Wichtiger Schritt zur Inklusion:Verstehen und verstanden werden

VHS Grafing Zertifikate Integration

Eine bunt gemischte Truppe auf das gleiche Sprachniveau zu bringen, das ist die Aufgabe von Gerlinde Renner (von rechts) und Stefanie Horten.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Grafinger VHS überreicht 14 Sprachkurs-Teilnehmern ein lang ersehntes Zertifikat: Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1

Von Johanna Feckl, Grafing

Warum regnet es in Deutschland so häufig? Warum gibt es in der Deutschen Sprache "der", "die" und "das"? Und am wichtigsten: Warum essen die Deutschen so wenig Weißbrot und so viele Knödel? Das alles sind Fragen, über die sich Menschen, die nicht hierzulande aufgewachsen sind, schon mal den Kopf zerbrechen - zumindest ploppten sie alle in Gerlinde Renners Kurs "Deutsch als Fremdsprache" an der Grafinger Volkshochschule (VHS) auf und wurden eifrig diskutiert. Noch nicht gleich zu Beginn, denn außer ein paar Brocken beherrschte damals, im April 2018, niemand die Sprache. Nun haben 14 Teilnehmerinnen und Teilnehmer erfolgreich den Deutschtest für Zuwanderer (DTZ) abgelegt. Im Rahmen einer kleinen Feier überreichte ihnen Stefanie Horten, Leiterin des Fachbereichs Deutsch bei der VHS, ihre Zertifikate, die ihnen Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1 bescheinigen. Vier Teilnehmer haben das A2-Level geschafft.

600 Stunden Unterricht, immer an drei Vormittagen pro Woche für je fünf Stunden, und eine Zwischenprüfung hatten die Teilnehmer hinter sich, bevor sie im Mai dieses Jahres in dem knapp dreistündigen DTZ-Test ihr Wissen unter Beweis stellten. Zweieinhalb Stunden dauerte der Test, der ihre Kenntnisse im Lesen, Schreiben und Hören abfragte, danach ging es in die 20-minütige mündliche Prüfung. Es sind alltägliche Situationen, die die Prüflinge in den Aufgaben meistern müssen: Etwa einen Brief für eine Wohnungsbewerbung oder eine Krankmeldung für das Kind an die Schule schreiben. Oder Fragen zu einem Wetterbericht beantworten, den die Teilnehmer zuvor gehört haben.

"Das ist wirklich eine enorme Leistung von den Kursteilnehmern", sagt Stefanie Horten. B1 bedeutet übersetzt eine "selbstständige Sprachanwendung", ebenso wie B2, eine Stufe besser. A1 und A2 bescheinigen "elementare Sprachanwendung", C1 und C2 dann schon eine "kompetente Sprachverwendung". Zum Vergleich: Am Ende der neunten Klasse, also nach fünf Jahren Unterricht mit durchschnittlich vier Stunden pro Woche, können bayerische Realschüler an einer Prüfung des Cambridge Institutes teilnehmen, in der ihre Englischkenntnisse auf dem Niveau B1 abgefragt werden. Die Kursteilnehmer an der VHS hatten dafür 14 Monate Zeit. Und das alles zusätzlich zu Job und Familie.

Neben den übrigen Verpflichtungen stellt eine besondere Herausforderung auch die sehr heterogene Zusammensetzung der Gruppen dar, die vor Lehrkräften wie Gerlinde Renner zusammenkommen. Die Teilnehmer an den VHS-Deutschkursen kommen von überall her: Kroatien, Polen, Bosnien, Thailand, Syrien, Nigeria, Peru, Pakistan, Georgien, Usbekistan - die Liste ist lang. Das bedeutet: Unterschiedliche Muttersprachen, unterschiedliche Alphabete, unterschiedliche Schulbildungen. "Manche haben in ihren Heimatländern einen Uni-Abschluss, andere haben nur wenige Jahre überhaupt eine Schule besucht und haben nie richtig gelernt, wie man lernt", sagt Stefanie Horten.

Für Gerlinde Renner überwiegen trotzdem die positiven Aspekte, wenn eine solch bunte Truppe gemeinsam lernt. "Die Teilnehmer lernen nicht nur Deutsch, sondern auch viel über andere Länder und Kulturen, Toleranz und Zusammenhalt. Deshalb ist für die Deutschlehrerin klar, dass sie voneinander in vielerlei Hinsicht profitieren. Ein paar Tricks helfen Renner dabei, damit das gemeinsame Lernen trotz verschiedener Ausgangspunkte recht gut klappt: leichtere und anspruchsvollere Niveaus bei den Aufgaben im Unterricht, einen sehr guten Schüler neben einen solchen setzen, dem die Sprache noch mehr Schwierigkeiten bereitet.

Das Niveau B1 bescheinigt zu bekommen, stellt für die meisten Teilnehmer eine wichtige Hürde dar: Zum Beispiel für Ausländer, die laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach 2005 hierher gezogen sind und sich "nicht auf einfache beziehungsweise ausreichende Art auf Deutsch verständigen können". Oder für die Arbeitserlaubnis in bestimmten Berufen für EU-Bürger. In manchen Fällen ist B1 noch nicht ausreichend: Für ein Studium etwa ist ein C1-Nachweis notwendig, bei den meisten Ausbildungsberufen oder bei der Anerkennung von Ausbildungen im Pflegebereich B2.

So ist es auch bei Snjezana Mrotan. Die 28-jährige Kroatin lebt seit zwei Jahren in Grafing. Um in ihrem Ausbildungsberuf als Erzieherin arbeiten zu können, muss sie B2-Deutschkenntnisse nachweisen. Seit vier Monaten besucht sie deshalb schon einen B2-Kurs. "Der ist schwieriger", sagt sie. "Wir lernen sehr viel Grammatik." Aber selbst, wenn sie für ihren Beruf das Zertifikat nicht bräuchte, würde sie einen Deutschkurs machen. "Mein Lebenspunkt ist jetzt hier, und nicht mehr in Kroatien - da muss ich Deutsch können!" Warum die Deutschen nun so viele Knödel essen konnte aber wahrscheinlich auch in Mrotans B2-Kurs noch keiner abschließend beantworten.

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