Süddeutsche Zeitung

Ebersberger Forst:Obacht, die Mücken kommen!

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Die Bedingungen für Mücken sind so gut wie lange nicht mehr. Nicht nur an Gewässern - sondern auch im Wald. Eine Stichprobe im Ebersberger Forst.

Von Korbinian Eisenberger

Herrschaftszeiten! Der Fluch geht durchs Unterholz, wo Männer in Schnittschutzhosen beieinander stehen. Ihre Aufgabe ist der Kampf gegen den Borkenkäfer, damit er nicht die Herrschaft im Wald übernimmt, deswegen stehen sie hier. Doch ihr Fluch galt nicht dem Käfer. Die Männer umhüllt eine Wolke von Stechmücken, alle paar Sekunden hauen sie sich auf den Arm oder watschen sich selber ins Gesicht. Doch nicht einmal die deftigste Ohrfeige hilft, um dieser Stichprobe zu entkommen.

Es ist zu früh, um von einer Mücken-Herrschaft oder gar einer Plage zu sprechen, an diesem Tag Mitte Juni. Was sich im Luftraum zwischen dem Boden und den Baumwipfeln im Ebersberger Forst bewegt, sind eher die Vorboten. Von Zuständen wie am Ammersee (Kreis Starnberg), wo ein Fußballer Anfang der Woche nach einem regelrechten Mückenangriff ins Krankenhaus musste, ist Ebersberg noch entfernt. Die Frage ist jedoch, wie weit. Gerade im Forst sind die Bedingungen für Stechmücken und deren Larven so paradiesisch wie lange nicht mehr.

An diesem Vormittag ist im Ebersberger Forst das Käferkommando des Forstbetriebs unterwegs. Einer von ihnen ist Sebastian Müller aus Hohenlinden, 28, Käppi, Arbeiter-Weste, er fährt den Harvester und zerteilt die befallenen Stämme, um sie aus dem Wald zu schaffen. Die Harvester-Tür kann er gar nicht schnell genug zumachen, schon huscht ein halbes Dutzend surrend in die Kabine. Während er die Maschine durch die Rückegasse lenkt, dient eine Hand zur Verteidigung gegen Luftangriffe. Vor ihm liegt nun eine Fichte mit Käfer-Bohrmehl - hinter ihm hat die Maschine tiefe Furchen in den Waldboden gegraben.

Unschwer zu erkennen, dass die heftigen Regenfälle von vor einer Woche auch hier Spuren hinterlassen haben. In den Furchen der Rückegassen haben sich Pfützen gebildet, manche wie kleine Tümpel. Der Ebersberger Forst, ansonsten praktisch frei von Gewässern, ist seit einigen Tagen von Wasserlöchern übersät - und damit eine 9000 Hektar große Brutstätte für Stechmücken geworden. "Im Wasser lagern sie ihre Larven", sagt Johann Taschner, er ist Sachgebietsleiter bei der Unteren Naturschutzbehörde im Ebersberger Landratsamt. Seine Einschätzung: Der feuchte Monat Mai und die jüngsten Niederschläge waren für die Mückenfamiliengründung nahezu ideal.

"So viele wie heuer weiß ich lange nicht", sagt einer, der seit 1991 im Holz ist

Holz knackt unter Stiefeln, Vögel singen von den Wipfeln, dazwischen surrt und pikst es. Mitten drin kniet Wolfgang Sollinger unter seinem Schutzhelm, das Visier nach unten, fast wie bei einem Imker. Er drischt einen Stahlkeil in den Baumstamm - und er drischt nach Mücken. "So viele wie heuer weiß ich lange nicht", sagt der 53-Jährige. Seit 1991 geht er hier ins Holz, ein Forstwirt aus Frauenneuharting, den so schnell nichts umhaut. Nun werde er zum Mückenspray greifen, sagt er und lässt die Motorsäge an. Kreischen übertönt das Surren. Der nächste Käfer-Baum kracht zu Boden.

Die Arbeit im Forst muss weitergehen, daran würde auch eine Mücken-Invasion kaum etwas ändern. Noch schlimmer wäre schließlich, wenn der Borkenkäfer sich im Forst durchsetzt. "Diese Wochen sind die wichtigsten im Kampf gegen den Käfer", sagt Heinz Utschig, der Leiter des Forstbetriebs, auch er steht mit im Wald und hält Ausschau nach verdächtigen Nadelbäumen. Während der Begehung klingelt sein Handy, ein Naturschützer aus Zorneding meldet eine Furche im Wald, in deren Pfütze mittlerweile Kaulquappen wohnen. "Der Mann hat jetzt einen Bandscheibenvorfall und kann sich nicht mehr um sie kümmern", sagt Utschig. Deswegen sorgt nun der Forstbetrieb für ihre sichere Aufzucht. Aus guten Grund.

Wenn Kaulquappen nicht vertrocknen oder als Mahlzeit enden, werden sie zu ausgewachsenen Fröschen - bekanntermaßen natürliche Feinde der Stechmücke. Womöglich liegt auch hier ein Knackpunkt in Herrschaftszeiten von Mücken. Für Johann Taschner vom Naturschutzamt ist neben dem Klima auch die Veränderung in der Tierwelt ein möglicher Grund. "Die Fressfeinde der Mücke sind weniger geworden", sagt er und meint vor allem Vögel wie Spatzen und Bodenbrüter. Taschner hat auch schon Mückenstiche abbekommen, daheim auf seiner Terrasse. "Wenn ich dort am Abend sitze wünsche ich mir Fledermäuse herbei", sagt er. An einem durchschnittlichen Abend vertilgt eine Fledermaus mehrere tausend Mücken als Nachtmahl.

Bis zum Feierabend ist es im Forst noch einige Stunden hin. Immerhin: Im Harvester rührt sich nur noch der Fahrer, Sebastian Müller hat im Kabinenkampf ganze Arbeit geleistet. Der Kampf gegen den Borkenkäfers hat hingegen erst begonnen. Anders als den Mücken haben ihm die feuchten kühlen Wochen geschadet. Ein Vorteil für Müller und seine Leute im Gefecht um die Herrschaft im Wald - zumindest an der Käferfront.

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Quelle:
SZ vom 15.06.2019
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