Vor der Landtagswahl:Wohnen, Wind und Nahverkehr

Neun Kandidaten stellen sich im Ringen um einen Sitz im Maximilianeum den Fragen ihrer Wähler

Von Alexandra Leuthner

Er könne sich vorstellen, in den nicht existenten ökologischen Flügel der SPD einzutreten, wenn es die Grünen nicht gäbe, erklärte Thomas von Sarnowski auf die letzte Frage der beiden Moderatoren. "In welcher Partei wären Sie, wenn es Ihre eigene Partei nicht gäbe?", wollten die SZ-Redakteure Karin Kampwerth und Wieland Bögel von den neun Direktkandidaten im Stimmkreis Ebersberg für die Landtagswahl am kommenden Sonntag wissen. Zuvor hatten sich Doris Rauscher (SPD), Rosi Reindl (ÖDP), Thomas Huber (CSU), Thomas von Sarnowski (Grüne), Markus Erhorn (Freie Wähler), Alexander Müller (FDP), Heinz Fröhlich (Linke), Robert Böhnlein (Bayernpartei) und Hilmar Sturm (AfD) den ernster gemeinten Fragen der Moderatoren und des sehr aufmerksamen Publikums gestellt. Afra Held (Mut) war der Einladung nicht gefolgt, weil sie nicht mit dem AfD-Kandidaten auf einer Bühne sitzen wollte.

"Ich werde nie ein Grüner", erklärte übrigens Thomas Huber auf die oben zitierte Frage, Doris Rauscher sprach von ihrer "Herzenspartei SPD" - und Alexander Müller könnte sich vorstellen, eine neue "Partei des Bürgervertrauens" zu gründen.

Wohnen

Eines betonten alle Kandidaten gleichermaßen: Fehlender Wohnraum ist eines der wichtigsten Themen unserer Zeit. Bei den Lösungsansätzen allerdings gingen die Meinungen auseinander. Rosi Reindl etwa plädierte für flexibleres und gemeinsames Wohnen in Häusern mit kleineren Wohnungen. Dafür könne man sich dann Mehrzweckräume und Gästezimmer teilen. Zudem forderte sie eine Mietpreisbindung. Rauscher und Sarnowski wollen eine Verlängerung der Sozialbindung. Öffentliche Grundstücke sollten nicht meistbietend verkauft, sondern Genossenschaften zur Verfügung gestellt werden, so der Grüne. "Den Schwächsten der Gesellschaft Wohnraum bereit stellen, das entlastet die gesamte Gesellschaft." Bereits heute liege die Nachfrage nach Sozialwohnungen im Kreis Ebersberg zehn mal höher als das Angebot, sagte Rauscher. Der Staat sei aufgerufen, seine Flächen den Kommunen anzubieten, dafür brauche es aber erst mal ein staatliches Flächenkataster. "Und die Kirche soll doch auch mal zeigen, was sie hat."

SZ Ebersberg Podium zur Landtagswahl

Elf auf einer Bühne: Die neun Direktkandidaten mit den Moderatoren Karin Kampwerth (links) und Wieland Bögel (rechts).

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

AfD-Kandidat Hilmar Sturm setzt darauf, Wohneigentum zu fördern, "zum Beispiel mit 15 000 Euro anfangs für Familien", eigengenutzte Immobilien steuerlich zu begünstigen und die Grunderwerbssteuer bei eigener Nutzung abzuschaffen. Thomas Huber (CSU) verwies auf das, was die Staatsregierung bereits getan habe. "Familiengeld, Baukindergeld und Eigenheimzulage für junge Familien." Es gehe darum, die staatliche Wohnraumförderung zu nutzen, wie es der Landkreis bereits tue. Der Staat Bayern wolle überdies selbst 10 000 Wohnungen bis 2025 auf staatlichen Grundstücken errichten. FDP-Kandidat Alexander Müller brach eine Lanze für ein Bauen in die Höhe statt in die teure Fläche: Allein wenn man in Poing die 1000 neuen Wohnungen mit vier statt drei Geschossen versehe, sei schon viel gewonnen. Auch er will die Grunderwerbssteuer aufkündigen, damit "das Geld, was rumliegt" für bezahlbaren Wohnraum genutzt werde.

Einziger in der Runde, der nicht für schnelle neue Wohnungen plädierte, war der Kandidat der Freien Wähler. "Wir können nicht jeden Quadratzentimeter zubauen", sagte Markus Erhorn. Vielmehr setze seine Partei darauf, gleichwertige Lebensbedingungen in Bayern zu schaffen, ländliche Räume mit der Schaffung von Arbeitsplätzen und den Breitbandausbau zu fördern, um Druck von der Region München zu nehmen. Ein Gedanke, der auch dem Kandidaten der Bayernpartei gefiel. Zudem schlug Robert Böhnlein vor, Stelzenwohnungen über Parkplätzen zu bauen.

Öffentlicher Nahverkehr

Dass es auf den Straßen zugeht wie sprichwörtlich am Stachus, ist ja nichts Neues. Dass beim Thema "Öffentlicher Nahverkehr" dann aber doch nicht allen Kandidaten ausschließlich Statements zum Ausbau von Bus und Bahn einfielen, war erhellend. Markus Erhorn setzt darauf, den Pendelverkehr so gering wie möglich zu halten, durch die massive Förderung von Telearbeit etwa und die Stärkung von wohnraumnahen Arbeitsplätzen. Was den nötigen Ausbau des Bahnverkehrs angehe, "da hat man das Umland massiv vergessen, man war zu fokussiert auf die zweite Stammstrecke", sagte er. Rauscher plädierte für eine Verlängerung der S-Bahn-Äste - das werde auch Druck aus dem Wohnungsmarkt nehmen - und verband ihre Forderung nach einem Investitionsprogramm in die Bahn mit einem Seitenhieb auf die CSU: "Die Staatsregierung hat in den letzten Jahren den Schwerpunkt nicht unbedingt auf die Schiene, sondern auf die Straße gelegt." Ein Vorwurf, bei dem ihr FDP-Kandidat Müller ebenso folgte wie der Grüne Sarnowski. Kostenreduzierung für den ÖPNV, ein Bildungsticket für Schüler und Studenten und ein Seniorenticket wären in Rauschers Augen ebenso eine Verbesserung wie Expressbusse als Zwischenlösungen bis zu einem Ausbau der Bahn. Neue Gleise, neue Züge, neue Technik, ein ganzheitliches Tarifsystem und eine Ausdehnung des M-Kreises forderte Müller.

Das alles ist eigentlich kein Problem, glaubte man fast, wenn man Thomas Huber zuhörte: der Ausbau des Bahnknotens München, die Elektrifizierung der Linie Wasserburg-Ebersberg, eine bessere Schienenanbindung an den Flughafen, eine Regional-S-Bahn bis Wasserburg, Ausbau der S-Bahn Markt Schwaben-Erding, ein S-Bahn-Neubau von Riem über Kirchheim bis Pliening - alles schon in Planung oder wenigstens angedacht. Dass auch der Straßenhaushalt aufgestockt worden sei, wie Huber ausführte, freute Alexander Müller. Er will die Ebersberger Umgehungsstraße und einen vierspurigen Ausbau der FTO.

Weniger Autos, mehr Radler - darin gingen Fröhlich und von Sarnowski konform. "In meiner Heimatstadt haben wir ein wunderbares Zentrum, aber da traut sich kein Mensch mit dem Radl hin zu fahren", sagte der Grafinger Fröhlich. Fünf oder zehn Kilometer mit einem E-Bike zu fahren, sei heute überhaupt kein Problem mehr, erklärte der Grüne, aber Radwege müssten vor allem sicher sein. Was den Bahnausbau angehe, sei Bayern ein Entwicklungsland. Es brauche neben dem Ausbau und der Elektrifizierung des Bahnverkehrs attraktivere Bahnhöfe, Verlässlichkeit der Verbindungen und eine Mobilitätsgarantie auch auf dem Land von fünf Uhr früh bis Mitternacht. Robert Böhnlein stellte eine Grundsatzfrage: "Soll München weiter wachsen und auch den Landkreis Ebersberg schlucken?" Die zweite Stammstrecke sei ein guter Fortschritt, ein S-Bahn-Ring müsse folgen, auch eine bessere Anbindung von Rosenheim und Ingolstadt, "unter der Voraussetzung, dass München nicht bis zum Starnberger See wächst." Das Schlusswort fand Rosi Reindl, die einen alternativen Weg im Individualverkehr vorschlug: "Weniger ist mehr", das klinge nach Verzicht - "aber ich kann gut darauf verzichten, dass ich jeden Tag um sieben im Stau stehe".

Bildung/Kinderbetreuung

Thomas Huber ist - ganz im Gegensatz etwa zu Doris Rauscher - gegen eine Kostenfreiheit von Kinderbetreuung. "Was nichts kostet, ist nichts wert", so seine Überzeugung, und der bayerischen Staatsregierung sei vor allem eine Qualitätsverbesserung der Kinderbetreuung wichtig. Dafür wolle man den Eltern mit ihrem Modell des Familiengeldes von 250 Euro pro Kind und Monat die Wahlfreiheit lassen, ob sie ihre Kinder zu Hause betreuen wollen oder in einer Kita - was auch die ÖDP gern möchte, wie Reindl erklärte. Dort heißt der Betrag "Erziehungsgehalt" und soll in der ersten Stufe bei jenen 1000 Euro liegen, die sonst der Hortplatz koste. Für AfD-Kandidat Sturm ist das "oberste Ziel, mündige und selbst denkende Menschen heranzuziehen" und den Erwerb der deutschen Sprache auch für Zuwanderer sicher zu stellen. Den Erhalt des mehrgliedrigen Schulsystems sieht er dafür als Garanten, außerdem die Ersetzung des Bachelors durch das Diplom und "eine altersgemäße Sexualerziehung ohne Gender-Ideologie an den Schulen". Die Liberalen wollen das letzte Kindergartenjahr aus Gründen der Bildungsgerechtigkeit zur Pflicht machen und Schulen mehr Freiheit vom Lehrplan einräumen. Der Grüne Sarnowski forderte eine Aufstockung der Krippenplätze von 25 auf 100 Prozent des Bedarfs, um Eltern eine "echte "Wahlfreiheit" zu gewähren. Für Doris Rauscher ist die inklusive Schule ein Herzenswunsch, eine Deckelung auf 25 Schüler in der Klasse und das Zweipädagogenprinzip, ebenso ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung. Und was die Qualität der frühkindlichen Bildung angehe, so Rauscher, investiere der Freistaat 500 Euro weniger als der Durchschnitt der Bundesländer in jeden Platz. 9000 Erzieher fehlten schon jetzt, "wir müssen den Beruf aufwerten, vor allem auch durch bessere Arbeitsbedingungen". Der Bayernpartei ist die wohnortnahe Bildung wichtig, eine Aufwertung der Mittelschule durch "eine stärkere Orientierung des Lehrplans an der digitalen Arbeitswelt" und ein Ausbau der Mintfächer, Mathematik und Informatik als Grundpfeiler der Wirtschaftskraft. "Das hohe Niveau der Bildungsabschlüsse in Bayern darf keinesfalls der Zentralisierung zum Opfer fallen", warnte Böhnlein. Als er dafür plädierte, an den bayerischen Hochschulen Studienplätze nur noch an bayerische Studenten zu vergeben, tobte allerdings der Saal in ungläubiger Belustigung. Markus Erhorn brach eine Lanze für die Lehrer. "Es kann nicht sein, dass in einem reichen Land wie Bayern Lehrer in den Sommerferien ausgestellt werden." Auch müsse das Gehaltsgefälle zwischen Grund- und Gymnasiallehrern verringert werden.

Windenenergie

"Ein klares Nein zum Windpark im Forst", kommt von den Freien Wählern, ebenso wie von Bayernpartei und AfD. Es sei unmöglich, dass man "unter dem Deckmantel Umweltschutz Bäume in unserem schützenswerten Wald abholzt", erklärte Erhorn. Weg mit der 10-H-Regel forderten ebenso wie SPD und Grüne Heinz Fröhlich von den Linken und Alexander Müller von der FDP. "Wald und Windräder schließen sich nicht aus", so Rauscher. Die Energiewende müsse her, sagte Sarnowski, auch wenn man diesen Forst retten wolle, die 10-H-Regel stehe dem aber entgegen. "Nur drei Prozent der Windräder in Deutschland stehen in Bayern, das finde ich unsolidarisch. Wir haben viel zu lange gewartet." Das sieht Thomas Huber naturgemäß anders: Die Regel sei kein Hindernis für den Ausbau der Windenergie, wenn sich alle einig seien, könne man doch trotzdem bauen. Den fünf Windrädern im Forst aber werde die CSU zustimmen. AfD-Kandidat Sturm hält Windräder für Landschaftsverschandelung - wegen derer man ja auch die Atomkraftwerke abgeschaltet habe.

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