Süddeutsche Zeitung

Wege zum Publikum:Wird bei Konzerten künftig im Takt getwittert?

Lesezeit: 5 min

Die SZ lädt ein zum "Klassikgipfel" auf Gut Sonnenhausen: Musiker und Veranstalter diskutieren über mögliche Neuerungen.

Von Ulrich Pfaffenberger

"Als 22-Jähriger würde ich nicht in ein Konzert gehen, das im Seniorenpark aufgeführt wird."

"Bei Konzerten in Neukeferloh haben wir das Problem, dass man dort nicht mit dem öffentlichen Nahverkehr hinkommt."

"Wir müssen der Kultur des langfristigen Zuhörens ohne Ablenkung wieder mehr Kraft verschaffen."

"Warum nicht Hinweise ans Publikum twittern, dass jetzt gleich eine spannende Passage kommt?"

"Unsere Konkurrenz besteht darin, dass heute alles jederzeit überall auf der Welt in bester Qualität hörbar ist."

Bei einer Diskussion über die Zukunft von Konzerten mit klassischer Musik ist die Bandbreite der Meinungen groß, egal, ob sich Laien oder Profis Gedanken machen. Bei einer solchen Gesprächsrunde dieser Tage auf Gut Sonnenhausen auf Einladung der Süddeutschen Zeitung Ebersberg zeigen schon einige der notierten Sätze, wie unterschiedlich die Perspektiven und Ansichten sind.

Warum überhaupt eine solche Diskussion? Theoretisch ist die Situation unproblematisch. Wartelisten bei der Elbphilharmonie, ausverkaufte Festivals landauf, landab, insgesamt steigende Publikumszahlen: Schaut man auf die nackten Zahlen, braucht einem nicht bange zu sein um die Akzeptanz von Bach, Beethoven und Bartók in deutschen Landen. Ein gelegentlicher Blick in Konzertsäle, auch im Ebersberger Landkreis, offenbart jedoch immer häufiger freie Sitze und ein schrumpfendes Stammpublikum - bei gleichzeitig steigendem Altersdurchschnitt. "Als wir anfingen, hatten wir 200 Abos, heute sind es noch 120", berichtet zum Beispiel Kurt Schneeweis, Organisator der Rathauskonzerte in Vaterstetten. Dazu kommt: Der Nachwuchs bleibt aus. Junge Erwachsene oder gar Teenager im Publikum sind eine Rarität.

Lohnt es sich, gegen diese Entwicklung anzugehen? Und wenn ja: Wie kann das gelingen? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt der SZ-Gesprächsrunde zu der sich verschiedene Akteure der Konzertszene der Region zusammengefunden haben: Stefanie Boltz, Musikerin und verantwortlich für das Kulturprogramm auf Gut Sonnenhausen, die in Ebersberg lebende Geigerin Nina Karmon, der junge SZ-Tassilo-Preisträger und Dirigent Maximilian Leinekugel aus Vaterstetten, Kurt Schneeweis als Veranstalter sowie Oliver Triendl, künstlerischer Leiter des Kulturvereins Zorneding-Baldham, der Kammer- und Klavierkonzerte bietet. Von außerhalb stießen dazu Mark Mast, Intendant der Bayerischen Philharmonie, die einen Schwerpunkt auf Kinder- und Jugendarbeit legt, sowie Jon Olafson, vom Denver Philharmonic Orchestra, das mit der Philharmonie verbunden ist und dank ungewöhnlicher Konzepte ein jüngeres Publikum gewinnt.

Trotz unterschiedlicher Sichtweisen auf die Zugkraft klassischer Musikangebote sind sich die Gesprächsteilnehmer einig, dass Erneuerung Not tut. Und auf einem veränderten Freizeitmarkt viele traditionelle Formen wie etwa "das gediegene Abo-Konzert" an Attraktivität einbüßen. Auf diese Art der Planungssicherheit müsse man als Veranstalter in diesen schnelllebigen Zeiten wohl leider verzichten, konstatiert Triendl. "Die Besucher legen sich einfach nicht mehr so gern auf Termine fest." Die Folge davon: "Den Festivals gehört die Zukunft." Außerdem spiele das Ambiente immer eine Rolle, die Architektur, die Chemie eines Raumes. Mast geht sogar noch einen Schritt weiter, indem er die "klassischen" Spielstätten generell in Frage stellt: "Wir müssen die Musik dort hinbringen, wo die Leute sind", fordert er und verweist auf das Schwarzwald-Musikfestival, bei dem inzwischen Konzerte in Fabriken dazugehören. "Das öffnet auch für die Mitarbeiter dort neue Perspektiven: auf die Musik und auf ihren Arbeitsplatz."

Während sich die Runde grundsätzlich darauf verständigen kann, dass die Konkurrenz mit anderen Freizeitangeboten das Geschäft auch belebt und Raum schafft für neue Ideen und Konzepte bei Konzerten, löst ein Gesprächsbeitrag doch starke Kontroversen aus: Olafson berichtet, dass es in Denver gelungen sei, den Altersdurchschnitt des Publikums um ein Drittel zu senken und die Besucherzahlen fast zu verdoppeln - indem man die klassischen Benimm-Regeln über Bord warf. Ensemblemitglieder treten nun zu Spontankonzerten in der Fußgängerzone auf, das Programmheft wird Besuchern vorab digital zugestellt und während des Konzerts ist Twittern ausdrücklich erlaubt - in beide Richtungen. Musiker verschicken Hinweise zu den Stücken, Zuhörer teilen ihre Erfahrungen mit der Außenwelt. "Das Konzert ist jetzt interaktiv", fasst Olafson das Ergebnis zusammen. Wie sehr die sozialen Medien die Denkweise vieler Altersgenossen dominieren, bringt der 22-jährige Leinekugel auf den Punkt: "Was nicht online steht, das gibt es auch nicht."

Kurt Schneeweis ist Chef der Vaterstettener Rathauskonzerte.

Stefanie Boltz verantwortet das Programm von Sonnenhausen.

Dirigent der Zukunft: Maximilian Leinekugel aus Vaterstetten.

Mark Mast schreibt Nachwuchsarbeit groß.

Jon Olafson setzt auf digitale Medien im Konzertsaal.

Möchte weniger Distanz zum Publikum: Geigerin Nina Karmon.

Oliver Triendl gestaltet das Programm des Kulturvereins.

Geigerin Karmon jedoch hält dem entgegen, dass sie als Musikerin ein digital-interaktives Konzert als Belastung und Störung empfände, sie sich bei einem derart abgelenkten Publikum sehr unbehaglich fühlen würde. "Zwischen uns und den Zuhörern soll doch ein Dialog stattfinden - da stünden diese vielen kleinen Bildschirme doch ständig dazwischen", sagt die Geigerin. Jedoch sei es für sie als Künstlerin durchaus reizvoll, vor und nach dem Konzert mit den Zuhörern ins Gespräch zu kommen, Gedanken zur Musik zu besprechen und zu vertiefen. Eine solche Kommunikation könne das Eis brechen und das Leben bereichern - "wir sind doch alle nur Menschen". In diesem Sinne bedauert es Karmon, dass Moderation kein Teil des Studiums ist, man als Musiker also nicht lernt, das Programm auf der Bühne nicht nur in Tönen, sondern auch mit Worten zu präsentieren. Die Geigerin nämlich plädiert für eine geringere Distanz zwischen "denen da oben" und "denen da unten", auch räumlich.

Eine Haltung, die auch Boltz gefällt, die als Jazz-Sängerin sowieso mit einer stärkeren Interaktion mit dem Publikum vertraut ist: "Es ist eine Frage der Haltung, dass man sich öffnet und die Musik nicht einkapselt." Niedrigere Zugangsschwellen - etwa durch weniger erhöhte Bühnen, einen Einzug der Musiker durchs Auditorium oder die Auflösung des frontalen Gegenübers im Konzertsaal - könnten da schon viel helfen. Dem stimmen andere aus der Runde zu und berichten von eigenen, positiven Erfahrungen.

Womit auch der schmale Grat zwischen Entertainment und Genuss als Aufgabe eines Konzerts exakt vermessen ist: Reine Unterhaltung ist austauschbar, reine Freude ist es nicht. Letztendlich gehe es immer darum, Menschen zu berühren, ihnen eine bewegende Erfahrung zu ermöglichen, das betonen an diesem Nachmittag alle Gesprächspartner. Mit welcher Art von Musik das letztendlich erreicht wird, ist lediglich eine Frage des Geschmacks, und gerade im Landkreis bietet sich dem Publikum ja eine riesige Bandbreite - von Klassik und Liturgischem über Jazz bis hin zur Stubnmusi. "Was für ein Luxus!", ruft Triendl da aus.

Einigkeit herrscht auch darüber, dass es sich lohnt, über alles nachzudenken, was der eigenen Kunst - und damit auch dem Publikum wieder ein schärferes Profil zu geben. "Hier ist eine starke, ausgeprägte Identität bei jedem Partner der Schlüssel zum Erfolg", sagt Celibidache-Schüler Mast, dem Triendl mit dem Hinweis beipflichtet, "die jungen Leute sollen dort hingeführt werden, wo sie die Konzentration als Teil des ganzen Kunstwerks erkennen und schätzen lernen. Darum müssen wir als Musiker und Organisatoren kämpfen."

Diverse Gegenbewegungen zum schnellen Konsum in anderen Lebensbereichen machen den Vertretern der Klassik dabei ebenso Hoffnung auf ein kreatives Zusammenspiel von Künstlern und Zuhörern wie der Blick auf den munter nachwachsenden Rohstoff "Musiker" unter Kindern und Jugendlichen, gerade im Landkreis. Diese Entwicklung hat Jungdirigent Leinekugel vor Augen, als er vom "Wahnsinns-Beispiel GJO" spricht: Für die Mitglieder des Grafinger Jugendorchesters sei dieses nicht irgendein elitäres Hobby - sondern "genauso selbstverständlich wie der Fußballverein". Das Schöne ist: Aus jungen Musikern werden im Lauf des Lebens auch immer gute Zuhörer. Doch vermutlich wollen sie ganz anders umworben und begeistert werden, als dies in der Vergangenheit der Fall war.

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Quelle:
SZ vom 28.07.2018
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