Jugendbildung:Im Zweifel für den Anderen

Jugendbildung: "Triff dein Vorurteil" am Franz-Marc-Gymnasium in Markt Schwaben: Clara Wulff und Emily Demmer beim Interview mit Patrice "Eve" Grießmeier.

"Triff dein Vorurteil" am Franz-Marc-Gymnasium in Markt Schwaben: Clara Wulff und Emily Demmer beim Interview mit Patrice "Eve" Grießmeier.

(Foto: Privat)

Wie stellt man sich am besten seinen eigenen Vorurteilen? Die Filmemacherinnen Christina Schmideder und Hilarija Locmele haben sich für einen Workshop mit Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums Markt Schwaben etwas Besonderes ausgedacht.

Von Merlin Wassermann, Markt Schwaben

Jeder wird fast täglich mit ihnen konfrontiert, so wirklich auseinandersetzen möchte sich aber eigentlich niemand mit ihnen. Die Rede ist hier nicht von Coronaviren, sondern von Vorurteilen, die vielleicht akut weniger im öffentlichen Bewusstsein verankert sind, aber nicht minder schädlich als die Krankheitserreger. Dass eine Auseinandersetzung mit Vorurteilen gut, wichtig und auch dringend nötig ist, davon sind die beiden Filmemacherinnen Christina Schmideder und Hilarija Locmele überzeugt. Eine Woche lang haben sie den Workshop "Triff dein Vorurteil" mit zwölf Schülerinnen und Schülern aus der neunten und zehnten Klasse am Franz-Marc-Gymnasiums in Markt Schwaben geleitet.

Jugendbildung: Schüler und Schülerinnen des Franz-Marc-Gymnasiums, die am Workshop "Triff dein Vorurteil" teilgenommen haben. Im Hintergrund sind die Leiterinnen Christina Schmideder und Hilarija Locmele (rote Mütze) zu sehen.

Schüler und Schülerinnen des Franz-Marc-Gymnasiums, die am Workshop "Triff dein Vorurteil" teilgenommen haben. Im Hintergrund sind die Leiterinnen Christina Schmideder und Hilarija Locmele (rote Mütze) zu sehen.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Schmideder und Locmele sind bei der Umsetzung des Projekts ihrem Handwerk treu geblieben und haben die Schüler vor die Kamera gesetzt - wo sie sich ihren eigenen möglichen Ressentiments im direkten Kontakt stellen sollten: Die Jugendlichen haben drei Interviews mit Angehörigen von Gruppen geführt, die oft mit Vorurteilen zu kämpfen haben: mit Patrice Grießmeier, einer Drag-Queen, auch "Eve" genannt; mit der Musikerin Laura Glauber, die eine Orthoprothese trägt; und mit Radoslav Ganev, Gründer des Vereins "Rom Anity", der sich für eine Sichtbarmachung von Sinti und Roma in Deutschland einsetzt.

Manche Jugendliche waren von den Begegnungen sehr gerührt

Auf die Idee für diesen Workshop waren Schmideder, die auch Schauspielerin ist, und Locmele, die an der Filmhochschule in München studiert, durch ein anderes Projekt gekommen. "Wir haben uns zusammen unter dem Hashtag #ichbinschön schon mit dem Selbstbild von jungen Mädchen und Frauen auseinandergesetzt und mit der Schädlichkeit von Schönheitsidealen. Aber dann wollten wir uns mit dem Thema Vorurteil noch allgemeiner beschäftigen, so ist dieser Workshop entstanden", erzählt Schmideder und fügt an: "Das Schönste ist zu sehen, wenn bei diesen Begegnungen wirklich etwas passiert, manche Teilnehmer und Teilnehmerinnen waren sehr gerührt."

Jugendbildung: Viele schräge Blicke: Die Musikerin Laura Glauber trägt eine Orthoprothese.

Viele schräge Blicke: Die Musikerin Laura Glauber trägt eine Orthoprothese.

(Foto: Privat)

Bei den Interviews stellten die Schüler selbst ausgedachte Fragen - von "die oder das Nutella?" als Eisbrecher bis hin zu "wie war es für dich, als du dich vor deinen Eltern als queer geoutet hast?". Die Workshopleiterinnen heben hervor, wie beeindruckt sie von den Gymnasiasten waren: "Wir sind sehr positiv überrascht! Alle waren sehr motiviert und engagiert bei der Sache. Dafür, dass sie das erste Mal vor der Kamera standen und sich die Fragen selbst ausgedacht haben, haben sie das wirklich toll gemacht", freut sich Schmideder. Locmele kann dem nur beipflichten und fügt noch an, dass es "echt schwierig ist, nicht nur so etwas zu machen, sondern sich hinterher die Videos von sich selbst auch nochmal anzuschauen".

Die sozialen Beziehungen der Teilnehmenden erweisen sich als sehr modern

Denn das müssen sie. Nicht nur für die finale Feedbackrunde, sondern auch, weil es Teil des Workshops ist, die Videos über die sozialen Medien zu verbreiten, wo sie unter prosinn_films auf Facebook und Instagram zu sehen sind. Unter dem Patrice-Interview findet sich leider bereits auch ein homophober Kommentar - was im Workshop freilich zu Bestürzung geführt hat.

So modern wie die Medien sind nämlich auch die sozialen Beziehungen der Schüler selbst. So berichten beispielsweise Clara Wulff und Emily Demmer, dass in ihrem Freundeskreis mittlerweile mehr queere als nicht-queere Personen seien. Ohnehin drängt sich der Eindruck auf, dass gerade jene an diesem Workshop teilgenommen haben, die ihn am wenigsten nötig haben. Dennoch, auf die Frage, ob ihnen die Teilnahme denn etwas gebracht habe, antwortet Julian Müller sofort: "Auf jeden Fall!" Vorurteile, und sei es aus blankem Nicht-besser-Wissen, seien schließlich bei jedem vorhanden. Auch Clara Wulff findet, dass sie jetzt eher bereit wäre, "nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere Menschen im öffentlichen Raum einzustehen".

Petition für Unisextoiletten an der Schule gestartet

Jugendbildung: Patrice "Eve" Grießmeier vor der Damentoilette im Franz-Marc-Gymnasium.

Patrice "Eve" Grießmeier vor der Damentoilette im Franz-Marc-Gymnasium.

(Foto: Privat)

Insgesamt haben also sowohl die beiden Leiterinnen als auch die zwölf Teilnehmenden den Workshop als bereichernd empfunden - auch wenn sie betonen, dass es damit natürlich längst nicht getan sei: Schmideder und Locmele wünschen sich, diesen Workshop regelmäßig an verschiedenen Schulen anbieten zu können. Und auch die Schüler finden: Es bleibe viel zu tun. So beklagt zum Beispiel Sabine Lippl, dass am Gymnasium in Markt Schwaben, trotz des Labels "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage", zu wenig für Integration und den Kampf gegen Vorurteile getan würde, wofür sie im Workshop zustimmendes Raunen und Kopfnicken erntet. Mittlerweile haben die Schüler allerdings eine Petition gestartet, um immerhin Unisex-Toiletten an der Schule einzuführen.

Bis es einen Impfstoff gegen Vorurteile gibt, mag es wohl noch eine Weile dauern. An Ideen und Tatendrang, was man derweil trotzdem tun kann, mangelt es zum Glück nicht.

Der Workshop wurde gefördert durch das "Netzwerk Interaktiv", das DOK.fest München und wurde in Kooperation mit DOK.education durchgeführt.

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