Wenn Eltern streiten:Kinder im Blick

Erziehungsberatungsstelle der Caritas will mit neuem Kursangebot Paaren in der Trennungsphase helfen

Alexandra Leuthner

Grafing- Eigentlich hätte er pünktlich um 18 Uhr vor der Wohnungstür stehen müssen, um die Kinder abzuholen. So wie jeden Mittwoch. So war es ausgemacht. Doch als um viertel nach sechs das Telefon klingelt, da spürt sie bereits, wie in ihr die Wut hochsteigt, weil sie schon ahnt, was sie zu hören bekommt. Er wird absagen, weil er länger arbeiten muss, einen Abendtermin hat, oder warum auch immer. Sie greift zum Telefon, es kommt wie erwartet, er schafft es nicht, sie brüllt ihn an, wirft ihm Beleidigungen an den Kopf und die beiden Kinder hinter ihr ziehen die Köpfe ein. Papa kommt nicht und Mama tobt.

Sie heißen Tina und Gerd, Martin und Beate, oder Max und Steffi, und sie haben sich getrennt. Die Paare, an die sich die Caritas-Erziehungsberatung im Landkreis mit einem neuen Kurs-Angebot richtet, kurz KiB genannt, haben solche oder ähnliche Szenen alle erlebt. Jeder der früheren Ehe-oder Lebenspartner muss in ein neues Leben hinein finden. Die Gefühle spielen verrückt, alles muss neu organisiert werden und dann bleibt vom alten Leben doch etwas übrig: Die Kinder, einst Mittelpunkt der gemeinsamen Welt; und sie stehen plötzlich zwischen allen Stühlen.

Im Jahr 2011 waren 148 200 Kinder in der Bundesrepublik von einer Scheidung betroffen, erklärt Fachdienstleiterin Regina Brückner. Die Trennungskinder von nicht verheirateten Paaren nicht eingerechnet, auch nicht die aus früheren Trennungen. Die Gesamtzahlen liegen also weitaus höher. Allein zwischen 1993 und 2006 sei einer Statistik über Beratungsstellen zufolge die Zahl der Hilfesuchenden, die als Beratungsanlass Trennung oder Scheidung angeben, um 125 Prozent gestiegen. "Das bekommen wir hier in Ebersberg auch mit", bestätigt Angela Bredel-Michael. Die Sozialpädagogin aus dem Team der Beratungsstelle und ihr Kollege Peter Donhauser wollen mit den KiB-Kursen Müttern und Vätern helfen, im Trennungswirrwar wieder mehr Augenmerk auf ihre Kinder zu richten, auf ihre Gefühle angemessen zu reagieren und zu verstehen, was sie in der neuen Situation brauchen.

Die Abkürzung KiB steht für "Kinder im Blick". In den Kursen sollen die Teilnehmer aber nicht nur lernen, auf die manchmal unangenehmen Fragen ihrer Kinder einzugehen, sondern auch, im Aufeinandertreffen mit dem Ex-Partner, auf sich selbst zu achten und wieder zu einem respektvollen Umgang mit dem oder der Ex zu finden. Sich gegenseitig vor dem Kind abzuwerten etwa, "das sollte man wirklich nie machen", erklärt Brückner. "Das Kind ist immer 50 Prozent Mama und 50 Prozent Papa und wenn der eine von beiden nieder gemacht wird, dann trifft das immer auch 50 Prozent des Kindes."

Wie die Teilnehmer im KiB-Kurs lernen sollen, ihre Kinder aus der Schusslinie zu nehmen, orientiert sich an einem Programm, das von einem Psychologenteam der Ludwig-Maximilians-Universität und dem Münchner Familien-Notruf entwickelt worden ist. Der Kurs, der im Landkreis Ebersberg erstmals angeboten wird, fußt damit auf theoretischer und praktischer Grundlage und wird weiterhin wissenschaftlich begleitet, um die Methoden noch zu verbessern. In Übungen sollen die Teilnehmer lernen, sich in den Situationen, in denen es immer wieder zu Ärger kommt, anders zu verhalten. Der Pausenknopf ist so ein Stichwort, das die Teilnehmer in den sechs Kursstunden kennen lernen, erklärt Angela Bredel-Michael. Mit "nicht in die Luft gehen, sondern einfach mal die Luft anhalten", könnte man das annähernd übersetzen - wobei ganz "einfach" in diesem Zusammenhang vermutlich gar nichts ist, und die beiden Kursleiter daher auch ganz spezielle Techniken vermitteln, damit man den Pausenknopf wenn's drauf ankommt im Ernstfall überhaupt findet.

Was die Teilnehmer - im besten Fall sitzen beide Partner im Kurs - allerdings grundsätzlich zu verschiedenen Terminen, das gehört zur Kursphilosophie - aber auch lernen sollen, ist, die Dinge aus dem Blickwinkel des jeweils Anderen zu sehen. In den dreistündigen Sitzungen gibt es auch immer eine längere Pause, in der die Kursteilnehmer sich austauschen können. Ein erster Kurs, beginnend Anfang November, ist bereits voll, für den zweiten, Start Mitte November, sind noch einige Plätze frei. Anmeldungen nimmt die Beratungsstelle unter 08092/23 24 30 entgegen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: