Weihnachten für ukrainische Flüchtlinge:Auf dass der Heilige Nikolaus Frieden bringe

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Alla Budnichenko schmückt den Weihnachtsbaum mit Kugeln und Sternen in den ukrainischen Farben. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Für die Ukrainer ist das Weihnachtsfest auch eine Emanzipation von Russland - in diesem Jahr mehr denn je. Wie Familien in Ebersberg feiern und warum die Spezialität "Kutja" nicht fehlen darf.

Von Franziska Langhammer, Ebersberg

Vor einem Jahr hätte Alla Budnichenko sich wohl nicht vorstellen können, dass sie mit ihrer Familie, Verwandten und Freunden aus der Ukraine das Weihnachtsfest in Ebersberg verbringen würde. Insgesamt 35 Menschen werden sich am 24. Dezember in ihrem Wohnzimmer einfinden, um gemeinsam zu feiern. Sie selbst kommt aus der Region Kiew, lebt aber schon seit mehr als zwanzig Jahren in Deutschland. Wie Ukrainer Weihnachten feiern, das hat sich aus verschiedenen Gründen in den letzten Jahrzehnten schon sehr verändert. Und dieses Jahr, so Budnichenko, ist sowieso alles anders.

Fernab des Kriegsschauplatzes in der Ukraine spielt sich ein ganz anderer Kampf ab: Der Heilige Nikolaus tritt gegen Väterchen Frost an. Väterchen Frost, das ist ein alter Herr mit Bart und meist blauem Mantel, der aus den nordischen Wäldern stammt; auf dem Rücken hat er einen Sack mit Geschenken für die Kinder. Begleitet wird er meist von seiner Enkelin Snegurotschka, zu Deutsch: das Schneemädchen, das Pendant zum deutschen Christkind.

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Weil zu Sowjetzeiten die Religion als Opium fürs Volk verpönt und somit jegliches Weihnachtsbrauchtum aus dem Land verbannt war, wurde er herangezogen. "In vielen ukrainischen Familien ist es noch so, dass Väterchen Frost die Geschenke zur Silvesternacht bringt", erklärt Alla Budnichenko. Weil sich die Ukraine aber seit dem Zerfall der Sowjetunion auch kulturell von Russland emanzipieren will, fand auch schon in den vergangenen Jahren ein Wandel statt, und der Heilige Nikolaus kam aufs Parkett. "Der Krieg hat diese Entwicklung beschleunigt", so Budnichenko.

Und so kommt es, dass die Ukrainer, sowohl hierzulande als auch in ihrem Heimatland, sich mehr und mehr dem europäischen Weihnachtskalender anpassen. War etwa Silvester noch vor einigen Jahren das zentrale Fest und der 6. Januar der Heiligabend für die orthodoxen Christen, soll künftig auch der 24. Dezember in den Mittelpunkt der Weihnachtszeit rücken. "Das Beisammensein steht im Vordergrund", erzählt Alla Budnichenko, "es wird viel gesungen." Eines der bekanntesten ukrainischen Weihnachtslieder ist "Shchedryk - Carol of the Bells", bei dem traditionellerweise eine Strophe auf Ukrainisch, eine auf Englisch gesungen wird.

Bei einem traditionellen ukrainischen Weihnachtsmahl darf Kutja nicht fehlen. Für das Gericht werden Nüsse kleingeklopft ... (Foto: Peter Hinz-Rosin)
... mit Weizenkörnern, Honig und Mohn vermengt ... (Foto: Peter Hinz-Rosin)
... und dann abgeschmeckt. Alla und ihre Mutter Valentina Budnichenko bereiten das Gericht gemeinsam zu. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Und auch beim ukrainischen Weihnachtsfest ist es wichtig, dass viel und gutes Essen auf dem Tisch steht: Zwölf Gerichte werden serviert, sagt Budnichenko, angelehnt an die zwölf Apostel von Jesus. Während zur deutschen Adventszeit Schokolade, Marzipan und fette Braten Hochkonjunktur haben, ist die vorweihnachtliche Zeit in der Ukraine eine des Fastens. Dementsprechend sind die zwölf Gerichte auch mager, ohne Fleisch.

Was aber auf keiner Festtafel fehlen darf, betont Alla Budnichenko: Kutja. "Das ist eine Süßspeise aus gekochten Weizenkörnern, mit Mohn, Honig und Nüssen", erklärt sie. Der süße Brei soll gleichzeitig Symbol dafür sein, dass es in den kommenden Jahren reichlich Ernte gibt, vergleichbar mit dem deutschen Erntedank.

Ob Kutja schmeckt oder nicht, da gehen die Meinungen auseinander. Alla Budnichenko findet: "Das liebt jeder, es schmeckt auch immer gut." Ihre Landsfrau Olga Siegel, die auch seit 22 Jahren in Deutschland lebt, ist nicht so begeistert von dem Gericht: "Aber einen Löffel muss man davon auf jeden Fall essen." Danach beginnt das feierliche Abendessen. Wenn dies vorbei ist, wird für verstorbene Familienangehörige eine Schüssel mit Kutja auf den Tisch gestellt.

Tannenbäume wurden in der Ukraine an Silvester aufgestellt

Olga Siegel stammt ursprünglich aus dem russischsprachigen Osten der Ukraine, in dem es auch noch andere Bräuche gibt. Sie erinnert sich noch an das Weihnachten ihrer Kindheit, als in der Stadt noch Väterchen Frost unterwegs war und von Tür zu Tür spazierte. "Draußen hatte die Mutter schon Geschenke vorbereitet, die legte er sich dann in den Sack, um sie in der Wohnung an die Kinder zu verteilen", erzählt sie. Väterchen Frost trat dann mit rosa Wangen ein und fragte in die Runde: "Kinder, habt ihr euch gut benommen?" Die Kinder, so Siegel, zollten dem Väterchen dann Respekt, indem sie ein Gedicht aufsagten oder ein Liedchen sangen. Überall wurde ein Gläschen getrunken, sodass das Väterchen Frost manchmal am Abend keine zwei geraden Sätze mehr herausbekam.

Dass es in der Ukraine seit Ende des 19. Jahrhunderts Weihnachtsbäume gibt, hat mit dem deutschen Einfluss zu tun, erzählt Olga Siegel. Mehrere russische Zaren heirateten deutsche Prinzessinnen, und diese importierten dann die deutsche Kultur in Form eines Christbaums. "Wir wollten Weihnachten feiern, konnten aber nicht", sagt Siegel mit Blick auf das Verbot jeglicher Religionsausübung. Deswegen wurden kurzerhand Tannenbäume aufgestellt zu Silvester - jedoch ohne religiöse Benennung wie "Weihnachts-" oder "Christbaum".

Von einer weiteren ukrainischen Tradition erzählt Olga Siegel, die ihren Weg auch nach Deutschland geschafft hat: Weihnachtsshows auf Theaterbühnen, die schon seit vielen Jahren für Exil-Ukrainer beispielsweise in München aufgeführt werden. Dabei wird eine Geschichte über Schnee, Väterchen Frost und das ausklingende Jahr erzählt, und die Kinder bekommen Säckchen mit Süßigkeiten, Mandarinen und Nüssen geschenkt, die sie mit nach Hause nehmen dürfen.

Tochter Solomia, Sohn Maxi und Nichte Alisa falten fleißig die Servietten. Am Weihnachtsabend werden sehr viele Familienmitglieder mit am Tisch sitzen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)
Ein Buch mit traditionellen ukrainischen Weihnachtsgeschichten wird zu jedem Fest herausgeholt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Zurück zu Alla Budnichenko und ihrer ukrainischen Großfamilie: Weil dieses Jahr alles anders ist, wird am 24. Dezember ein Großteil ihrer Familie die katholische Messe in der Ebersberger Kirche besuchen, bevor der Heilige Nikolaus die Geschenke bringt. Übersetzt auf die ukrainische Sprache, bedeutet es übrigens vielmehr der "gute" Nikolaus, der, der Wunder vollbringt. Überall in der ganzen Ukraine, erzählt Alla Budnichenko, seien Briefkästen aufgestellt, in welche Kinder Briefe mit ihren Wünschen an den Nikolaus werfen können. Vor einigen Tagen wurde schon gemeldet, dass sich die meisten Kinder nur eines wünschen: Frieden.

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