Vor genau 65 Jahren:In einer lauen Sommernacht

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Traudl Voith kann sich noch genau daran erinnern, wie die Marktgemeinde Ebersberg zur Stadt erhoben worden ist. Die heute 84-Jährige ist die Tochter des damaligen Bürgermeisters Otto Meyer - und sie hat die Feierlichkeiten hautnah miterlebt

Von Sabina Zollner, Ebersberg

"Es war so eine laue Sommernacht, von der es nur eine im Jahr gibt", beschreibt Traudl Voith jenen Abend, an dem Ebersberg von einer Marktgemeinde zur Stadt wurde. Das ist ziemlich genau 65 Jahre her. Der 12. Juni 1954 war ein Festtag, welcher der heute 84-Jährigen, als Tochter des damaligen Bürgermeisters, Otto Meyer, tief in Erinnerung geblieben ist. Die Gemeinde zählte damals 4120 Einwohner, heute sind es fast dreimal so viel. Warum Ebersberg genau in diesem Jahr zur Stadt ernannt wurde, hing vor allem mit dem Nachbarort Grafing zusammen.

Die Stadterhebung Ebersbergs war bereits 1911 im Gespräch. Das Vorhaben rückte jedoch aufgrund der beiden Weltkriege und deren Folgen immer weiter in den Hintergrund. Auch in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg war Ebersberg immer noch von einer große Hungersnot und einem massivem Flüchtlingsproblem geplagt. Erst mit der Währungsreform 1948 ging es langsam wirtschaftlich vorwärts. Das Thema kam wieder auf, als Grafing 1953 als Stadt anerkannt wurde.

"Man muss die Geschichte immer aus ihrer Zeit heraus sehen", beschreibt Voith. Sie hat es noch bildlich vor Augen, wie kurz nachdem Grafing zur Stadt ernannt wurde, die Einwohner Ebersbergs sich in der Bürgerversammlung aufregten. Die alte Rivalität zwischen Grafing und Ebersberg war zu spüren. Ebersberg müsse auch als Stadt anerkennt werden, sonst verliere es an Bedeutung, tönte es aus der Bevölkerung. Ebersberg war damals bereits Sitz aller öffentlicher Ämter. Viele waren besorgt, dass Ebersberg seine Zentrumsfunktion verlieren könnte, so Voith. Die damals 18-Jährige war es gewöhnt mit ihrem Vater zu Stadtratssitzungen, Bürgerversammlungen und Gemeinderatstreffen zu gehen. So gewann sie einen tiefen Einblick in die damaligen politischen Geschehnisse.

Als junges Mädchen hat Traudl Voit ihren Papa häufig bei Gemeinderatssitzungen begleitet. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auch erinnert sich die 84-Jährige, wie ihr Vater der Stadterhebung anfangs sehr skeptisch gegenüberstand. Er war besorgt, dass sich die Stadt zu schnell entwickeln würde, und so ihre Beschaulichkeit verliere. Er sah die Stadterhebung zudem als Nichtigkeit. Die Stadt habe doch so viel größere Sorgen. Das Flüchtlingsproblem war noch nicht gelöst, die Kanalisation müsse weiter ausgebaut werden, es gab nicht genug Wohnhäuser. Für den Bürgermeister gab es andere Baustellen.

Ein Gespräch mit dem damaligen Bayerischen Staatsminister für Inneres, Wilhelm Hoegner, konnte Voiths Vater dann doch noch überzeugen. Für den Minister waren Stadterhebungen eine politische Notwendigkeit - und ein Stück bayrischer Stolz. Der Innenminister, der bei vielen auch als Wilhelm der Städtegründer bekannt war, befürchtete, dass Bayern im Rest von Deutschland als bedeutungsloses Agrarland abgestempelt werde. Mit der Gründung von Städten wollte er dem Rest von Deutschland zeigen, dass auch Bayern sich weiterentwickele. "Dieser Weitblick überzeugte meinen Vater", beschreibt Voith. So lud der Bürgermeister am 18. März 1954 zu einer Bürgerversammlung ein und verkündete, dass Ebersberg sich zur Stadt ernennen lassen wolle. Mit nur einer Gegenstimme sprachen sich die Bürger für die Erhebung Ebersbergs zur Stadt aus.

Und damit begannen die Vorbereitungen. Voith erinnert sich, wie vor dem 12. Juni das gesamte Haus geputzt und geschmückt werden musste. Alle Einwohner verzierten ihre Häuser mit geflochtenen Fichtenzweigen, hängten Fahnen auf und stellten kleine Birkenbäume an den Straßenrändern auf. "Das trug natürlich alles zur Feststimmung bei", sagt die 84-Jährige. In ihrem Tagebuch beschreibt sie, wie in der Nacht vor der Stadterhebung die Bewohner durch die Stadt spazierten, um die verzierten Häuser ihrer Nachbarn zu bewundern.

Von den Gemeinderatssitzungen ihres Vaters weiß Traudl Voit, dass es bis zur Stadterhebung von Ebersberg kein einfacher Weg war. Schließlich hat es aber dann doch geklappt, wie die Urkunde im Rathaus beweist. (Foto: Christian Endt)

Am 12. Juni war es dann so weit: Bereits um sechs Uhr morgens begann die Feier mit dem Krachen von Böllern und einem Weckruf der Blaskapelle. Gegen acht Uhr machte sich ein Festzug angeführt von der Musikkapelle, dem Bürgermeister, der Land- und Stadträte sowie der Mitglieder der Vereine auf den Weg Richtung Kirche Sankt Sebastian. Nach einem Gottesdienst versammelten sich alle Gäste vor der Tribüne vor dem Rathaus. Der eigentliche Festakt begann. Nach einer Rede von Meyer über die Geschichte Ebersbergs, erhielt der Bürgermeister unter Böllerschüssen, Glockengeläut und jubelndem Publikum von Innenminister Hoegner eine Urkunde, die Ebersberg als Staat anerkannte. Meyer bekam auch eine vergoldete Amtskette von Bad Aiblings Bürgermeister Josef Ma-theis, der zukünftigen Patenstadt von Ebersberg. "Möge Ebersberg als kultureller und behördlicher Mittelpunkt des Landkreises weiter blühen und gedeihen und mögen seine Bürger in diesem aufstrebenden Ort durch Tüchtigkeit und Fleiß weiteren glücklichen und erfolgreichen Tagen entgegengehen", sagte der Landtagsabgeordnete, Baron Otto von Feury, in einer anschließenden Rede.

Zur Feier des Anlasses gab es danach ein Wildschweinessen im Saal der Sieghartsburg. Voith erinnert sich, wie sie mit ihrer Freundin mit Blumen geschmückten Körben durch die Reihen lief, um den Herren Zigaretten anzubieten. "Das ist heute natürlich unvorstellbar", sagt sie und lacht. Während die Erwachsenen sich nach dem Essen zum Kaffee trinken im Forsthaus Hubertus zusammenfanden, gab es für die kleinen Gäste ein Kinderfest. Jedes Kind bekam ein Glas mit Goldrand, auf dem das Wappen Ebersbergs und das Datum der Stadterhebung stand. Der Tag endete mit einem Konzert der Blaskapelle auf dem Marienplatz. Für Voiths Vater war das Fest ein voller Erfolg. "Genau so habe ich mir die Stadterhebung vorgestellt", sagte er zu seiner Tochter. Am Ende dieses Sommerabends war die Stadterhebung wohl doch die richtige Entscheidung gewesen.

© SZ vom 25.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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