Wirtshaus-Talk der CSU:Messwerte und Moral

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CSU-Politikerin Angelika Niebler (von links) an einem Tisch mit dem Ökonomen Detlef Fischer, Harald Lesch und Christine Singer vom Bauernverband. (Foto: Christian Endt)

In Vaterstetten diskutiert Angelika Niebler unter anderem mit TV-Physiker Harald Lesch über Maßnahmen zum Klimaschutz

Von Jonas Wengert, Vaterstetten

Vor der Diskussion steht eine unerwartete Gymnastik-Übung auf dem Programm. "Strecken Sie bitte alle eine Hand gut sichtbar vor sich", ermuntert Moderatorin Stefanie Ederer die Anwesenden, "und fassen Sie sich nun mit Ihren Fingern an die eigene Nase". Eine Demonstration, die zeigen soll, dass alle eine Mitschuld haben an der globalen Erwärmung, verkündet die Moderatorin. Zusammen mit dem Vaterstettener Gemeinderat Benedikt Weber (CSU) führt Ederer, die Geschäftsführerin der CSU Vaterstetten-Parsdorf, durch den Diskussionsabend zum Thema "Klimawandel - warum tun wir alle nicht, was wir müssen?"

Zum "Talk im Wirtshaus" hatte der Vaterstettener Ortsverband der CSU unter anderem den Astrophysiker und Fernsehmoderator Harald Lesch in die Gaststätte "Zum Altschütz" nach Vaterstetten geladen. Und der Saal ist mit mehr als 200 Gästen bis zum letzten Platz gefüllt. Auf die Themenfrage diagnostiziert Lesch, dass sich ein großer Teil der Bevölkerung trotz besseren Wissens wie "Chefverdränger" verhalten würde. Außerdem habe die Politik bisher deutlich zu wenig Rahmenbedingungen geschaffen, die ökologisches Handeln belohnten. Die Vaterstettener Europaabgeordnete Angelika Niebler (CSU) hält dagegen: "Sektor für Sektor sind Maßnahmen ergriffen worden, um die Emissionen herunterzufahren", sagt sie. So müsse die Industrie beispielsweise für jede Tonne ausgestoßenes CO₂ zahlen. Dennoch räumt Niebler ein, dass das Ziel, die deutschen Treibhausemissionen bis 2020 um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 senken, wohl nicht mehr erreicht wird. Allerdings werde man die Klimaproblematik nur international und nicht allein in Europa lösen. Sie sei fassungslos über die Aufkündigung des Pariser Klimaabkommens durch den US-Präsidenten Donald Trump.

An dieser Stelle bekommt die Parlamentarierin Gegenwind von Detlef Fischer. Er ist Geschäftsführer des Verbands der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft. Sein Wirtschaftszweig stehe hinter der Energiewende und halte im Vergleich zur Automobilindustrie und Landwirtschaft dabei auch die gesteckten Klimaziele ein, sagt er. "Man kann sagen, wir sind schlimmer als Trump. Wir beschließen Ziele und bemühen uns dann nicht genug darum, sie auch zu erfüllen", erklärt Fischer und erhält Unterstützung von Lesch: Er nehme die USA ausdrücklich aus seiner Kritik aus, kein anderes Land habe in den vergangenen Jahren so viel CO₂ eingespart wie die Vereinigten Staaten, so Lesch. Anders als Trump hätten die Gouverneure nämlich längst kapiert, dass sich mit ökologischem Wirtschaften hohe Renditen erzielen ließen.

Im Gegensatz dazu bedauert Fischer das gesellschaftliche Denken hierzulande: "Wer das größte Auto fährt, hat das größte Ansehen". Lesch sieht das ähnlich: In Deutschland würde man zwar für jeden Klimavertrag schnell Unterzeichner finden. Damit allein sei es jedoch nicht getan, sagt auch die Bezirksbäuerin des Bayerischen Bauernverbandes (BBV) Christine Singer. Bezogen auf die bayerische Landtagswahl sagt sie: Der Gedanke "jetzt haben wir die Grünen gewählt und müssen uns um nichts mehr kümmern" funktioniere nicht. Man habe Verantwortung den eigenen Kindern gegenüber und müsse deshalb nun langsam anfangen. Bei diesem Thema herrscht sowohl im Saal als auch auf dem Podium Einigkeit.

Spannend wird es, wenn es um konkrete Maßnahmen vor Ort geht. Weber zitiert einen Plan über die Energieunabhängigkeit des Landkreises. Demzufolge müssten allein in Vaterstetten, neben Stromgewinnung aus Solarenergie, fünf Windkraftanlagen betrieben werden. An dieser Stelle kommt der Energieversorger in Fahrt. Bei der Planung von Kraftwerken zur Gewinnung oder Speicherung erneuerbarer Energien treffe man oft auf immensen Widerstand in der Bevölkerung. "Eine Energiewende im Wohlgefühl wird es nicht geben", verkündet Fischer und erhält Applaus vom Publikum. Wenn Windräder nur dort stehen dürften, wo sie niemand sieht, werde es nicht gehen, so Fischer. Beim Thema Energiegewinnung nimmt er die Anwesenden direkt in die Pflicht: "Vaterstetten wird München mitversorgen müssen", verkündet der Verbandschef. Eine Stadt könne niemals selbst so viel Energie erzeugen, wie sie verbrauche.

Dennoch könne man große Infrastrukturprojekte nicht über die Köpfe der Leute entscheiden, sagt Niebler. "Wir müssen einen Grundkonsens und ein Verständnis bei solchen Dingen schaffen." Singer ist der Ansicht, dass die Bevölkerung bei derartigen Entscheidungen schlicht "zu spät mit ins Boot geholt" würde. Lesch reichen diese Erklärungen nicht. Was den Bau von Windrädern und Stromtrassen angehe, erklärt der Physiker: "Es gibt zum Beispiel kein Naturgesetz, dass der Preis eines Hauses immer steigen muss." Die Natur sei nun einmal nicht demokratisch, Messwerte hätten nichts mit Moral zu tun. Im Grund sei es ganz einfach: Wenn man davon überzeugt sei, dass die Energiewende richtig und notwendig ist, müssten schlicht alle Maßnahmen ergriffen werden, die dazu beitragen, dass weniger CO₂ ausgestoßen werde.

© SZ vom 22.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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