Vortrag:Pseudo-religiöse Erhöhung

Felix Benneckenstein spricht über sein Abgleiten in die rechtsextreme Szene und wie er den Ausstieg geschafft hat

Von Sophie Burfeind

Friederike Häußler hat immer noch Angst, im Dunkeln mit dem Fahrrad nach Hause zu fahren. Obwohl es schon zehn Jahre her ist, dass jenes Schreiben bei ihr im Briefkasten lag, auf dem stand: "Wir kriegen dich noch, du Dummschwätzerin." Unterzeichnet mit "Das braune Gesocks." Mit diesem Ausdruck hatte die Sprecherin des Ausländervereins Ebersberg die NPD-Mitglieder in Sachsen bezeichnet. Wegen des Drohbriefs ermittelte die Polizei. Ohne Ergebnis. Ohne ernsthafte Bemühungen - sagt Häußler.

"Wissen Sie, wer das gewesen sein könnte?", fragt sie Felix Benneckenstein, der am Mikrofon auf der Bühne des Stadtsaals steht. Er verneint. Bejaht aber, dass es damals sehr wohl eine rechtsradikale Szene in Ebersberg gab - und noch immer gibt. "Das Problem ist, dass die Polizei oft erst dann hinschaut, wenn sie hinschauen muss", sagt er. Erst dann, wenn etwas passiert ist. Felix Benneckenstein weiß das, weil er selbst zehn Jahre lang in der Neonazi-Szene aktiv war. Daher kennt er die Gemeinschaft in und um München, hat auch mit der Polizei so seine Erfahrungen gemacht. Er gründete und führte eigene Kameradschaften, gab Schulungen, seine Genossen feierten ihn als bundesweit bekannten Liedermacher.

Bekannt ist er mittlerweile als einer der prominentesten Ex-Nazis Deutschlands. Nach seinem Ausstieg aus der rechtsextremistischen Szene vor drei Jahren gründete er den Verein "Aussteigerhilfe Bayern" und engagiert sich seither aktiv gegen rechte Gewalt. In Interviews, Talkshows oder Dokumentationen spricht der 28-Jährige häufig von seinem Werdegang. Auch bei der Grass-21-Zukunftswerkstatt berichtet er am Freitagmittag von seinen Erfahrungen. Grass 21 ist eine von Bundesgeldern unterstützte Initiative der Verwaltungsgemeinschaft Aßling und der Stadt Grafing, die Projekte gegen jegliche Formen von Extremismus und Menschenfeindlichkeit fördern.

Vortrag: Felix Benneckenstein war zehn Jahre lang in der Neonazi-Szene aktiv. Heute engagiert er sich gegen rechte Gewalt und hilft anderen Aussteigern.

Felix Benneckenstein war zehn Jahre lang in der Neonazi-Szene aktiv. Heute engagiert er sich gegen rechte Gewalt und hilft anderen Aussteigern.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

In einem kleinen schwarzen Notizbuch hat Benneckenstein notiert, was er den etwa 70 Anwesenden - darunter zwei Schulklassen - erzählen möchte. Gleich zu Beginn stellt er klar, dass seine Eltern weder getrennt noch Alkoholiker sind, dass er in keiner strukturschwachen Region aufgewachsen ist. Sondern in Erding, wo er 1999 sogar den Brandanschlag von Neonazis auf das hauptsächlich von Türken bewohnte Bürgerhaus in Dorfen miterlebt. "Ich fand das alles ziemlich abschreckend", sagt er. Auch dass er einen geistig behinderten Bruder hat, lässt ihn zunächst an der menschenverachtenden Ideologie der Nationalsozialisten zweifeln. Letztlich vollzieht sich sein Wandel zu einem überzeugten Nazi dann aber doch ziemlich schnell.

Es fängt an mit rechter Musik, die im Jugendzentrum in Erding verbreitet wird, wie der heute 28-Jährige erzählt: "Die ist primitiv, aber leider sehr wirkungsvoll." Erst geht es nur um Ausländerfeindlichkeit, bis er nach und davon überzeugt ist, dass Vergasungen nie stattgefunden haben und die Juden die Schuld am Holocaust tragen. Der 15-Jährige verliert sich immer stärker in der Gedankenwelt der Neonazis. "Ich musste mich zwischen konservativem Stammtischrassismus und Nationalsozialismus entscheiden. Die Kameradschaften präsentieren sich viel revolutionärer, man hat das Gefühl, für etwas Höheres da zu sein." Diese pseudo-religiöse Erhöhung, das Gefühl, Teil einer revolutionären Bewegung zu sein, mache die gefährliche Anziehungskraft der Kameradschaften aus. Er, der unsichere pubertäre Junge, wird auf einmal zu einem selbstbewussten jungen Mann, der meint, zu wissen, was der richtige Weg ist.

So geht das viele Jahre, bis Felix Benneckenstein 2011 in Stadelheim landet. Dort lernt er Abschiebehäftlinge kennen, deren erschütternde Schicksale seine Zweifel an der Nazi-Ideologie, die er zu dem Zeitpunkt nach eigenen Angaben bereits hat, verstärken. Mithilfe der Organisation "Exit-Deutschland" gelingt ihm der Ausstieg aus dem Rechtsextremismus. In der Szene gilt er seither als Verräter. In der abschließenden Diskussionsrunde warnt Benneckenstein davor, zunehmende rassistische Einstellungen in der Bevölkerung durch die steigende Zahl an Asylbewerbern zu verharmlosen: "Man muss die Ängste der Menschen ernst nehmen und gleichzeitig darf man den Flüchtlingen nicht das Gefühl geben, dass Alltagsrassismus normal ist." Genau in solche Präventionsprojekte will Grass 21 künftig stärker investieren.

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