Wahlkampf Bizarr:Ein Bayer in Berlin

Zwischen Künast, Wowereit und Henkel hängt, bedeutend kleiner, ein Bayer: Der Spitzenkandidat der ÖDP für die Berlin-Wahl am Sonntag kommt aus Ebersberg. Christian Schantz bringt den nötig Humor dafür mit.

Martin Mühlfenzl

Der Berliner lässt sich nur ungerne etwas "uffpuckeln", also aufhalsen. Und möglicherweise liegt es an dieser störrischen Haltung des Hauptstädters, dass nun ein echter Bayer für eine der Kleinstparteien den Buckel krumm machen muss.

Der Ebersberger Christian Schantz strahlt die Berliner seit Wochen von Plakaten des Landesverbandes der ÖDP an - als Spitzenkandidat, der um Stimmen bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 18. September wirbt. "Der hat wohl den Klammerbeutel jepudert", könnte es so manchem Berliner Original angesichts der Umfragewerte der ÖDP entfahren. Oder in der reinsten Form der Übersetzung: Der spinnt, der Bayer.

Christian Schantz gehört mitnichten zur Riege kurioser und verschrobener Kandidaten. Der aus Ebersberg stammende Berufsmusiker sieht sich gleichermaßen als Idealist wie als Realist. "Mir ist klar, dass ich nicht ins Abgeordnetenhaus einziehen werde", sagt er. Die ÖDP verschwinde in Berliner Umfragen stets im Konglomerat der "sonstigen Parteien". Die Bundespartei umschreibt die Bedeutung der ÖDP vor der Wahl auf ihrer Homepage ein wenig - wohl ungewollt - spöttisch: Die ÖDP nimmt an der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus teil, steht dort.

Nimmt teil, nicht: will ins Abgeordnetenhaus. "Aber wer nicht für seine Überzeugungen eintritt, versteckt sich. Ich habe mich bewusst für die Kandidatur entschieden", nimmt Christian Schantz den Fauxpas auf der Onlinepräsenz gelassen zur Kenntnis. Der Hobbybassist geht gar so weit, über die Wahl hinaus zu blicken: "Es ist wahrscheinlich, dass ich in zwei Jahren auch bei der Bundestagswahl antreten werde."

Für Schantz als Ebersberger war der Weg zur ÖDP nicht ganz so fern liegend. Schließlich lebt die ÖDP von der Stärke in der Heimat des Musikers: In Berlin hat die Partei gerade einmal 80 Mitglieder - zwei Drittel der bundesweit 6500 eingetragenen Anhänger kommen aus Bayern. "Natürlich kannte ich die ÖDP aus meiner Zeit in Ebersberg. Damals dachte ich politisch, wollte mich aber keiner Organisation anschließen", blickt Schantz zurück. "Der Entschluss, sich aktiv einzubringen, kam später. Lange war für mich Vieles wichtiger als die Politik."

Allen voran die Musik, seine Passion, die er zum Beruf machen will, wie der Bewerber für ein Abgeordnetenmandat sagt. In New York lernt Schantz eine für ihn neue Welt kennen. Die "Downtown-Scene New York". Schantz tourte durch Clubs in Brooklyn und Manhattan, knüpft Kontakte, fängt Feuer für experimentelle Stile - und doch zieht es ihn zurück nach Deutschland. Nicht zuletzt aufgrund der Ereignisse des 11. Septembers 2001. Den Einsturz der Türme des World Trade Centers verfolgt der Ebersberger auf dem Dach seines Mietshauses.

Der Schock des Attentates weicht aber bald der Ernüchterung angesichts der Reaktion der amerikanischen Regierung: "Diese Zeit hat mich geprägt. Positiv aufgrund meiner Erfahrungen als Musiker und weniger positiv als Europäer", sagt Schantz. Das Unbehagen, das ihn nicht mehr los lässt, erleichtert den Schritt, nach Deutschland zurückzukehren. Nach Berlin. In jene hippe Metropole, die immer noch viele junge Menschen als Chance bei der Verwirklichung ihrer Träume begreifen.

Auch Christian Schantz lebt diesen Traum. "Aber es ist nicht so leicht, ihn zu verwirklichen. Als Musiker ist es ein hartes Brot." Auch als Familienvater. "Man kommt über die Runden, hat immer wieder Engagements - seinen eigenen, unabhängigen Weg zu finden, gestaltet sich aber schwierig."

Christian Schantz will seinen Grundüberzeugungen aber treu bleiben. Dazu gehört, sich als Berufsmusiker einen Namen zu machen und politisch für die eigenen Überzeugungen einzutreten. Auch wenn der Zufall ihn zur ÖDP geführt hat: "Nach dem Babyschwimmen. Das Büro der ÖDP liegt direkt gegenüber des Bads im Prenzlauer Berg."

Nach einer Schwimmstunde besucht der Ebersberger aus einer Laune heraus das Büro, liest sich in das Parteiprogramm ein - und ist sofort überzeugt. "Ich habe mich wiedergefunden. Vom Thema Öl bis hin zur Geldschöpfung." Komplexe Fragestellungen seien das, welche alle etablierten Parteien "bewusst ausklammern".

Mit solchen Themen Wähler zu gewinnen, das sei nun natürlich nicht leicht, sagt Schantz. Daher begrenzt er den Aufwand im Wahlkampf auch auf ein Minimum, besucht lieber die Familie in der Heimat, wandert mit seinem Vater durch den Landkreis. "Denn eigentlich bin ich hier daheim. Und irgendwann wird es mich und meine Familie zurückziehen", sagt der Musiker. "Zuvor habe ich in Berlin aber noch Vieles zu erledigen." Womöglich die Flucht ins Parlament, wie Schantz verschmitzt betont. Er hat sich viel vorgenommen und "uffgepuckelt".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: