Wohnungslose in Ebersberg:Endstation Alte Post

Wohnungslose in Ebersberg: Jakobneuharting beim Wiet Elendshaus an der Hauptstraße

Jakobneuharting beim Wiet Elendshaus an der Hauptstraße

(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)
  • In Jakobneuharting im Landkreis Ebersberg finden Menschen, die kurz vor der Obdachlosigkeit stehen, Zuflucht.
  • Doch die Zimmer werden zu sehr hohen Preisen vermietet: 400 Euro verlangt der Vermieter für 13,5 Quadratmeter.

Von Barbara Mooser, Frauenneuharting

Es ist ein milder Frühlingstag, doch die feuchte Kälte in Werner B.s Zimmer kriecht tief in die Knochen. Die Heizung funktioniert wieder einmal nicht, das habe sie auch fast den ganzen Winter nicht getan, sagt B., der in Wirklichkeit anders heißt. Er hat eine Liste geführt, auf zehn Grad brachte er es in seinem Zimmer am 15. März, Ende April hat er auch mal 15,5 Grad gemessen. Muffige Wirtshausdünste von Jahrzehnten ziehen aus dem Flur herein, auch die Möbel und Teppiche sondern einen durchdringenden Gestank ab.

Die Kochplatte scheint aus Schichten von Dreck und Rost zu bestehen, die Bodenbretter sind verfault, in der Ecke führt ein Schlauch von einem Wasserhahn in der Wand zu einem etwas versetzten Waschbecken. "Da kommt nur heißes Wasser raus", sagt Werner B. und dreht zum Beweis den Hahn auf. Wenn er sich waschen will, Zähne putzen oder Geschirr spülen - auch das macht er in seinem Zimmer - muss er sich gedulden, bis das Wasser eine erträgliche Temperatur erreicht hat. Die Elektroinstallationen sehen abenteuerlich aus, Steckdosen hängen locker in der Wand, Kabel verlaufen kreuz und quer durchs Zimmer.

Ein Quadratmeterpreis von 30 Euro

400 Euro pro Monat verlangt der Vermieter für die Kammer im Erdgeschoss des Gasthofs "Alte Post" in Jakobneuharting. Bei 13,5 Quadratmetern ist das ein Quadratmeterpreis von knapp 30 Euro; etwa zehn Euro pro Quadratmeter sind sonst der Durchschnittspreis für eine einfache Wohnung im Landkreis - natürlich kalt. Aber das ist B.s Kammer ja auch.

Jobverlust, eine Beziehung geht in die Brüche, die Wohnung wird gekündigt: Das sind die Geschichten, die diejenigen erzählen, die hier leben. Wie viele Menschen in dem Haus wohnen, das von außen durchaus noch imposant wirkt, lässt sich schwer feststellen. Von 30 spricht Werner B.; 16 Namen stehen auf zwei Zetteln, die im Erdgeschoss in das Fenster neben der Tür geklebt sind. Gerade einmal zehn seien es, sagt der Mann, der sich im Auftrag des Hauseigentümers um die Vermietung kümmert.

Der Flur ist voller Müll und Möbel

Fest steht eines: Wer hier einmal gelandet ist, der kommt nur schwer wieder weg, das ist die bittere Erkenntnis, die Emilio D. und seine Frau gemacht haben. Sie teilen sich ein kleines Zimmer im ersten Stock, hier wohnen die meisten Bewohner. Der Weg nach oben führt über eine Holztreppe, der obere Flur ist mit Möbeln und Müll zugestellt, die Fenster sind mit Stofftüchern verhängt. In der Kammer am Ende des Flures schläft Emilio D. auf einer Matratze auf dem Boden neben dem Einzelbett seiner Frau.

Mit den beiden Schlafgelegenheiten ist das Zimmer fast voll. In einer Ecke hat man ein winziges Bad eingebaut, die Klospülung plätschert ständig. 500 Euro zahlen die beiden für das Zimmer. Manchmal glauben sie, alles bald nicht mehr ertragen zu können. "Alles ist schmutzig, alles stinkt, alle sind krank", sagt die junge Frau. Ihr Mann musste wegen Depressionen bereits mehrere Wochen in einer Klinik behandelt werden.

Für eine neue Wohnung, bräuchten sie einen Job

Als sie ihre Wohnung in Grafing-Bahnhof verloren haben, hat ihnen, wie sie erzählen, eine Mitarbeiterin der Stadtverwaltung die Adresse in Jakobneuharting genannt. Das war vor eineinhalb Jahren. Anfangs hatten die beiden noch die Hoffnung, bald wieder herauszukommen. Diese Hoffnung hat das Paar jetzt fast aufgegeben. Denn um eine neue Wohnung zu bekommen, bräuchten beide einen Job. Den würden sie auch bekommen, sagen sie - er ist gelernter Schweißer, sie könnte als Lageristin tätig werden - doch ohne Auto schaffen sie es schwer, von Jakobneuharting rechtzeitig zur Arbeit oder wieder heim zu kommen.

Und wenn die Arbeitgeber ihre Adresse lesen, winken sie ohnehin ab, erzählen die beiden. "Man ist stigmatisiert, wenn man hier wohnt", sagt auch Werner B., als asozial abgestempelt: Endstation Alte Post. Und die Räume, die B. und das junge Paar bewohnen, sind nicht einmal die schlimmsten: Oben, im ersten Stock, hat der Vermieter durch ein paar Rigipswände in ein größeres Zimmer noch einen zusätzlichen Raum hineingepfropft. In dem fensterlosen Zimmer wohnen zwei Rumänen, erzählt ein Bewohner, andere sagen, es wären sogar drei.

Der Vermieter sagt, er übe eine "sozial verdienstvolle Tätigkeit" aus

Zufrieden müsste mit dem Arrangement in der Pension an sich einer sein: der Vermieter. Manche Bewohner zahlen zwar auch etwas weniger als Werner B. oder die D.s, einige tausend Euro kommen auf jeden Fall monatlich herein. Doch die Kosten seien ebenfalls sehr hoch, sagt der Vermieter Heinrich W., der sich entschieden gegen die Vorwürfe wehrt, die ein "feindlich gesonnener Mieter" in die Welt gesetzt habe. Er übe eine "sozial verdienstvolle Tätigkeit" aus, indem er Menschen unterbringe, die sonst auf der Straße stünden, und verfolge das "Bestreben, Sauberkeit und Ordnung aufrechtzuerhalten". "Wir können doch nichts dafür, wenn die Leute so sind, wie sie sind", sagt er, "Chaoten" eben, die keinen Ordnungssinn hätten und ihr Umfeld verlottern ließen. "Wenn hier ein Saustall herrschen sollte, dann sind diese Leute selbst dafür verantwortlich." Und auch die, wie er sagt, tadellos funktionierende Heizung lasse er selbst außerhalb der Heizperiode morgens und abends noch laufen.

Tatsächlich lässt der Wohnungsmarkt in München und im Umland so manchem keine Wahl, als sich mit dem Gebotenen zufriedenzugeben: "Für diejenigen, die gar nichts haben, ist so etwas immer noch besser, als irgendwo auf der Couch zu schlafen oder im Freien", sagt Karl Böck, der in der Fachstelle zur Verhinderung von Obdachlosigkeit tagtäglich mit schwierigen Fällen zu tun hat. Die Alte Post ist nicht die einzige Anlaufstelle im Landkreis für Menschen, die keine Chance mehr sehen, eine vernünftige Wohnung zu finden: Mindestens drei ähnliche Häuser fallen Karl Böck auf Anhieb ein. Er wolle diese Wohngelegenheiten auch nicht schlecht machen, sagt er: "Wo sollten die Leute denn sonst auch hin?" Pro Sozialwohnung gebe es 30 bis 40 Bewerber, auf dem freien Markt ist erst recht nichts zu finden, das ansatzweise erschwinglich wäre.

"Wenn jemand sonst am Abend kein Dach über dem Kopf hat, kommt das vor"

"Wir würden uns wünschen, dass es andere Alternativen gäbe", sagt auch Heinrich Schmidbartl, der Geschäftsführer des Ebersberger Jobcenters. "Extrem selten" verweisen seine Mitarbeiter Kunden an Unterkünfte wie die Alte Post: "Wenn jemand sonst am Abend kein Dach über dem Kopf hat, kommt das vor." Auch die Gemeinden, die von Rechts wegen für die Unterbringung von obdachlos gewordenen Menschen zuständig sind, halten es ähnlich. Mindeststandards für Unterkünfte dieser Art gibt es nicht. Das Landratsamt ist aber für den Brand- und Gesundheitsschutz zuständig, wie Sprecher Norbert Neugebauer erläutert. Weil sich Werner B. an Ebersbergs Bürgermeister Walter Brilmayer gewandt und der die Beschwerde ans Landratsamt weiter gegeben hat, haben Mitarbeiter der Behörde sich in den vergangenen Tagen ein Bild von der Lage gemacht. Festgestellt worden sei, dass "eine nicht unerhebliche Anzahl von Personen auf dem Anwesen wohnt", so Norbert Neugebauer. Derzeit werde die baurechtliche Genehmigung geprüft, eine abschließende brandschutzrechtliche Beurteilung sei im Augenblick noch nicht möglich.

Die Prüfungen sind aber noch nicht abgeschlossen, ein Ortstermin ist auch in den nächsten zwei Wochen noch einmal geplant, dabei wird auch das Gesundheitsamt eingebunden. Neben Stefanie Geisler als Leiterin der Abteilung Soziales im Landratsamt werden auch Vertreter der Gemeinde dabei sein. Ob Werner B. von Verbesserungen profitieren kann, sollte es diese geben, ist indes unklar: Der Vermieter hat bereits angekündigt, ihn vor die Tür setzen zu wollen.

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