Süddeutsche Zeitung

Schau in Wasserburg:Vergangene Tage, exzellente Kunst

Lesezeit: 4 min

Die Große Kunstausstellung des AK 68 zeigt eine große Auswahl an Stilformen und Materialien - wenn auch unter besonderen Umständen

Von Theresa Parstorfer

Frida ist ein exzellentes Gemälde. Etwas nachdenklich blickt sie, also die Malerin Frida Kahlo, von ihrer fast zwei auf zwei Meter großen Leinwand mit türkis-blauem Hintergrund, das Kinn in die linke Hand gestützt, in den Wasserburger Rathaussaal. Frida, korrekter Werktitel "Viva la Frida", wurde von Vera Moritz für die diesjährige Große Kunstausstellung des AK 68 eingereicht. Und dass es sich um ein exzellentes Porträt handelt, das hat nicht nur die Jury befunden - nein, zu diesem Urteil kommt auch der "True-Art-Finder" von Andreas Fischer.

Bei dem "True-Art-Finder Modell II" handelt es sich um eine ebenfalls fast zwei Meter hohe Apparatur, die dem Betrachter bei der adäquaten Beurteilung von Kunst helfen soll. Einer neben der Maschine angebrachten Erläuterung zufolge garantiert Modell II "aufgrund des neu entwickelten Datacombusters sowie der nun vorhandenen Fehlereinheit eine fehlerfreie Diagnose". Der True-Art-Finder sei auch ganz einfach zu bedienen, so die Anleitung weiter: Man schiebt ihn vor ein beliebiges Exponat, "richtet den Lichtstrahl der Emissionseinheit auf das jeweilige Kunstwerk und betätigt die Kurbel am Gerät". Man kurbelt also - wichtig! - mindestens eine halbe Minute, öffnet dann eine kleine Sichtkappe auf Brusthöhe und liest dort die Bewertung ab.

Man mag das klamaukig finden, der True-Art-Finder macht jedoch Spaß, verstößt er doch freimütig gegen die Regeln eines andächtigen Galeriebesuchs, wenn er leise schuppernd über das Parkett des altehrwürdigen Rathaussaals geschoben wird. Zudem steht er für etwas, was in Zeiten wie diesen nötig ist: positiv bleiben. "Schlechte" Kunst gibt es für den True-Art-Finder nicht - Kunst ist für ihn stets: "excellent art!" Versehen mit Spezifikationen wie "tidy" (ordentlich), "illustrativ" (erhellend), oder ausgestattet mit "sedative effects", also beruhigenden Auswirkungen, was ja auch nicht verkehrt sein muss.

Lange war nicht absehbar, ob die alljährliche Sommerausstellung des AK68 in diesem Jahr überhaupt würde stattfinden können. Die Vorbereitungen dafür beginnen stets bereits einige Monate vor der Eröffnung, aber als im März das öffentliche Leben aufgrund der Pandemie auf ein Minimum heruntergefahren wurde, und damit auch Galerien, Museen und Ausstellungen geschlossen hatten, herrschte lange Zeit einige Planungsunsicherheit. Dass die Schau nun stattfinden kann, unter den geläufigen Bedingungen - Maske, Abstand, Desinfektionsmittel, ohne Vernissage, ohne Finissage - ist, mit den Worten des True-Art-Finders, exzellent!

182 Bewerbungen gab es, 137 Werke von 91 Künstlern wurden ausgewählt und sind nun in Rathaus und Ganserhaus zu sehen. Die Vielfalt ist wie üblich groß: Da ist der überlebensgroße Hase aus Bronze von Susanne Beurer auf dem Marienplatz, dem bald eine gehäkelte Karotte zum Knabbern dagelassen wurde. Da sind Zeichnungen, Plastiken, Malereien, Videos wie beispielsweise von Gerhard Höberth. Titel: "Organic Motion". Im 16-Minuten-Loop pulsieren Strukturen aus Serviettenstoff oder Papier in den Farben weiß, blau und rot - hypnotisierend wie das Herz eines Lebewesens. Bemerkenswert auch die Stücke des Preisträgers für Junge Kunst Maximilian Bernhard, Jahrgang 1990, aus Karlsruhe: Poröse Säulen aus Keramik, auf deren Oberfläche er kaum auszumachende Figuren, Körper und Strukturen gepresst hat. Wie archäologische Artefakte aus einer längst vergangenen Zeit. Trotz einiger leichter Werke wie dem True-Art-Finder schwebt eine gewisse Melancholie als Grundrauschen durch die Ausstellung, ein unbewusstes Sehnen nach vergangenen Zeiten oder ein Träumen von einer alternativen Realität. Wobei "vergangen" nah und fern zugleich erscheint, denn: War 2019 die Welt nicht noch eine andere?

"Glory Days" heißt etwa eine Fotorserie in Schwarzweiß von Heino Sartor: Vier quadratische Bilder einer Strandlandschaft, in drei davon sind Menschen zu sehen, sie kehren dem Betrachter den Rücken zu, spazieren einem unbekannten Ziel entgegen. Schöne Tage waren das. Oder auch "Eden City", bestehend aus 18 ungefähr Hand-großen Bildchen, alle in den gleichen Pastelltönen bemalt. Augenscheinlich zeigen sie romantische Motive, viele davon nur halb im Bild, als habe ein kleines Kind willkürlich Schnipsel aus einem Reisemagazin über Los Angeles oder Las Vegas ausgeschnitten: ein Swimmingpool, ein Tennisplatz, eine Palme, eine Ananas. Beim genaueren Betrachten fällt jedoch auf: Was fehlt, sind Menschen - sodass die Collage zum Abbild einer verlassenen Traumstadt wird, einer Geisterstadt?

Ähnlich ambivalent, ähnlich melancholisch stimmt ein Ensemble futuristisch anmutender Maschinen im kleinen Rathaussaal: drei Teile mit den Titeln "100 Z", "200 E" und "B013". Ähnlich wie beim True-Art-Finder wird Kunst hier interaktiv. Man darf und soll sogar auf alle Knöpfe drücken und alle Hebel betätigen, die man findet. Die Maschinen summen, rattern, Röhrchen leuchten in Neonfarben, ein kleiner Globus dreht sich um sich selbst, einmal ertönt der Soundtrack von "Star-Trek", dann wieder "Hello Earth" von Kate Bush, und eine leicht verzerrt-belegte Stimme erklärt: "Ein schwarzes Loch kann beispielsweise entstehen, wenn ein Stern in sich zusammenstürzt."

Gesellschaftskritisch, auf globale Vernetzung hinweisend, ist beispielsweise ein Werk von Felix Reich, mit 27 Jahren einer der jüngsten ausgewählten Künstler. Für seine Arbeit "Plasticene Amber" hat er Plastik so eingeschmolzen, dass leicht deformierte Eier entstanden sind, in denen sich in milchiges Weiß verschiedene Farben mischen. "Plastizän", schreibt Reich, "dient aus wissenschaftlicher Sicht der Beschreibung eines neuen Erdzeitalters, das maßgeblich durch den Menschen herbeigeführt wurde und in Zukunft durch das Erscheinen von Ablagerungen und einer neuen Art künstlichen Stein klar definiert werden kann".

Der junge Künstler hat also Objekte geschaffen, die ein bisschen an das Konzept von Bernstein (deutsch für "Amber") erinnern: flüssiges Harz, das zu Stein wird und dabei Insekten aus anderen Jahrhunderten für eine goldene Ewigkeit einfängt. Nur, dass Reichs Zeitkapseln nicht natürlich, sondern der Inbegriff von Künstlichkeit sind: ein in Plastik gegossener, schmerzlicher Beweis dafür, wie unbedacht die Menschen des 21. Jahrhunderts mit Ressourcen und der Umwelt umgegangen sein werden. Symbol einer Zeit, in der konsumiert wird, ohne über die Kosten für die Nachwelt nachzudenken. Exzellente Kunst, würde der True-Art-Finder vermutlich sagen. "Makes you think". Macht nachdenklich.

Die Große Kunstausstellung ist bis zum 23. August täglich von 10 bis 18 Uhr im Ganserhaus und im Rathaus zu sehen. Der Eintritt beträgt für Erwachsene vier Euro, ermäßigt drei Euro.

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Quelle:
SZ vom 08.08.2020
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