Maximal sechzig Personen dürfen mitfahren. Und ab wie vielen geht die Fahrt los? Da ist Josef Seitner ganz der pragmatische Geschäftsmann: "Mir reicht's, wenn einer zahlt." 2500 Euro kostet die Floßfahrt an sich, dazu kommt die Verpflegung. "Wir sind ja den ganzen Tag unterwegs", sagt Seitner. "Zuerst gibt's ein bayerisches Frühstück mit Leberkäs' und Weißwurst; das Mittagessen wird fertig gebraten und gegrillt in Wärmeboxen mitgenommen: Rollbraten, Spareribs, Hähnchen, dazu Salate. Und natürlich alles zum Trinken von Bier über Limo bis Wasser." Auch Musik wird gespielt: Von der Drei-Mann-Combo bis zur kompletten Blaskapelle ist alles im Angebot. Für alles zusammen fallen letztlich Kosten von insgesamt 4900 Euro an.

Wirtschaftsserie 2015

Josef Seitner mit Ehefrau Barbara, Nichte Maria Sailer, Schwägerin Josefa Sailer und Schwager Werner Sailer (v.l.). Seitner hat den Betrieb mit 28 übernommen.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Und das weit verbreitete Klischee, dass die Floßgäste über den Durst trinken? Das ist für Seitner so nicht mehr zu halten: "Früher wurde sehr viel Alkohol auf den Fahrten konsumiert. Da haben wir 200 Liter Bier dabei gehabt, jetzt nur noch 100. Die Leute wollen heute einen Erlebnistag. Sie wollen die Natur genießen und sich nicht betrinken. Unter 300 Floßgästen findet man vielleicht fünf Besoffene. Das sind dann meist ganz junge Burschen . . ." Seitner selbst war als junger Bursche offensichtlich ziemlich zielstrebig: Mit 28 Jahren hat er das Geschäft plan- und wunschgemäß vom Vater übernommen, der bald darauf unerwartet mit 65 Jahren starb. Da war Seitner vom Floßführer schon zum Floßmeister avanciert. Bis 1992 arbeitete auch sein Bruder im Betrieb mit, bis dieser mit gerade einmal 44 Jahren ebenfalls starb.

Josef als der ältere Sohn hätte ohnehin die Geschäftsführung übernommen, doch nun stand er als Vater zweier Töchter ohne familiäre Unterstützung da, bis er mit Schwiegersohn Jason neue Verstärkung bekam. Zwar hielt die Ehe nicht, aber die Verbindung zum Betrieb schon. Und wer Jason dort in Aktion erlebt, spürt, dass er absolut dazu gehört. Die Tochter wird den Betrieb eines fernen Tages, wenn Josef Seitner sich einmal zurück ziehen wird, weiterführen: "Sie ist zwar selbst keine Floßmeisterin, aber sie kann die Flößer beschäftigen. Und sie übernimmt die Arbeit im Büro." Dann gibt es da noch Franz Seitner, den Cousin. "Unsere Väter waren Brüder; der Franz hat auch ein Floßrecht und ein eigenes Unternehmen", erzählt Josef Seitner. Und gibt's da Konkurrenz? "Im Gegenteil: Man hilft sich aus!"

Vom Waren- zum Personentransport

Die Flößerei ist seit dem 12. Jahrhundert, der Zeit der Städtegründungen durch die bayerischen Herzöge, nachweisbar. Damals wurden zum Stadtbau große Mengen Holz, Steine, Kalk und anderes Material benötigt - Rohstoffe, die das waldreiche und gebirgige Oberland liefern konnte. Nur Flößer, die der Zunft angehörten, über langjährige Berufserfahrung, einen ehrbaren Namen und Besitz verfügten und außerdem verheiratet waren, konnten Floßmeister werden. Ihre Zahl blieb beschränkt. Nicht mehr als 20 Floßmeister sollten es in Mittenwald sein, bis zu 24 waren in Tölz erlaubt. Wolfratshausen hatte um 1800 sieben Floßmeister und 26 Flößer. Im Jahre 1858 ließen die Wolfratshauser Floßmeister eine prachtvolle Fahne anfertigen. Bis weit ins 20. Jahrhundert führten sie diese bei den Fronleichnamsprozessionen mit, bevor das Prunkstück dem Heimatmuseum gegeben wurde. Im dortigen Flößerzimmer erinnert die Fahne an jene Zeit, als die Flößerei in erster Linie dem Holz- und Warentransport auf Isar und Loisach diente.

Heutzutage finden auf Isar und Loisach täglich Passagierfloßfahrten statt. Josef Seitner etwa startet von Wolfratshausen-Weidach aus gen München, und zwar bei jedem Wetter. Bei Regen erhält das Floß ein Zeltdach.

Weitere Informationen unter Telefon (08171) 785 18 oder im Internet unter www.flossfahrt.de. sna

Schwere Unglücksfälle waren in der 165-jährigen Betriebs- und Familiengeschichte nicht zu beklagen. Kleinere Unfälle kommen dagegen immer wieder vor, etwa dass ein Floß auf eine Sandbank auffährt. Früher sei die Flößerei noch gefährlicher gewesen, erzählt Seitner: Da war die Isar noch sehr kurvenreich und kiesreich, es gab viele quer liegende Baumstämme. Auch heute müsse man, insbesondere nach einem Hochwasser, auf Schwemmgut achtgeben. "Aber dramatische Unglücke mit Verletzten oder gar Toten sind niemals vorgekommen."

Und so kann Josef Seitner ohne jeden Abstrich seinen Beruf als seinen verwirklichten Lebenstraum bezeichnen. "Ich kann wirklich gar nichts Negatives aufzählen. Es ist einfach immer schön, sogar wenn's regnet. Wir fahren das Isartal runter, wo es aussieht wie vor 500 Jahren, wir können die wunderbare Landschaft genießen, die Vögel singen hören . . . Man muss nur die Augen und Ohren aufmachen. Dann ist jeder Tag ein schöner Tag!"

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