Wenn am 23. April, wie seit 1995 üblich, der Welttag des Buches begangen wird, dann ist das Ende der Leipziger Buchmesse (LBM) 2025 mit ihren 296 000 Besucherinnen und Besuchern noch keine vier Wochen her. Entsprechend frisch ist die Erinnerung an Schlangen von hauptsächlich jungen und überwiegend weiblichen Menschen, die teils stundenlang geduldig darauf warteten, am Stand bestimmter Verlage in deren „New Adult“-Sortiment stöbern zu dürfen. Doch was versteht man darunter? Und was hat es mit dem Begriff „Young Adult“ (YA) auf sich?
Laut Thomas Koch, dem Pressesprecher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, zielten YA-Titel auf eine jüngere Leserschaft ab, mit Protagonisten und Protagonistinnen meist im Teenageralter. Im Grunde also genau das, was bisher als klassisches Jugendbuch galt. „New Adult“ (NA) hingegen, so Koch, richte sich vor allem an junge Erwachsene, mit Protagonistinnen und Protagonisten in der Regel von 18 bis 30 Jahren. „Die meisten Genres werden aber nicht nur von einer bestimmten Zielgruppe gelesen“, fügt er hinzu.

Das können die befragten Fachleute aus Buchhandlungen und Bibliotheken im Landkreis Ebersberg bestätigen. Zu den Leserinnen der Sparte Young und New Adult gehörten neben Mädchen ab 14 und jungen Frauen „bis in ihre 30er“ auch Mütter von Babys und Kleinkindern, berichtet Ilona Nußbaum von der Gemeindebücherei Kirchseeon. „Deshalb stehen bei uns viele dieser Titel nicht bei den Jugendbüchern, sondern bei SL, der Schönen Literatur.“
Eine Bewertung der literarischen Qualität möchte die Bibliothekarin bewusst nicht vornehmen. Es sei doch in erster Linie wichtig, dass Menschen in Büchern Ablenkung fänden. „Sich freuen, traurig sein dürfen … mitfiebern“, so Nußbaum. Alles sei gut, was auf friedliche Art und Weise Entlastung verschaffe, als Schlüssel fungiere zu einem besseren Verständnis der Welt und der Menschen.
Oft werden die Bücher stapelweise ausgeliehen
Um zu hören, was so reizvoll ist, an den YA- und NA-Titeln, hat Daniela Molle-Thiel von der Stadtbücherei Grafing ihre Praktikantinnen befragt. Diese heben hervor, dass sie sich mit den Themen identifizieren könnten und manche Situationen sogar schon selbst erlebt hätten. Die Figuren seien „nahbar und wie echte Menschen, die auch Fehler machen“.
Gar stapelweise würden die Bücher ausgeliehen – weil es in diesem Genre viele Reihen gibt, die dann natürlich komplett gelesen werden müssten. „Auf manches muss man lange warten, wie etwa gerade auf die 'Flammengeküsst'-Titel von Rebecca Yarros“, erzählt Molle-Thiel. Dann erwähnt sie noch einen Aspekt, den man nicht erwartet hätte: „Die New-Adult-Bücher ziehen auch durch ihre Aufmachung“.

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Ganz hoch im Kurs: die Farbschnitte. Das bestätigt Björn Hartung, seit 2020 Inhaber von „Buch Otter“ in Ebersberg: „Manche wollen nur das, weil es im Regal gut aussieht.“ Elke Knitter vom Buchladen in Poing spricht sogar von Vorbestellungen ein halbes Jahr vor dem Erscheinen, „um eine erste Auflage mit Farbschnitt zu ergattern.“
Wobei das äußere Erscheinungsbild nicht unbedingt einhergehen müsse mit inhaltlicher Qualität, so Knitter: „Die allermeisten Bücher sind gut lesbar, aber keine literarische Entdeckung, was meines Erachtens aber auch nicht angestrebt wird.“ Als positives Beispiel vor allem auch hinsichtlich der Inhalte nennt sie Ali Hazelwood, „die selbst einen akademischen Hintergrund hat und differenziertere Rollenbilder insbesondere weiblicher Charaktere anbietet“.

Doch wie werden junge Menschen auf Bücher aufmerksam und welche Kriterien sind für sie relevant? Molle-Thiel erwähnt Leselisten und Rezensionen im Internet, Knitter Autorinnen, die selbst in der Szene extrem aktiv seien. Die Marktforschungsstudie „Bock auf Buch“ aus dem Jahr 2024 wiederum zeigt, dass je nach Alter „BookTok“, Youtube oder Instagram eine große Rolle spielen. Auch Börsenvereins-Sprecher Koch sagt, soziale Medien seien ein wichtiger Impulsgeber für Buchkäufe. Rund ein Drittel der jungen Menschen – unter den 16- bis 19-Jährigen sogar 38 Prozent – würden auf diesem Weg aufmerksam (Quelle: Consumer Panel Services GfK).

Die BookTok-Bestsellerliste kennt auch Hedwig Wobken vom Kirchseeoner Buchladen genau. Die drei Spitzenreiter habe sie immer vorrätig. Außerdem stehe direkt neben ihrer seit etwa zwei Jahren bestehenden „Young-Adult-Ecke“ das Sofa zum Schmökern. „Was nicht da ist, wird bestellt. Viele lesen die Bücher auch im Original auf Englisch.“ Die oben genannte Studie spricht davon, dass dies beachtliche 30 Prozent der 16- bis 19-Jährigen tun.
Wobken erklärt sich die Anziehungskraft der Titel so: „Die jungen Menschen sind durch die Krisen unserer Zeit verunsichert und suchen eine heile Welt. Sie fliehen in romantische Welten, um den Kummer eine Zeit zu vergessen.“ Sie schätze es sehr, dass „Jugendliche wieder mehr lesen, ihre Meinungen auf Blogs, Instabook oder BookTok austauschen“. Zumal sie beobachte, dass auch wieder mehr alte Klassiker gelesen würden.

Laut Hartung, der ebenfalls ein Extra-Regal für das Genre hat, kommt die Klientel seitdem sogar gezielt: „Leute in dem Alter hängen sonst nicht im Buchladen rum.“ Die Gründe fürs Stöbern? Eine neue Streamingserie zum Buch. Die Diskussion darüber im Freundeskreis. Der Wunsch, neue Reihen zu entdecken. Oft nähmen die Kundinnen dann „nicht nur eins mit, sondern drei!“ Das schlägt sich auch in den Zahlen des Börsenvereins nieder. Der verzeichnet ein deutliches Wachstum in den Warengruppen, zu denen die „Junge-Leute-Literatur“ gehört. 2023 seien die Umsätze der Belletristik um 7,7 Prozent, die des Kinder- und Jugendbuchs um 2,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. (Quelle: Media Control)
Und nicht nur die großen Player des Buchmarkts profitieren von dieser Entwicklung. So war etwa in Leipzig oft kein Durchkommen am kleinen Second Chances Verlag, dessen Angebot an erfrischender Unterhaltungslektüre im Bereich LGBTQ bei jungen Menschen offenbar einen Nerv getroffen hat. Verlegerin Jeannette Bauroth äußerte bei einem Vortrag, dass „New Adult das Lesen wieder cool gemacht“ habe. Zudem sei zu beobachten, dass auf diesem Weg auch Menschen zurückgeholt würden, „die der Literatur längst den Rücken gekehrt“ hätten. Ihr Fazit: „New Adult ist die Antwort auf ein echtes Bedürfnis der jungen Generation und kein Hype, sondern eine literarische Bewegung.“
In der Bücherei in Grafing ist ein „Spicy“-Aufkleber geplant
Sollte man also froh sein, wenn Teenager sich statt eines neuen Outfits einen Gutschein für die örtliche Buchhandlung wünschen oder gar beim nächsten Büchereibesuch selbst einmal zu einem New-Adult-Titel greifen? Molle-Thiel sagt ja – sie freue sich, wenn überhaupt gelesen werde. Zumal manche der Romane tatsächlich gut geschrieben seien. Einzige Einschränkung: Die oft sehr bildhaften und detailgetreuen Sex-Szenen, weswegen sich manch ältere Dame nach der Lektüre mit unerwartetem Inhalt auch schon empört habe.
Sich zu informieren, bevor manche Werke in Teenagerhände geraten, ist also sicher nicht verkehrt. Hartung findet recht deutliche Worte: „Manche Sachen sind nicht nur grenzwertig, sondern definitiv nichts, was Heranwachsende in einem sensiblen Alter lesen sollten. Wenn eine 35-Jährige sich so ein Buch holt, dann hat sie einen ganz anderen Blick darauf und eine ganz andere Distanz dazu.“ Auch Knitter moniert Liebesbeziehungen mit problematischen Mustern, wie dominanten männlichen Protagonisten oder grenzüberschreitenden Sexualpraktiken und gibt zu bedenken, dass die bunten Cover über Erwachseneninhalte hinwegtäuschen können. Darum plädiert sie für eine Altersangabe seitens der Verlage und sieht die Buchhändlerinnen „in der Verantwortung bei der Beratung“.
In der Bücherei in Grafing ist nun ein „Spicy“ Aufkleber geplant. Und vielleicht hilft zur Orientierung die Beobachtung einer Insiderin, die meint: „Für ‚Dark Romance‘ sollte man definitiv besser volljährig sein.“ Für alles andere nennt sie augenzwinkernd die Faustregel: „Je pastelliger das Cover, desto expliziter der Inhalt!“