Wahrzeichen:Liebling aus Beton

Vor genau einem Jahrhundert wurde der Ebersberger Aussichtsturm am Waldrand eröffnet. Heute ist das 36 Meter hohe Bauwerk das wichtigste Wahrzeichen der Stadt

Von Anselm Schindler, Ebersberg

Mit hochrotem Kopf steht Markus Krammer auf der zweiten Ebene des Ebersberger Aussichtsturms. Früher sei er da ganz einfach "hochgerannt", berichtet er schnaufend, doch mittlerweile sei er eben nicht mehr der Jüngste. Doch Krammer ist trotz steigenden Alters engagiert geblieben, vor allem in seinem Ehrenamt als Heimatpfleger. Zur Heimatpflege gehört freilich auch die Pflege von Wahrzeichen. Und das wohl bedeutendste Wahrzeichen der Kreisstadt thront auf der Ludwigshöhe: Rund 36 Meter ragt es am Rand des Ebersberger Forstes gen Himmel. Der Turm feiert gerade sein zweites Jubiläum in Folge: 2014 jährte sich der Baubeginn, in diesem Jahr, genauer gesagt, am Freitag, 1. Mai, folgt der Jahrestag der offiziellen Eröffnung. Vor einem Jahrhundert durften die vielen Treppen des Beton-Bauwerks zum ersten Mal bestiegen werden.

Der Wunsch, Tonnen von Stahlbeton weithin sichtbar neben einen Waldrand zu stellen, würde heutzutage vermutlich vom Bauamt abgeschmettert. Doch 1914 war der Bau eine Attraktion. Auch heute ist der Aussichtsturm noch ein Hingucker, auch wenn man sich über seine Ästhetik streiten kann: So ganz will sich der graue Beton nicht einfügen in das kräftige Grün der Fichten und Laubbäume, die ihn umgeben. Doch aus der Ebersberger Landschaft ist der Turm schon seit Generationen nicht mehr wegzudenken. Die Bürger haben ihr Wahrzeichen ins Herz geschlossen - nicht zuletzt wegen des herrlichen Ausblicks, den er bei schönem Wetter bietet.

Bereits 1860 wurde auf der Ludwigshöhe ein sogenannter Steigbaum errichtet. "Das war letztlich nur ein Baumstamm, dem die Äste gestutzt werden", erklärt Heimatpfleger Krammer. "Da haben sich nur die Mutigsten getraut, hochzukraxeln." Einige Jahre später, im Jahr 1873, folgte dem Steigbaum dann ein stattliches Holzgerüst, der Vorläufer des heutigen Turms. Auf vier mächtigen hölzernen Tragsäulen stehend, ragte er mit seinen 18 Metern Höhe bereits über die meisten Bäume hinaus. Zur Einweihung schmückten die Mitglieder der "Gesellschaft für Erheiterung" das Holzgerüst mit Girlanden, Kränzen und bunten Bändern. Diese Gesellschaft hatte einige Jahre zuvor auch den Anstoß für die Errichtung gegeben und das Bauwerk finanziert. Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet, setzte sie sich aus "honorigen Ebersbergern" zusammen, wie es Markus Krammer formuliert. Und schon der Holzturm habe es nach seiner Errichtung zu einiger regionaler Berühmtheit gebracht, aus der ganzen Umgebung seien Menschen gekommen, um auf einer der beiden Plattformen das Alpenpanorama zu genießen, so der Kreisheimatpfleger.

Wahrzeichen: Er überragt die Bäume des Forstes deutlich: der Ebersberger Aussichtsturm.

Er überragt die Bäume des Forstes deutlich: der Ebersberger Aussichtsturm.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Doch der Genuss währte nicht lange: Um die Jahrhundertwende begannen die Holzpfeiler des Turms zu verfaulen. Und als ein Blitzschlag der Statik des Bauwerkes endgültig den Garaus machte, beschloss man, den Turm abzureißen. Inzwischen war der Bau in die Verantwortung des einige Jahre zuvor gegründeten Verschönerungsvereins übergegangen. Dieser beschloss dann 1914, einen neuen Turm zu errichten. Beauftragt wurde die Firma Hoch-Tief, die mit dem Neubau nicht zuletzt für die eigene Betonbauweise werben wollte. Am 13. Juni des selben Jahres verkündete dann der Ebersberger Anzeiger den Baubeginn. "So dürfte dann die Arbeit rüstig vorwärts schreiten", hieß es in dem Blatt. Und der Plan ging vorerst auf: Bis Anfang August 1914 waren bereits zwei Stockwerke fertiggestellt. Doch dann unterbrach der Ausbruch des Ersten Weltkrieges den Weiterbau.

Geplant war zu diesem Zeitpunkt, das Bauwerk nach dem Krieg in Siegesturm umzutaufen - schließlich ging man in der allgemeinen Kriegseuphorie von der Überlegenheit der Mittelmächte aus. Doch der Verlauf der Geschichte sollte dafür sorgen, dass der Namenswunsch nicht in Erfüllung ging: Spaziert man vom Klostersee über die Felder Richtung Aussichtsturm, so fallen die Gedenkschilder für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Ebersberger ins Auge. Die Mittelmächte verloren den Krieg. Und so trägt das Betongerüst bis heute den simplen Namen Aussichtsturm.

Aus der damals noch überschaubar großen Beton-Firma, die den Turm errichtete, ist im vergangenen Jahrhundert ein großes Unternehmen geworden. Der Prototyp für die damals noch innovative Beton-Bauweise der Firma hat sich hingegen kaum verändert: Wie eh und je thront er über der Stadt. Von hier oben reicht der Blick bei klarem Himmel bis zu den fernen Dreitausendern. Das Panorama lockt bis heute zahlreiche Menschen auf den Aussichtsturm und seit jeher begeistert es auch Künstler aus der Region. Krammer zieht eine mehrfach gefaltete Panorama-Zeichnung aus der Tasche. Auf dem dicken Papier ist in sanften Farben das gesamte von der Ludwigshöhe aus sichtbare Alpenpanorama aufgezeichnet. Das schmale Papier fasst rund zweieinhalb Meter Länge und wurde 1860 von einem Volksschullehrer aus der Region gezeichnet. "Eine Rarität", sagt Krammer stolz.

Wahrzeichen: Für Heimatpfleger Markus Krammer ist der Turm das wichtigste Wahrzeichen der Stadt.

Für Heimatpfleger Markus Krammer ist der Turm das wichtigste Wahrzeichen der Stadt.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der Turm wirkt zeitlos, als wäre er schon immer am Rand des Ebersberger Forstes gestanden. Doch es gab Augenblicke, in denen der Aussichtsturm in den Strudel des aktuellen Zeitgeschehens gezogen wurde. 1983 zum Beispiel hing ein Plakat von Greenpeace vom Turm herab, "Der Wald stirbt", war darauf zu lesen. Der Wald starb nicht, die Politik führte strenge Richtlinien für den Schadstoffausstoß von Industrie und PKW ein. Mit dem neuen ökologischen Bewusstsein entstand einige Meter unterhalb des Turms das Ebersberger Wald- und Umweltmuseum.

Und auch heute steht der zeitlose Turm wieder ganz im Zeichen der Zeit: Auf seinem Dach haben Mobilfunkantennen Platz gefunden. Das ist nicht unbedingt schön, hat aber für den Erhalt des Bauwerks einen entscheidenden Vorteil: Die Miete, welche für die Antennen gezahlt werden muss, legt die Stadt Ebersberg für Sanierungskosten zurück. Mehr als 100 000 Euro haben sich so schon angesammelt. Eine notwendige Rücklage, denn auch wenn Beton nicht so schnell marode wird, der Zahn der Zeit nagt auch an ihm. Erst vor einigen Jahren musste der Aussichtsturm saniert werden, um Mängel auszubessern. 30 000 Euro kostete das damals. "Jetzt sieht er wieder aus wie neu", sagt Markus Krammer, lacht und streicht fast liebevoll über den lackierten Beton des Treppengeländers. Was dieses Wahrzeichen angeht, können die nächsten hundert Jahre also getrost kommen.

Der Verschönerungsverein hat ein umfangreiches Programm zum Jubiläum zusammengestellt. Am Freitag, 8. Mai, wird um 19 Uhr im Obergeschoss des Rathauses eine Ausstellung eröffnet, die die Geschichte des Aussichtsturms beleuchtet, aber auch das 125-jährige Wirken des Verschönerungsvereins in Ebersberg. Gezeigt werden bis zum 3. Juli Dokumente und Modelle um die Entstehung und den Bau des Aussichtsturms. Am Sonntag, 17. Mai, findet um 16 Uhr eine Maiandacht am Feldkreuz an der Heldenallee statt. Am 18. Juli schließlich wird es ein großes Fest am Aussichtsturm und auf dem Freigelände der Ebersberger Alm geben, am Programm wird derzeit noch gearbeitet.

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