Wirtschaftsserie, Folge 6: "Vater, Mutter, Firma":Die Letzten ihrer Art

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Gunnar Schweizer und Jordi Arau führen in Dießen die traditionsreiche Zinngießerei ihrer Vorfahren fort. Das große Geld kann man damit aber nicht mehr verdienen.

Von Christiane Bracht, Dießen

Das tanzende Trachtlerpaar ist eines der Motive, die Jordi Arau anbietet. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Wer hinauf zum Dießener Marienmünster schlendert, bleibt unwillkürlich vor dem historischen Häuschen an der Herrenstraße 17 stehen. Über dem Eingang hängt ein kunstvoll verziertes Schild, das neugierig macht einzutreten. Im Innern empfängt den Besucher eine verwunschen anmutende Welt voller Miniaturen aus Zinn. Winzig kleine kunstvoll bemalte Soldaten marschieren in Schaukästen auf und ab, gefolgt von Husaren auf dem Pferd, eine Glasplatte tiefer ist die Schweizer Garde mit den bunten Uniformen zu Hause.

Auch zahlreiche Oldtimer und Motorräder kann man bewundern, ebenso wie Nikoläuse, einen Oktoberfestzug und eine bayerische Prozession mit Pfarrer, Ministranten, Kommunionkindern, Blumenmädchen, feinen Herren und alten, frommen Mütterchen. Alle haben einen Rosenkranz in der Hand, so wie es sich auf dem Dorf eben gehört. "Die Prozession ist von 1914", erklärt Gunnar Schweizer. "Es ist das Erstlingswerk meiner Tante Anny. Sie war eine begnadete Gravurmeisterin. Die Prozession ist aber ihr bestes Stück geblieben."

Schweizer ist der Chef des Hauses. Der kleine rundliche Mann mit grauen Stoppelhaaren ist der vorerst Letzte, der die Familientradition des Zinngießerbetriebs von Babette Schweizer aufrecht hält und täglich am heißen Ofen sitzt, um Figuren zu gießen oder Schieferplatten zu gravieren. Sein Sohn beherrscht das Handwerk zwar auch, aber er kümmert sich lieber um den Verkauf im familieneigenen Laden in der Maxburgstraße in München oder auf dem Christkindlmarkt am Rathaus.

Überall in der Werkstatt von Gunnar Schweizer ist Werkzeug zu finden, auch kleinere Maschinen, die nicht mehr gebraucht werden, stehen herum. (Foto: Franz Xaver Fuchs)
Jordi Araus Betrieb exportiert seine Werke sogar in die USA. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Zinngießen ist eben kein Handwerk mehr mit großer Zukunft. Kunstvoll verzierte Teller, Kannen, Becher und auch Pokale sind aus der Mode gekommen. Wer diese Dinge erbt, bringt sie meist zum Einschmelzen. Das Einzige, was sich noch verkaufen lässt, sind Zinnfigürchen. Das große Geld kann man damit aber auch nicht verdienen, deshalb gibt es in Europa wohl nur noch etwa zehn Betriebe, wie den in Dießen.

Bei Sammlern sind die alten Formen beliebt

Gunnar Schweizer lebt vor allem von der fast 220 Jahre alten Tradition seines Unternehmens. Natürlich entwirft er auch neue Formen. So wollen manchmal Firmen wie etwa Ford zu Werbezwecken einen Oldtimer aus Zinn, oder die Motorradfreunde in Schleswig wünschen sich alle zwei Jahre ein neues Modell. Besonders beliebt sind jedoch die alten Formen, vor allem bei Sammlern. Und so stellt der 73-Jährige diese immer wieder neu her. Mehr als 5000 hat er zur Auswahl. Sie liegen aufgereiht auf langen Regalbrettern in einer dunklen Kammer hinter seiner Werkstatt.

"Früher einmal haben hier bis zu 30 Personen gearbeitet", erzählt Schweizer. In drei Öfen schwamm geschmolzenes Zinn, heute brennt nur noch einer. Und dort, wo früher die übrigen Gießer, Dreher und Graveure arbeiteten, liegt heute nicht nur eine dicke Staubschicht. Überall ist Werkzeug zu finden, auch kleinere Maschinen, die nicht mehr gebraucht werden, stehen auf Werkbänken gestapelt oder auch auf dem Boden herum. Für Außenstehende herrscht ein völlig undurchdringliches Chaos. Man muss genau hinschauen, wo man hintritt. Schweizer gehört sicher nicht zu den Menschen, die Altes leichtfertig wegschmeißen. Er lebt die Tradition seiner Vorfahren und er ist stolz darauf.

Das merkt man auch in den Verkaufsräumen: Wer in das alte Haus eintritt, dessen Fundamente noch aus dem Jahr 1500 stammen, taucht praktisch in die Geschichte der Zinngießerei ein. Es ist wie ein kleines Museum. In jedem Raum sind Vitrinen. Links neben der Eingangstür hat Schweizer die ältesten Stücke der Manufaktur ausgestellt: Heiligenfiguren, Medaillen und Wallfahrtstafeln.

Als sein Urahn Adam Schweizer Weihnachten 1796 den Betrieb gründete, ging es nämlich ausschließlich um Devotionalien. Er lieferte dem Handelsunternehmen "von Baab & von Schorn" anfangs nur Medaillen für die verschiedenen Wallfahrtsorte von Andechs bis Altötting, von Sankt Ottilien bis Wies, später sogar noch weiter. Die Händler gingen damit hausieren und die Leute mehrmals im Jahr zum Wallfahren. "Es war ein Heiratsmarkt", weiß Schweizer. "Und die Leute liebten es, Andenken mit nach Hause zu nehmen. Gestandene Bauern bevorzugten natürlich silberne, die armen Leute dagegen kauften Medaillen aus Zinn. Es war ein schwunghafter Handel."

Schweizer erzählt die Geschichte seiner Familie gern. Und weil diese sehr lang ist, hat er es sich auf dem großen Biedermeier-Sofa in seinem Zinncafé bequem gemacht. Dort hat er eine kleine Ecke so eingerichtet, als sei es ein altes Wohnzimmer. An den Wänden hängen die Ahnen: ein Scherenschnitt des Gründerpaares Monika und Adam Schweizer und sein Großvater bei der Jagd. Auf einem Tellerbord über dem Sofa sind die kunstvollsten Teller, Becher und Kannen ausgestellt, die die Familie seinerzeit gemacht hatte.

Plötzlich untersagte der Herzog den Handel mit Medaillen

Die Familiengeschichte ist zweifelsohne eine Erfolgsstory: Die Schweizers haben immerhin als einzige unter vielen anderen Zinngießereien in Dießen und Umgebung überlebt. Doch es gab immer wieder schwierige Zeiten für das Gewerbe. So untersagte der Herzog 1789 den Handel mit Medaillen. Ein harter Schlag für die Familie. Man begann kleine Bilder aus Zinn zu fertigen, bis auch die verboten wurden.

Daraufhin verlegten sich die Schweizers auf Altarspielzeuge: Winzige Kelche, Monstranzen, Kreuze und Kronen wurden hergestellt. So konnten die Kinder Pfarrer spielen und weil nicht alle eine kirchliche Laufbahn anstrebten, erweiterte man das Sortiment schon bald um Soldaten. Um 1800, als der Brauch, Weihnachten einen Christbaum zu schmücken, nach Bayern kam, begannen die Zinngießer, Christbaumkugeln zu entwerfen. Das Warenhaus Manufactum will sie heuer neu auflegen.

In Schieferplatten wird die Negativform geritzt. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Inzwischen gibt es fast nichts, was nicht auch in Miniatur zu haben wäre. Die Vitrinen in der Herrenstraße 17 sind voll mit bunt bemalten Zinnfiguren, vom Osterhasen bis zum Ammerseedampfer. Immer wieder kommen Leute herein und staunen: "Oh, wie zauberhaft." Die Frauen sind vor allem von den fein ausgearbeiteten Figürchen, aber auch von den fantasievollen oder historischen Motiven, die eine heile Welt spiegeln, begeistert. Die Männer schwärmen mehr für Oldtimer, Soldaten und historische Feuerwehr.

Die Frage nach einem Nachfolger bleibt offen

Doch dem Dießen-Besucher bleibt nicht verborgen, dass es ein paar Häuser weiter unten in der Herrenstraße 7 einen zweiten Betrieb gibt: Wilhelm Schweizer. Ein stattliches Jugendstilhaus ebenfalls mit auffallend hübsch gestaltetem Türschild, auf dem eine bayerische Prozession aus Zinnfiguren entlangschreitet, macht auf die Zinngießerei aufmerksam.

1972 teilten die Schweizers das Unternehmen wegen familiärer Unstimmigkeiten. Der Onkel von Gunnar Schweizer wollte sich laut Vereinbarung auf Großzinn, also Teller, Kannen und Becher, spezialisieren. Doch nachdem die Nachfrage dafür immer geringer wurde, verlegte sich auch dieser Betrieb auf Zinnfiguren. Gunnar Schweizers Schwager Jordi Arau entwirft und produziert seit etwa 30 Jahren moderne Motive. Mit viel Erfolg: Das kleine Unternehmen hat immerhin zehn Mitarbeiter. Bei Freunden von Dekorationsartikeln und auch Sammlern sind vor allem die Weihnachts- und Osterhasenkollektionen sehr beliebt.

Und so verschickt er seine Produkte nicht nur zu Kunden in Deutschland, sondern auch nach Japan oder in die USA. Ob der 61-Jährige freilich einen Nachfolger findet für den Betrieb, ist noch offen. "Das entscheidet der Zufall", sagt er gelassen. Zwingen will er seine Kinder jedenfalls nicht.

© SZ vom 07.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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