Süddeutsche Zeitung

Im Schilde geführt, Folge 3:Der Eber, die Ebrach und ein alter Übersetzungsirrtum

Das Wappen der Kreisstadt Ebersberg gilt als ein sogenanntes "sprechendes" - leider hat sich hier offenbar über die Jahrhunderte ein Fehler eingeschlichen.

Von Wieland Bögel, Ebersberg

Das Offensichtliche kann manchmal von den wirklich interessanten Dingen ablenken, das Wappen der Kreisstadt ist ein Beispiel dafür. Dass eine Stadt, die Ebersberg heißt, sich mit einem Wappen schmückt, auf dem ein Schwarzkittel einen Berg hinaufklettert, ist ziemlich logisch. Fachleute nennen dies auch folgerichtig ein "sprechendes Wappen", also ein Symbol, das aus den Elementen eines Ortsnamens gebildet wurde. Damit scheint die Geschichte des Ebersberger Stadtwappens also auch schon auserzählt: Irgendwann hat irgendwer den Stadtnamen in eine Art Glyphe übersetzt, fertig, aus. Oder auch nicht. Denn wie so oft, gibt es auch hier eine Geschichte hinter der Geschichte - und darin ist gar nichts mehr offensichtlich.

Der offizielle und belegbare Teil der Geschichte, wie Ebersberg zu seinem Wappen kam, lässt sich relativ schnell nachlesen. Etwa auf der Website des Hauses der Bayerischen Geschichte. Dort ist zu erfahren, dass das Wappen mit dem Eber Mitte des 15. Jahrhunderts erstmals auftaucht: Als Wappensiegel von Abt Eckhard, dieses wurde im Jahr 1446 erstmals genutzt. Einige Jahrzehnte später, im Zuge des von Abt Sebastian Häfele beauftragten Ausbaus der Kirche St. Sebastian entstand dort das Stiftergrab für den Grafen Ulrich und die Gräfin Richardis. Dort findet sich das wohl älteste erhaltene Wappen mit dem Eber - damals kam er übrigens noch von links. In den folgenden Jahrhunderten hat er dann die Richtung gewechselt und gelangte wohl 1808 in den Dienst des Marktes Ebersberg, der das Wappen mit der Aufhebung des Klosters übernommen hat. Offizielles Gemeindeemblem war der Eber am Berg seit den 1830er Jahren.

Auch abseits des Offiziellen erfreute er sich offenbar großer Beliebtheit. Stadtarchivarin Antje Berberich hat einige Exponate in ihrem Fundus, die das Wappen abbilden. Etwa Schmuckstücke und Anstecker, genau wie auf einem Sammelbildchen, das wohl um das Jahr 1910 in Kaffeedosen zu finden war. Und bis heute kann man es auf Kaffeebechern, Frühstücksbrettln und vielem mehr sehen. Bleibt die Frage, wie das alles anfing, warum man vor knapp fünfeinhalb Jahrhunderten plötzlich auf die Idee kam, ein und gerade dieses Wappen in Dienst zu stellen. Laut dem Haus der Bayerischen Geschichte handelt es sich um ein "apokryphes Prunkwappen für die 1045 ausgestorbenen Grafen von Ebersberg". Also eines, das fälschlich dem damals schon historischen Gründergeschlecht des Ortes zugeschrieben wurde. Aber warum?

Nachfrage bei Thomas Warg, Historiker und seit mehr als zwei Jahren Organisator der Ebersberger Stadtführungen. Was hat die Klosterherren in der frühen Neuzeit also bewegt, sich das Wappen zu geben? Vermutlich ihre profunde Kenntnis der Ebersberger Frühgeschichte, sagt Warg. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Orten gebe es hier eine weit zurückreichende Chronik, dem Kloster sei Dank. Ebendiese weist den Grafen Sieghart als Gründer von Ebersberg aus und nennt sogar das genaue Jahr, wann er diese Tat vollbracht hat: Anno 880 sei es gewesen. Was die Ortsgründung mit dem Wappen zu tun hat, ist eine weitere Geschichte, in der sich Mythos und Historie gekonnt vermischen. Denn nicht nur das viel später entstandene Wappen ist ein sprechendes - auch der Ortsname "Ebersberg" leitet sich, zumindest wenn es nach den mittelalterlichen Chronisten geht, davon ab, dass bei der Entstehung der Siedlung ein Eber und ein Berg maßgeblich beteiligt gewesen sein sollen.

Die Legende geht so: Der Graf Sieghart war mit seiner Jagdgesellschaft in den damals noch sehr dichten Wäldern, deren Reste heute den Ebersberger Forst bilden, unterwegs, als sie auf einen gewaltigen Eber stießen. Den hätten der Graf und sein Gefolge gerne zur Strecke gebracht, doch immer, wenn sie dem Borstenvieh schon dicht auf den Fersen waren, verschwand es wie vom Erdboden verschluckt. Offensichtlich hauste es nämlich in einer Höhle unter einem Berg, wo es sich vor den Jägern verstecken konnte. Zwei weise Eremiten, namentlich als Konrad von Hewen und der Klausner Gebhard von Straßburg überliefert, hätten dem Grafen dann mitgeteilt, was es damit auf sich hat. Der Eber sei nämlich der Leibhaftige, dessen unheiligem Treiben nur Einhalt geboten werden könne, indem man den Berg mit der Höhle abtrage und an der Stelle eine Kirche und am besten noch eine Burg errichte. Und genau so sei es geschehen, zur Erinnerung wurde die neue Siedlung "Ebersperg" genannt, also der Berg des Ebers.

Eine schöne Legende, sagt Warg, "aber solche Geschichten sind nie ganz richtig - und nie ganz falsch." Klar ist, der teuflische Schwarzkittel, der nur durch Kirchenbau und Planierarbeiten vertrieben werden kann, folgt einem zu jener Zeit gebräuchlichen Topos. So ließ Karl der Große angeblich den heiligen Baum "Irminsul" der aufsässigen Sachsen fällen, um aus dessen Holz eine Kirche zu errichten. Auch, dass man gelegentlich dem Leibhaftigen begegnet, war für Menschen jener Zeit durchaus nicht ungewöhnlich - man denke nur an die zahlreichen "Teufelstritte" in Kirchen, Burgen oder auf Brücken und noch Martin Luther soll den lästigen Teufel mit einem Tintenfass beworfen haben. "Es war eine wundertätige Welt", sagt Warg, "und die Mönche wussten, dass sie das bedienen mussten." Also beispielsweise mit der Legende vom diabolischen Eber.

Der im Übrigen weder in seiner diabolischen noch profanen Form irgendetwas mit der Namensgebung Ebersbergs zu tun habe, sagt Warg. Denn der Berg oder die Burg - die anfangs eher eine von Holzpalisaden umzäunte Siedlung war - wurde wohl nach einer Ortsmarke benannt: dem Flüsschen Ebrach, das heute einige hundert Meter an der nördlichen Stadtgrenze vorbeifließt und sich damals wohl durch dichten Wald schlängelte.

Trotzdem ist die Geschichte der Chronik nicht komplett erfunden, schließlich hat Sieghart Ende des neunten Jahrhunderts einen Ort gegründet, auch wenn es nicht der Berg des Ebers, sondern die Burg an der Ebrach war. Auch die beiden Eremiten und ihre Ratschläge könnten laut Warg durchaus einen realen Hintergrund haben. Vermutlich, so Warg weiter, fragte Sieghart tatsächlich bei weisen Männern nach, wo eine Siedlung lebensfähig ist. Dass beide in der Chronik überlieferten Eremiten wie Siegharts Familie aus dem alemannischen Raum stammen, passe zu dieser Theorie. Und der Ratschlag, eine Hügelkuppe in der Nähe eines Frischwasserzuganges, der Ebrach, zu planieren, und dort als Siedlungskern eine Burg und eine Kirche zu bauen, sei ja keine schlechte Idee - auch ohne teuflisches Borstenvieh.

Nun aber zurück zum Wappen. Es spricht zwar - aber die Sprache seiner Entstehungszeit ist längst nicht mehr jene der Entstehungszeit des Ortes, sonst müsste darauf ja eine Burg und ein Fluss abgebildet sein. Vielmehr nimmt es Bezug auf eine damals schon von der Geschichte zur Legende und zum Mythos gewordene Frühzeit. Eine Frühzeit indes, deren Folgen auch Mitte des 15. Jahrhunderts noch nachhallen, hat doch Sieghart die erste Kirche gebaut, seine Nachfolger Ruthold und Ulrich haben die Mönche geholt und das erste Kloster bauen lassen.

Wenn nun ebenjene Mönche, die bis 1808 den Ort Ebersberg als Hofmark mitverwalten, ein Wappen wie dieses kreieren, zeigt dies vor allem einen gewissen Anspruch. Zum einen jenen, Hüter der Geschichte zu sein, man kennt schließlich die Umstände der Entstehung des Ortes bis ins Detail. Zum anderen aber auch ganz konkret an dem Ort selbst: Waren es doch Mönche und sonstigen Geistesmänner, die nicht nur von Anfang an dabei waren, sondern dank deren Ratschläge die Gründung des Ortes überhaupt nur möglich war.

Bleibt indes nur eine Frage: War der Eber am Berg das erste Wappen Ebersbergs, oder gab es einen Vorläufer, vielleicht sogar ein echtes Hoheitszeichen der Grafen? Laut Warg ist das eher unwahrscheinlich, die allerfrühesten Wappen seien für die Schlacht von Hastings nachgewiesen - da waren die Grafen schon 21 Jahre ausgestorben. Gebräuchlich sei diese Art Hoheitszeichen erst im Laufe des 12. Jahrhunderts geworden, so Warg. "Hätte man die Ebersberger Grafen nach ihrem Wappen gefragt, hätten sie wohl mit den Schultern gezuckt und nicht verstanden."

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SZ vom 03.09.2019/koei
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