Weitere Termine im Winter:Von den Kräften des Lebens zerrissen

Theater Wasserburg "Krankheit der Jugend"

Dicht an Worten und Bildern ist die neue Inszenierung am Theater Wasserburg: "Krankheit der Jugend" bietet eine irrlichternden Abfolge von Selbstzweifeln und Sinnsuche, von Entblößung und Versteckspielen.

(Foto: Christian Flamm/oh)

Das Ensemble am Theater Wasserburg hält seinem Publikum mit dem aufwühlenden Klassiker "Krankheit der Jugend" einen entlarvenden Spiegel vor

Von Ulrich Pfaffenberger

Krankheit der Jugend" - welch ein blöder Titel für ein Theaterstück. Wenn unsere Großeltern über die Hippies im Nachbarhaus räsonierten, dann war das die passende Überschrift dazu: "Die armen Eltern. Wie müssen die unter diesem Sohn leiden." Derlei hatte Ferdinand Bruckner sicher nicht im Sinn, als er vor fast 100 Jahren die Bühne bereitete für ein hochprozentig konzentriertes Destillat dessen, was die Überlebenden des Ersten Weltkriegs umtrieb. Jung mögen sie gewesen sein. Aber die Welt, in die sie hineinwuchsen, war alles anderes als gesund. Also stimmt der Titel doch? Ja, er trifft zu, aber nicht so, wie man zunächst denkt.

Knapp eineinhalb Stunden später, nach einer dichten Aufführung des Theaters Wasserburg, einer irrlichternden Abfolge von Seelenstriptease, Herumgegockele, Klugscheißerei und Habichdirsnichtgesagt-Posen, von Selbstzweifeln und Sinnsuche, von Entblößung und Versteckspielen, wissen wir: Es geht gar nicht um die Jugend als Gruppe. Es geht um ein Lebensalter, dessen manche beraubt werden - oder überdrüssig sind, das für die einen vollgepropft ist mit Unwichtigkeit und für den anderen mit Fragen, wohin das alles einmal führen soll. Einem Aggregatszustand zwischen Aufbruch und Stillstand, den es nicht nur 1920 gab, sondern der seit Menschengedenken anhält und sich gerade in der digitalen Variante potenziert. Der damals wie heute in die vermeintliche Alternativlosigkeit mündet, "zu verbürgerlichen oder sich das Leben zu nehmen", wie mehrfach zu hören an diesem Abend. Wobei, erstens, die mit diesen Begriffen verbundenen Konsequenzen maximal deut- und wandelbar sind. Wobei, zweitens, den Zuschauern in überwiegend gesetztem Alter beim Betrachten des Spektakels klar ist: Das ist keine Wahlmöglichkeit der Adoleszenz, sondern die unausweichliche Etikettierung für das ganze Leben, immer wiederkehrend, nie mit letzter Gewissheit zu Inhaltsstoffen und Mindesthaltbarkeit.

Ihr spielerisches Feld, einen Abend in einer Gesellschaft von Wiener Medizinstudenten, machen sich Annett Segerer, Nik Mayr, Amelie Heiler, Magdalena Müller und Hilmar Henjes kompromisslos zu eigen. Keine Perücke, kein Kostüm, keine Pose kann darüber hinwegtäuschen, dass sich hier Rolle und Interpret gegenseitig nähren, eine Haltung, die tief im Wasserburger Ensemble verankert ist, seinen Charakter prägt. Aber so drastisch hin und her gerissen zwischen "Bin ich's" und "Oder bin ich's nicht" wie diesmal waren sie noch nicht oft. Weil sich dieses Ensemble auch stets mit voller Konzentration, fast schon liebevoller Umarmung, der unwiderstehlichen Kraft schöner Sprache hingibt, erreichen die Signale der Dialoge beim Zuschauer sinfonische Dimensionen. Sogar Kommata und Punkte haben hier ihre eigenen Tonarten, die Fragezeichen sowieso. Regisseurin Susan Hecker, die aus der Originalfassung zwei Personen gestrichen hat, ohne dem Stück auch nur einen Deut Botschaft zu nehmen, muss viel Freude daran gehabt haben, diese "Krankheit der Jugend" Phase zu Phase zu entwickeln.

Eine feine Idee der Spielleitung ist es, den Raum, in dem die Personen des Stücks sich selbst und die anderen suchen, in ein Spiegelkabinett zu verwandeln. Eines aus billigen, geklebten Folien, deren unebene Fläche allenfalls Zerrbilder der Realität zurückwerfen. Was die Figuren nicht davon abhält, darin Nabelschau zu halten, sich in Posen zu werfen - und durch die hinter den Spiegeln verborgenen Türen zeitweise in andere Realitäten zu entweichen. Die einen häufiger, die anderen seltener, gelegentlich kehren sie auch zurück, manche jedoch suchen so den endgültigen Ausweg, in die Bürgerlichkeit oder ins Nicht-mehr-so-Leben. Was anfangs optisch sehr plakativ wirkt, bringt im Lauf der Handlung erfreulich viel Bewegung ins Spiel der Gefühle und der Erkenntnisse. Alles Möblierte wäre Kasperltheater.

Dass sich das Ensemble für Disco-, Pop- und Rockmusik der 70er und 80er Jahre entschieden hat, ist nicht nur Distanz zum naheliegenden "Babylon-Berlin"-Soundtrack. Es befriedigt auch das nostalgische Sehnen des Publikums nach den Klängen der eigenen Jugend. Doch je mehr man davon hört, desto brutaler wird's: Denn im Kontext des Stücks entlarvt die Musikauswahl im Nachhinein so manches Mixed Tape als einseitige Interpretation der Dinge: ein Selfie fürs Ohr, dessen Aussage sich verflüchtigt, bevor sie irgendwo ankommen konnte. Es fällt schwer, die Entfernung zu jener Zeit zu erkennen und anzunehmen, an Damals! Bevor wir bürgerlich wurden!

Am Ende viele, viele Verneigungen der Truppe, nicht nur vor dem begeisterten Publikum, sondern - unvermittelt überfällt einen die Erkenntnis - noch mehr vor dem Alter Ego der Rolle, dieser von einer kranken Welt zerstörten Jugend.

Theater Wasserburg: "Krankheit der Jugend", weitere Spieltermine: 25., 26., 27. Dezember sowie 16. und 17. Januar. Infos und Karten unter www.theaterwasserburg.de.

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