Konsum im Landkreis:Digitaler Wochenmarkt

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Digitalisierung macht auch vor dem Wochenmarkt nicht halt: Das Portal "Wochenmarkt24.de" verspricht tagesfrische Lebensmittel aus der Region. (Foto: Christian Endt)

Ein neues Online-Einkaufsportal für Lebensmittel wirbt mit Regionalität, Saisonalität und kurzen Lieferwegen. Auch Ebersberger Unternehmen sind bereits daran beteiligt. Doch was ist dran an dem grünen Versprechen?

Von Merlin Wassermann, Ebersberg

Ohne schlechtes Gewissen einkaufen, bequem von zu Hause aus sogar, wann hat es das zuletzt gegeben? Ein neues Online-Portal verspricht genau das, zumindest für Lebensmittel und ein paar Drogerieprodukte. Geht man auf die Website von Wochenmarkt24.de, blicken einem freundlich lächelnde Landwirte und Handwerker entgegen, unter einem idyllischen Landschaftsbild, eingerahmt von einem bewusst grün gehaltenen Layout. Damit ist schon alles gesagt, bevor es gesagt ist: dieses Portal steht für Naturnähe, Regionalität und Nachhaltigkeit.

Gegründet wurde es im Jahr 2018 in Bielefeld, vom Agrar-Ökonom Eike-Claudius Kramer - der mittlerweile auch im Vorstand von Wochenmarkt24 sitzt - und niemand anderem als dem Fleischkonzernerben Robert Tönnies. Jedoch schöpfen Kramer, Tönnies und Wochenmarkt24 selbst keinen Profit ab: die Plattform, auf der auch Firmen aus dem Landkreis Ebersberg ihre Ware anbieten, ist als Genossenschaft organisiert.

Die Lebensmittel werden über Nacht vor die Haustür geliefert

Das Konzept hinter der Plattform ist folgendes: Landwirte, Imker, Gärtner, Metzger in Familienbetrieben und andere Produzenten nicht-industrieller Lebensmittel bieten auf der Website ihre Produkte an: Kartoffeln, Karotten, Koteletts, Käse - alles regional, saisonal und tier- und klimafreundlich hergestellt und verpackt sowie transparent in den Lieferketten. Bestellt ein Kunde oder eine Kundin dann bis 18 Uhr ein Essenspaket, holen die Fahrer von Wochenmarkt24 die tagesfrischen Produkte beim Erzeuger ab und fahren sie über Nacht, bis 6 Uhr morgens, vor die Haustür - ohne zu klingeln.

Dadurch sparen sich die Genossen große Logistikzentren, die Energie schlucken und zu langen Wegen führen, die Produkte sind frischer, die Umsätze kommen direkt bei den Erzeugern an. Da lohnen sich auch die 20 Prozent, die sie an die Genossenschaft für die Logistik abdrücken müssen. Wochenmarkt24 beschreibt das auf der Homepage so: "Investoren oder Zwischenhändler, die auf Gewinnmaximierung abzielen oder versuchen, die Hersteller abhängig zu machen, gibt es bei uns nicht."

Noch werden keine Waren in den Landkreis geliefert

Gestartet ist die Genossenschaft zwar in Bielefeld, mittlerweile gibt es jedoch Ableger in sieben Regionen in Deutschland, auch in München-Nord-Ost. Geliefert wird bis jetzt nur nach München, Erding, Haar, Freising und ein paar weiter nördlich gelegene Gebiete. Noch geht der Landkreis Ebersberg leer aus, was laut Eike-Claudius Kramer vor allem an den hohen Mietpreisen im Münchner Umland liegt. Das erschwere die Suche nach geeigneten Kommissionsstandorten. Allerdings bieten ein paar Ebersberger Betriebe bereits ihre Waren auf dem Portal an.

So zum Beispiel die Metzgerei Stefan Holzner aus Pliening. Der junge Metzgermeister ist durch einen anderen Hof auf Wochenmarkt24 aufmerksam geworden und fand die Idee gut. "Ich suche immer nach neuen Vertriebswegen", so Holzner. Einen eigenen Online-Shop hat er nicht, weswegen er in Bielefeld anrief. Nach nur 14 Tagen war er mit von der Partie. Mittlerweile hat er über die Website einen Wochenumsatz von 500 Euro, ohne dass sich sein Arbeitsalltag viel geändert hätte. Durchaus rentabel also.

Ganz ähnlich lief es bei bei der Gärtnerei Böck aus Neufarn. Florian Böck sah in der Plattform eine Chance, den eigenen Betrieb und die Lebensmittelwirtschaft ein Stück zukunftsfähiger zu machen. Den Hauseigenen Onlineshop konnten sie gut integrieren, der Umsatz sei allerdings noch "steigerungsfähig". Man sei in der Genossenschaft immer noch dabei, auszuloten, in welche Regionen man idealerweise liefert.

Dass es sich bei Wochenmarkt24 um eine Genossenschaft handelt, finden sowohl Holzner als auch Böck gut, aber nicht essenziell. In manchen Dingen habe ohnehin der Vorstand in Bielefeld das letzte Wort, über die allermeisten Dinge ließe sich jedoch reden.

Es gibt auch Südfrüchte und konventionelle Produkte auf der Plattform zu kaufen

Die Idee wirkt also gut, das Ziel nobel. Und doch: Wenn man sich durch die Website klickt und die verschiedenen Produkte betrachtet, kommt schnell die Frage auf: Ist da wirklich alles grün, was glänzt?

So sind etwa längt nicht alle Verpackungen nachhaltig, wie es eigentlich in den Leitsätzen von Wochenmarkt24 festgeschrieben und auf der Homepage beworben ist. Plastik findet sich an vielen Stellen. Und auch an der Regionalität, Saisonalität und dem Arbeiten ohne Zwischenhändler kommen Zweifel auf. Neben saisonalem Spitzkohl aus der Region findet man nämlich auch Physalis aus Kolumbien, Avocados aus Mexiko, Joghurt aus Andechs oder süßen Senf aus Regensburg. Ob diese Orte sich darüber freuen, zu einem Teil der Region München-Nord-Ost erklärt worden zu sein, ist zweifelhaft.

Stefan Holzner bietet beispielsweise erwähnten Senf an, darüber hinaus auch Oktopusarme und weitere Leckereien, die "nicht von hier" stammen. Er verweist darauf, dass es Teil des Kundenservice sei, für die Weißwürste auch gleich Senf parat zu haben und ein möglichst großes Sortiment anbieten zu können. Außerdem verkaufe er auch Nischenprodukte wie in der Region hergestellte Marmelade oder Schnaps, für die sich ein eigener Vertrieb nicht lohnen würde.

Florian Böck hatte etwas Bauchschmerzen, als es um die Frage ging, ob man Südfrüchte anbieten soll. "Ich war anfangs dagegen", so der Gärtner. Allerdings setzte sich die Geschäftsführung durch, um auch hier den Kunden die Möglichkeit zu geben, all ihr Obst auf einmal einkaufen zu können. "Wir bemühen uns aber, viel Obst und Gemüse aus der Region anzubieten", so Böck.

Auch hier orientiert sich das Angebot an der Nachfrage

Eike-Claudius Kramer, Vorstandsvorsitzender der Genossenschaft, verweist ebenfalls auf den Kundenwillen, um die Diskrepanz zwischen Marketing und Angebot, die an manchen Stellen auftritt, zu erklären: "Als wir 2018 das erste Portal online stellten, hatten wir keine Südfrüchte im Angebot", erinnert er sich. "Aber dann kam schnell die Rückmeldung von den Kunden: Wieso muss ich denn für meine Bananen noch in den Supermarkt rennen?"

Außerdem ermögliche die Organisation als Genossenschaft es den Mitgliedern, selbst zu entscheiden, welche Produkte sie anbieten. "In einer idealen Welt würde alles in einem Umkreis von 30 Kilometern angebaut und hergestellt werden", so Kramer. So, wie die Situation jetzt ist, sei es aber normal, dass auch ein nicht-industrieller Betrieb eine Nische füllen will, wenn er es kann.

Am Ende muss der Kunde selbst entscheiden, was er kauft

Ja, es ist durchaus verständlich, dass ein Metzger süßen Senf und ein Gärtner Südfrüchte anbieten will. Wochenmarkt24 hat hohe Ansprüche und gute Absichten, und viele der Produkte scheinen eine bessere Alternative zu Billigwaren aus dem Supermarkt zu sein. Allerdings wirkt die Präsentation dessen, was die Genossenschaft leisten kann, stellenweise doch überspitzt.

In jedem Fall erteilt auch diese Website dem Käufer keinen Freifahrtschein. Man muss als Konsument immer noch die Verantwortung tragen, zwischen dem Bioapfel aus der regionalen Gärtnerei oder der konventionell gezogenen Avocado aus Mexiko zu entscheiden.

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