Muss man das Offensichtliche thematisieren? Werner Schmidbauer tut es ganz kurz, als er mit einem charmanten "I woas ned, ob I zu mir ganga war" vor allem den anwesenden Männern für ihr Kommen "an einem Abend wie diesem" dankt. Danach ist Fußball praktisch kein Thema mehr. Die immer noch allgegenwärtige Pandemie mit ihren diversen Auswirkungen hingegen schon. Denn nicht nur hat nach dieser langen auftrittslosen Zeit jede Veranstaltung mit Publikum gleichermaßen für die Menschen auf der Bühne und für jene im Saal eine ganz besondere Qualität, auch einige Songtexte des vor zwei Jahren gestarteten Soloprogramms "Bei mir" haben durch die Umbrüche des vergangenen Jahres eine ganz neue Bedeutung bekommen (etwa der "Momentnsammler", bei dem viele nickende Köpfe zeigen, dass alle wissen, was Schmidbauer meint) oder liegen direkt als "Corona Version" vor ("Aufgebn wird am Schluss"). Mitnichten ist dies allerdings bloße Spielerei oder Folge einer Beschäftigungstherapie als Auftrittsersatz, sondern vielmehr Produkt einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema.
So schenkt der Musiker und Liedermacher dem Auditorium mit jedem seiner Songs eine "nachvollziehbare und sehr ehrliche" Geschichte, wie es ein Ebersberger begeistert formuliert. Dass Schmidbauer durchgängig Mundart verwendet, bringt manche Sachverhalte sogar noch prägnanter zum Ausdruck, etwa beim höchst beeindruckenden "Glaubn". Zwar verliert diese Stärke dort, wo nicht jedes Wort verstanden wird, an Schwung, doch dies wird weit mehr als wettgemacht dadurch, dass sich jede Person im Saal durch die zugewandte Art des Künstlers gemeint fühlt - und die Stücke in ihrer Gesamtheit mitten ins Herz treffen. Außerdem gibt es zur Einführung stets eine kleine Anekdote, die einen direkt in die Situation hineinkatapultiert.
In den Familiengeschichten geht es etwa am Beispiel der eigenen Tochter um die wunderbare Fähigkeit von Kindern, völlig in der Gegenwart zu leben ("Glück g'habt") und sich an dem zu erfreuen, was sie sehen. Oder es wird dieses überwältigende Gefühl beschrieben, das alle Eltern beim Gedanken an das kleine Wesen empfinden, das da so machtvoll in ihr Leben getreten ist ("Bei dir"). Und dann sind da noch die Erinnerungen an den jungerwachsenen "Schmidl", der immer wieder mit seinem "konservativen, bayrischen" Vater aneinandergerät. Jenem Papa, mit dem ihn trotz der Streitereien ein inniges Verhältnis verbindet - bevor er durch einen tragischen Bergunfall ohne Abschied aus seinem Leben verschwindet. 35 Jahre ist das schon her, doch die Erinnerung an den Menschen, der Schmidbauer mit seinen geradlinigen Ansichten und dem Vertrauen in die Fähigkeiten des eigenen Sohnes entscheidend geprägt hat, ist kein bisschen verblasst, wie das hochemotionale "Dei Liacht" zeigt, bei dem viele Augen verräterisch glänzen.
Auch die Liebe zu den Bergen ist dem Vater zu verdanken. Und damit indirekt auch das auf dem Brünnstein entstandene "Herobn", also jener Song mit dem kraftvollen, langgezogenen "O", der längst nicht nur das Herz eines jeden höher schlagen lässt, der schon einmal beim Ausblick vom Gipfel mit dem Geruch von Sommer auf noch warmen Steinen dieses Gefühl von etwas erlebt hat, das größer ist als man selbst.
Kein Wunder also, dass Schmidbauer seit 2003 im BR mit seinen Gesprächspartnern "Gipfeltreffen" veranstaltet - was übrigens Hans Vollhardt zum Besuch im Alten Speicher bewogen hat, schätzt er doch "die Tiefe der Themen und Argumente" der Sendung. Als der Altlandrat das in der Pause erzählt, während seine Frau die gute Musik lobt, ahnt niemand, was gleich passieren wird. Denn da betritt einer der Schauspieler, mit denen sich der Moderator auf ein "Gipfeltreffen" begeben hat, die Bühne und bringt den Saal zum Kochen.
Helmfried von Lüttichau (vielen unter anderem als "Staller" aus der gleichnamigen Serie bekannt) ist es, der mit einem fulminanten E-Gitarren-Solo bei seinem ersten öffentlichen Auftritt als Gitarrist das auslöst, was sich viele bis dahin wohl nicht wirklich getraut haben: frenetisches Mitklatschen und ein Einstimmen in den Refrain von "Wo bleibt die Musik?"
Man bekommt eine leise Ahnung, wie es wohl gewesen sein muss, in diesen "Vor-Covid-Zeiten", als Schmidbauer zusammen mit "Pippo" Pollina und Martin Kälberer beim Finale der ersten "Süden"-Tour zehntausend Fans in der Arena von Verona begeisterte, und welch ein Schock es wohl für alle Beteiligten war, "Süden II" 2020 so abrupt beenden zu müssen. Ganz klar also, dass die Freunde, obwohl abwesend, auch an diesem Abend nicht fehlen dürfen, indem ihnen der Oberbayer, der eindeutige Gemeinsamkeiten mit den Sizilianern ausgemacht haben will ("beide sind wir genussfreudig und bissi grantig") den Song "Richtung Süden" widmet; längst nicht der letzte berührende Einblick in sehr persönliche Momente und definitiv ein weiterer Ohrwurm. Wir feiern das Leben!
Am Ende wird Deutschland sein erstes EM-Spiel verloren haben, während die Zuschauerinnen und Zuschauer im Alten Speicher ihre Anwesenheit dort auf ganzer Linie als Gewinn betrachten können. Hat doch Werner Schmidbauer das Versprechen über die Wirkung seiner "Herzenslieder aus 35 Jahren" voll und ganz eingelöst: "Hinterher seid's a bissl näher bei mir."