Süddeutsche Zeitung

"Wohnsinn"-Treffen:Partnervermittlung - mal anders

Lesezeit: 3 min

Die Grafinger Transition Town Initiative verhilft Hausbesitzern zu neuen Mitbewohnern

Von Christian Bauer, Grafing

"Wohnwahnsinn" nennt es Michaela Müller von der Transition Town Initiative Grafing (TTI). Nicht jeder kennt dieses Wort, aber alle wissen, wofür es steht: Bezahlbarer Wohnraum ist rar und teuer. Davon kann jeder Mieter und jeder, der eine Eigentumsimmobilie erwerben will, ein Lied singen. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die in Häusern leben, die für sie alleine eigentlich viel zu groß sind, und die gerne mehr Gesellschaft hätten. Dieses Problems nimmt sich die TTI an, möchte aus dem "Wohnwahnsinn" einen "Wohnsinn" machen. Genau das ist der Name des Projekts, bei dem es nun eine Erfolgsstory zu verkünden gibt.

Es ist ein mustergültiges Beispiel dafür, wie "Wohnsinn" funktionieren soll: Zwei Menschen lernen sich kennen und stellen fest, dass sie gut miteinander auskommen. Sie beschließen, den Kontakt zu vertiefen, und einige Wochen später wohnen sie zusammen in einem Haus.

Doch von vorne: "Wohnsinn" ist laut Müller eine "Kennlernplattform", entstanden aus der Erfahrung heraus, dass genügend bezahlbarer Wohnraum vorhanden ist, jedoch nicht immer richtig verteilt. Oder, wie Patrizia Laaf, Patin und Ideengeberin für "Wohnsinn" es ausdrückt: "Die Ressourcen sind da, man muss die Leute nur zusammenbringen."

Genau das ist bei einer der jüngsten Veranstaltungen geschehen: Ein 83-jähriger Witwer aus Grafing, der anonym bleiben möchte, war nach eigener Aussage von seiner Nachbarin auf das Projekt der TTI aufmerksam gemacht worden. Daraufhin habe er die Veranstaltung aufgesucht, bereit, sein Haus zu öffnen und "wieder Leben hinein zu holen", wie Laaf es ausdrückt.

Anwesend war auch eine 56 Jahre alte Mutter dreier erwachsener Kinder, deren Ehemann aus beruflichen Gründen in Berlin wohnt. Sie sei auf der Suche nach einer günstigen Wohngelegenheit gewesen, die nicht allzu weit von Rosenheim entfernt liegt, wo ihr jüngster Sohn studiert, erklärt der Witwer. Die beiden seien ins Gespräch gekommen, begünstigt dadurch, dass eine Bekannte des Grafingers mit der Dame befreundet sei. Ziemlich schnell hätten sie festgestellt, dass das nötige Vertrauen da sei. Kontaktdaten wurden ausgetauscht, es gab weitere Treffen außerhalb des Veranstaltungsrahmens. Denn: Wohnsinn bietet die Chance, sich kennenzulernen, ist aber "keine Vermittlung", wie Müller betont.

Nun wohnt die Frau gegen Miete mit im Haus des Rentners. Da haben sich im wahrsten Sinne des Wortes zwei gesucht und gefunden. Für Laaf ist dies ein großer Triumph. Wie sie verrät, müssen die Leute aber nicht unbedingt zusammenziehen, um "Wohnsinn" erfolgreich zu machen. Sie freue sich auch darüber, dass bei den alle vier bis fünf Wochen stattfindenden Treffen immer wieder neue Interessierte anwesend seien und Freundschaften geknüpft würden. So war es auch bei den zweien, die nun zusammen wohnen: "Die Chemie hat gestimmt", und zwar von Anfang an.

Als die beiden bei der nächsten Veranstaltung "freudestrahlend" ihre Geschichte erzählten, hätten sie Laaf zufolge berichtet, der Aufbau des Vertrauens sei "eine Sekundensache" gewesen. "Die Dame ist eine unbedingt verlässliche Person", bekräftigt der Grafinger.

Dieses Urvertrauen ist auch wichtig, denn Zweck von "Wohnsinn" ist es nach Müllers Angaben nicht, ein Haus in zwei Wohnungen aufzuteilen. Vielmehr entstehe eine Art WG. Daher brauche es "Leute, die anpassungsfähig sind und sich einlassen" - wie hier: Während die Mieterin ihr eigenes Zimmer mit Waschbecken und Dusche hat, benutzen die beiden die Küche des Hauses gemeinsam. Der Witwer verrät, seine Mitbewohnerin habe Zugang zu allen Räumen, sei aber "sehr zurückhaltend".

Dieser konkrete Fall bestätigt aus Laafs Sicht, dass es eine "gute Idee" ist, künftige Mieter "in entspannter Art und Weise" kennenzulernen. Tatsächlich bahnt sich sogar schon eine zweite Erfolgsstory anbahnen, wie Laaf erzählt. Beim jüngsten Treffen habe sich erneut ein vielversprechender Kontakt aus Wohnraum-Besitzenden und -Suchenden ergeben: Dieses Mal handle es sich um zwei Frauen, eine davon mit Kind. Von den insgesamt zwanzig Gästen seien allerdings die meisten gekommen, um sich grundlegend über alternative Formen des Wohnens zu informieren, vor allem im Alter.

Für die Zukunft des Projekts ist man positiv eingestellt. Konkrete Pläne, es zu erweitern, gibt es nicht. "Es darf sich nach überall hin entwickeln", so Laaf. Michaela Müller hingegen äußert einen direkten Wunsch: Es sollten noch Architekten involviert werden, die bei Bedarf beispielsweise eine zweite Dusche in die Häuser einbauen könnten.

Besagter Grafinger jedenfalls zeigt sich höchst zufrieden: "Ich bin nicht mehr allein im Haus. Das gibt mir ein gewisses Gefühl der Sicherheit, und tut mir einfach gut."

Die nächste Wohnsinn-Veranstaltung findet statt am Samstag, 15. Juni, 15 bis 17 Uhr, in der Casa Creativa, Grandauer Straße 4, Grafing. Eingeladen sind alle, die Wohnraum suchen oder anbieten, die sich für alternative Wohnkonzepte interessieren oder sich einfach mal informieren möchten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4475899
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 06.06.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.