Süddeutsche Zeitung

Weihnachtspost:Handschrift des Herzens

In Zeiten von Mail und SMS verschwindet die schreibhandwerkliche Kunstform der Grußkarte

Christian Hufnagel

Es war einmal eine Zeit, in der allüberall auf den Tannenspitzen noch goldene Lichtlein saßen. In der der See noch still und starr in sich ruhte und im tiefen Wald ein fabelhaftes Wesen namens Christkind gesehen ward, sein Mützchen voll Schnee und mit tiefgefrorenem Näschen. Und in der sich betörend der Engel Halleluja in die Ohren schmeichelte, es laut von fern und nah tönte, ein Retter sei da. In dieser mirakulösen Zeit suchte der Mensch auch noch nach Postkarten, die hübsch, romantisch oder symbolisch bebildert, eine Herzensbotschaft überbringen sollten. Er kaufte also einen Packen davon, setzte sich hin, überlegte inniglich, schrieb in unverwechselbarer Handschrift glühende Gedanken nieder, klebte eine Wohlfahrtsmarke auf den Umschlag und machte sich auf durch die Winterwunderlandschaft vorbei an dem ruhenden See und den goldenen Tannenspitzen zum sonnengelben Briefkasten.

In dieser Zeit war es noch Aufwand und schreibhandwerkliche Arbeit, illustrierte Weihnachtsgrüße an Verwandte, Freunde und Geschäftspartner zu schicken. Ein jeder hatte eine kleine Massenaussendung zu bewältigen. Indes: Das war einmal. Weil das Christkind die Menschheit längst mit Internet, Mail, SMS und Whats App ausgestattet hat, haben sich die umständlichen Erdenkinder zu blitzschnellen Usern entwickelt, welche in Sekunden Textbausteine und standardisierte Illustrationen verschicken können. Aber es gibt im Landkreis, dem Retter sei Dank, noch immer ein paar Institutionen, die sich für diesen Anlass aus dem Netz nehmen und das hochheilige Handwerk des Weihnachtskarten-Schreibens am Leben halten. So erreichte unsere Redaktion doch noch ein kleines Häuflein von beseelten Wünschen in gedruckter Form, verschickt von Ebersberger Schulen, sozialen Einrichtungen, Parteien und Geschäftsleuten. Der Stil ist dabei so bunt wie Geschenkpapier. Mal ist es ein irischer Segensspruch, sich die Sehnsucht als Lebensmotor zu erhalten; mal ein individueller Appell, sich um "heilsame " Bedingungen für alle Menschen zu kümmern; mal ein großes weihnachtliches Dichterwort, so das von Rilke: Und in die Herzen, traumgemut / Steigt ein kapellenloser Glaube, / Der leise seine Wunder tut.

Wie ein kleines Wunder kommt sie einem auch vor - die Weihnachtspost auf Papier. Denn unter den Briefkuverts steigt die Ahnung schon auf, dass eine der künftigen Weihnachtsgeschichten mit einer sentimentalen Erinnerung anheben wird: Es war einmal eine Zeit, in der allüberall in die Briefkästen Glückwünsche purzelten.

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Quelle:
SZ vom 24.12.2012
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