Widerstand zwecklos:Mit Kastanien gegen den Sturm

Vor zwei Jahren fegte Orkan Niklas über den Landkreis hinweg und richtete in den Wäldern große Schäden an. Zunehmende Wetterextreme stellen die Waldbauern in der Region vor neue Herausforderungen

Von Anselm Schindler

Als sich Ende März 2015 über Island ein Tiefdruckgebiet zusammenbraut, da schlagen die Meteorologen Alarm. Am 30. März erreicht Orkan Niklas die europäische Küste, einen Tag später fegt der Orkan auch über München hinweg, an der Wetterstation des Deutschen Museums werden zeitweise fast 140 Stundenkilometer Geschwindigkeit gemessen. Gegen 20 Uhr geht in vielen Teilen des Landkreises das Licht aus, große Teile des Netzgebietes der Bayernwerke sind von dem Stromausfall betroffen, auch im Landkreis. An zahlreichen Orten muss die Feuerwehr ausrücken, weil Bäume auf Straßen, Autos und Dächern liegen.

Zwei Jahre später: Die Wetterstation, die Andreas Schumann in seinem Garten in Ebersberg betreibt, zeigt gerade 65 Prozent Luftfeuchtigkeit und einen Luftdruck von 1014 Hektopascal an, als das Telefon klingelt. "Ob Orkanstürme wegen des Klimawandels häufiger werden, das lässt sich gerade schlecht abschätzen", erklärt der Klimaexperte. "Was man aber sagen kann: Wetterextreme werden im Allgemeinen zunehmen, gerade Hitze- und Kälteperioden oder Dürren und Starkregen."

Aus München kommend strömen die Luftmassen am 31. März 2015 Richtung Ebersberg, werden von der Hügelkette, die sich südöstlich des Ebersberger Forstes von Egmating bis in den Südosten von Hohenlinden zieht, abgebremst und nehmen dann wieder an Fahrt auf. Im Ebersberger Forst, aber auch in vielen Privatwäldern des Landkreises, richtet der Orkan große Schäden an. Ganze Baumreihen knicken einfach um, liegen wie Mikadostäbchen umher, die Aufräumarbeiten dauern Monate.

Heute ist von den Schäden nicht mehr viel zu sehen. Der Holzpreis, der nach Niklas von rund 100 auf unter 80 Euro pro Festmeter gestürzt war - plötzlich war viel Holz auf dem Markt, dazu war es beschädigt -, hat sich im Raum Ebersberg erholt. In Reih und Glied stehen die Fichten nun da, richten ihre Wipfel pfeilgerade in den Himmel. Die Baumart ist bei Forstwirten besonders beliebt, weil sie ein zuverlässiger Rohstofflieferant ist. Sie wächst schnell und gerade und wird deshalb oft als Brotbaum der Forstwirte bezeichnet.

Widerstand zwecklos: Nachdem Niklas vor zwei Jahren im Ebersberger Forst wütete, wird jetzt aufgeforstet.

Nachdem Niklas vor zwei Jahren im Ebersberger Forst wütete, wird jetzt aufgeforstet.

(Foto: Christian Endt)

Doch als Niklas in den Wäldern wütete, da geriet der Brotbaum in die Kritik - denn betroffen waren vor allem die Fichtenbestände. Die Bäume wurzeln flach und kippen deshalb schneller um als andere Baumarten. In der Forstwirtschaft sucht man daher schon länger nach einer Alternative zu den Fichten-Monokulturen. Nicht erst seit Niklas habe man erkannt, dass sich in den heimischen Wäldern etwas ändern müsse, erklärt Försterin Kirsten Joas. Sie arbeitet beim Ebersberger Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) und berät dort vor allem Waldbesitzer.

Neben der Anfälligkeit für Stürme bringe die Fichte weitere Probleme mit sich: Beispielsweise benötige sie, im Vergleich zu vielen anderen Baumarten, besonders viel Wasser, erklärt Försterin Joas. Gerade in der Münchner Schotterebene, die sich auch bis tief in den Ebersberger Forst hinein erstreckt, ist das ein großes Problem. Denn dort ist die Humus-Schicht im Schnitt nur rund 40 Zentimeter dick und kann deshalb nicht viel Wasser speichern. Ans Grundwasser kommen die Fichten, weil sie flach wurzeln, gar nicht erst heran. Die von Meteorologen prognostizierten zunehmenden Dürreperioden könnten gerade in der Münchner Schotterebene für Umwelt und Waldbesitzer deshalb umso verheerender ausfallen. Trockenperioden bedeuten nicht immer einen Totalausfall, die Waldbauern haben durch sie aber zunehmend Wachstumseinbußen zu beklagen. In 2015, dem Jahr mit dem besonders heißen Sommer, wuchsen die Fichtenbestände in Bayern beispielsweise 40 Prozent weniger als im Schnitt.

Dazu kommt, dass sich mit der Trockenheit Schädlinge verbreiten, die die Schwäche der Bäume ausnutzen. Einer ganz besonders: der Borkenkäfer. Der machte sich auch nach Niklas über die umgeknickten und geschwächten Bäume her, nur mit großem Aufwand konnten die Forstwirte damals verhindern, dass sich die Plage ausweitete. Forstwirte und Forscher fahren inzwischen große Geschütze gegen den kleinen Käfer auf: Im vergangenen Sommer testete das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten im Raum Wasserburg im Kampf gegen die Schädlinge auch eine Drohne, die detailreiche Infrarotbilder liefert, der Käferbefall soll so schneller ausfindig gemacht werden. Nicht dass der Borkenkäfer mal schafft, was Ende des 19. Jahrhunderts dem Nonnenfalter gelang. Laut Ines Linke, der Leiterin des Ebersberger Waldmuseums, kam es da zu einem der krassesten Einschnitte in der Waldnutzung: der Nonnenfalter-Plage. Weil sich die Raupe des Schädlings vor allem von Fichtennadeln ernährt, habe der Nonnenfalter damals rund ein Drittel der Fichtenbestände vernichtet, erklärt Linke.

Normalerweise brauche der Wald weder Technik noch den Menschen, um sich an Klimaveränderungen anzupassen, erklärt Försterin Joas. Doch die menschengemachten Treibhausgase haben die Klimaveränderung so beschleunigt, dass der Mensch nun doch eingreifen muss. In der Nachbardisziplin, der Landwirtschaft, ist man flexibler, was die Anpassung an den Klimawandel betrifft. Durch die Erforschung und den Einsatz neuer Pflanzenarten kann dort schneller reagiert werden als in der Forstwirtschaft. Die benötigt für den Waldumbau Jahrzehnte. Und Patentrezepte gibt es bislang nicht. Klar ist aber eines: Der heimische Wald muss künftig anders aussehen.

Schutzhülsen für Aufforstung

Plastikröhrchen schützen die Jungbäume.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Kirsten Joas war für die Suche nach Alternativen zur Fichte schon in Rumänien unterwegs. Dort herrscht ein ähnliches Klima, wie es, bedingt durch die Aufheizung der Atmosphäre, in einhundert Jahren auch für Bayern prognostiziert wird. Sie sucht einen Baum, dem es in unseren Breitengraden in hundert Jahren nicht zu heiß ist, der aber trotzdem kalte Winter mit langen Frost-Phasen verkraftet - keine leichte Aufgabe. Doch es gibt diese Pflanzen, in Rumänien gedeihen große Buchen-, Eichen- und Esskastanienwälder. Andere Arten als bei uns, angepasst an heiße, trockene Sommer und einen milden Winter.

Theoretisch könnten diese Bäume auch hier wachsen, sie wären wie geschaffen für ein sich aufheizendes Klima in Bayern. Der Haken: Fallen die Temperaturen unter Minus 15 Grad, dann macht das den Bäumen zu schaffen. Und Winter mit längeren Kälteeinbrüchen wird es hierzulande weiterhin geben - Klimawandel hin oder her.

Dass sich die Zusammensetzung des Waldes ändert, ist gar nicht so besonders, wie es zunächst klingt. Die Fichten etwa, die vor allem in der kalten Taiga beheimatet sind, gehören zwar schon zum natürlichen Waldbestand. Doch dass sie die Wälder so stark dominieren, ist eine Entwicklung, die auf den Menschen zurückzuführen ist und bereits im 14. Jahrhundert beginnt. Schon damals war der Baum beliebt als Brenn- und Baumaterial und auch für die Schweinemast, die Nutztiere wurden in den Wald hinausgetrieben, um sich dort satt zu fressen. Die intensive Nutzung führte nicht zuletzt dazu, dass die Böden nährstoffärmer wurden, auch deshalb gingen anspruchsvolle Laubbaumarten, wie auch Tannen, zurück. Die Industrialisierung, die im 18. Jahrhundert einsetzte, tat ihr übriges. Der vermehrte Brennstoffbedarf forderte einen schnell nachwachsenden Wald. Um beispielsweise aus Erz ein Kilogramm Eisen herzustellen, benötigte es 30 Kilogramm Holz. Ende des 18. Jahrhunderts bestanden deshalb bereits zwei Drittel des Ebersberger Waldes aus Fichten. Als der Heizstoff Holz schließlich von Braun- und Steinkohle abgelöst wurde, da war es bereits zu spät.

Mehr als ein Jahrhundert später würde man die Entwicklung gerne zurückdrehen, zum Mischwald zurückkehren. Und weil der Wald ein träges Geschöpf ist, man aber gleichzeitig nicht mehr viel Zeit hat, sind seine Hüter unablässig auf der Suche nach angepassten Baumarten. In einigen Wäldern wird bereits mit diesen Arten experimentiert. Im Vaterstettener Gemeindewald hat Kirsten Joas vor einiger Zeit begonnen, Esskastanien zu pflanzen.

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